Klangwelten: Das hören unsere Musik-Experten

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Scifi-Irgendwas: „MUSE – Simulation Theory“

 Auf ihrer achten Platte wird Muse sich der eigenen Irrelevanz bewusst und bietet deswegen eine Sammlung von schwachsinnigen, zusammenhanglosen, teilweise aber durchaus hörbaren Songs.

Vor langer Zeit war Muse mal eine tolle Band. Pathos und große Gesten waren zwar von Anfang an Teil der DNA des Trios. Aber Bellamys Gitarrenriffs und Klaviersoli waren technisch grandios, die Bandbreite seiner Stimme beeindruckte, die Songs waren mitreißende Hymnen. Nachdem die Band auf drei Alben ihr Rezept perfektioniert hatte, wagte sie sich mit „Black Holes and Revelations“ relativ erfolgreich an progressive, aber zugänglich-melancholische Scifi-Musik. Danach wurde Muse zu einer Art Queen-Coverband, schrieb immer schwülstigere Songs über Unterdrückung, Überwachung und Thermodynamik, mischte Dubstep, Klassik und Pop („The Resistance“ und „The 2nd Law“) und versuchte kürzlich, mit einem guten Album wieder zu ihren Rockwurzeln zurückzukehren („Drones“).

Allgemein galt: Je dicker bei den Songs aufgetragen wurde, desto weniger wurden die musikalischen Talente der drei Künstler in Anspruch genommen. Auch versteht man die Texte mittlerweile sogar, ohne der englischen Sprache mächtig zu sein, haben diese doch so wenig Tiefgang, dass Bellamy für die nächste Platte auch willkürlich gewählte Abschnitte aus Tageszeitungen singen könnte.

Fürs neue Album wollte die Band weg vom Albumformat, wollte sich der digitalen Ära anpassen und nur noch Singles schreiben, obschon die Platte paradoxerweise dann trotzdem ein übergreifendes Thema hat – und dieses Thema ohne große Überraschung Kontrolle und Simulakrum im Internetzeitalter ist. Klangtechnisch bleibt man dem Cover-Artwork treu: Die zahlreichen Synthies zitieren die 80er und peilen „Stranger Things“-Fans an – und jeder zweite Song will an „Supermassive Black Hole“ erinnern.

Die Track-Reihenfolge scheint via Shuffle-Funktion zufällig zusammengestellt zu sein, nur bleibt festzustellen, dass sich die besseren Songs („Propaganda“, „The Dark Side“) auf der ersten Hälfte der Platte versammelt haben, da, wo die zweite Hälfte durch peinlichen Balladenschwulst („Something Human“) und einfallslosen Arenarock, der an die einfallslosen Austinn erinnert („Get Up And Fight“), ins Straucheln kommt.

Auf der Deluxe-Edition gibt’s neben viel Schwachsinn eine klavierlastige Version von „The Dark Side“, die auch auf „The Origin of Symmetry“ hätte fungieren können. Und für einen kurzen, nostalgischen Moment merkt man: Die talentierten Musiker von Muse gibt’s noch irgendwo. Nur haben Bellamy und Co. entschieden, dass sie keinen Bock mehr auf gute Musik haben. Denn Mittelmaß verkauft sich halt besser.

WERTUNG: Jeff Schinker vergibt fünf von möglichen zehn Punkten.


Tiefes Schwarz: „SOAP&SKIN – From Gas To Solid / You Are My Friend“

Gerade einmal 18 Jahre alt war die Österreicherin Anja Franziska Plaschg, als 2009 unter ihrem Alter Ego Soap&Skin ihr Debütalbum „Lovetune For Vacuum“ erschien. Darauf präsentierte sie düstere, bedrohliche Musik (Piano trifft auf Electro). Auf den meist sehr dunkel gehaltenen Promofotos sah man seinerzeit eine tieftraurig dreinblickende Künstlerin. All das machte neugierig auf die junge Musikerin, deren erstes Werk mit Lob überschüttet wurde.

Trotz ihres Adhoc-Erfolges litt sie unter Depressionen und suchte sich professionelle Hilfe. Das hatte zur Folge, dass sie in dieser Phase fast keine Konzerte gab und ihr zweites, nur 30 Minuten langes Album „Narrow“ erst Anfang 2012 in den Handel kam. Dieses eröffnete mit „Vater“, einem Song, den sie ihrem 2009 verstorbenen Vater gewidmet hatte. Es ist ein irritierendes Lied, in dem sie mit Piano und Electro hantiert und folgende Zeilen singt: „Haltet alle Uhren an, hindert den Hund daran, den Sarg anzubellen. (…) Ich trink auf dich dutzende Flaschen Wein, und will doch viel lieber eine Made sein.“ Auch mit „Narrow“ lieferte sie schwermütige Kost, die gleichermaßen auf die Stimmung drückte und begeisterte.

Nach einer erneuten Pause, in der sie allerdings nicht untätig war und u.a. Filmmusik schrieb, hat die Österreicherin gerade ihr faszinierendes, drittes Album „From Gas To Solid / You Are My Friend“ veröffentlicht. Die Schwere und Ernsthaftigkeit ihrer früheren Werke bestimmt auch dieses – diesmal singt sie allerdings ausnahmslos auf Englisch. Das Album enthält sakrale Elemente wie die Chorgesänge in „(This Is) Water“, Opulenz („Surrounded“), Intimität wie in „Creep“, Andächtig-Balladeskes („Safe With Me“) und eine Art avantgardistischen New-Wave-Pop („Heal“), der im Vergleich zu den anderen Songs so etwas wie Leichtigkeit ausstrahlt. So abwechslungsreich wie die Musik ist auch Plaschg, die zwischen Sprechgesang, Sakralgesang und Falsett hin und her wechselt.

Die Musik basiert übrigens auf Samples, wie Plaschg gesteht: „Ich sammle seit über zehn Jahren akustische Aufnahmen verschiedener Instrumente und Klänge. Fast alles, was hörbar ist, basiert auf Samples. Selbst wenn Musiker involviert sind, sample ich einzelne Töne und Schläge und arrangiere sie so neu“ (Quelle: [PIAS] Germany).

WERTUNG: Kai Florian Becker vergibt neun von möglichen zehn Punkten.


Hohe Erwartungen, tiefe Enttäuschung: „VINTAGE TROUBLE – Chapter II – EP 1“

Man soll seine Erwartungen im Leben nie zu hoch schrauben, sonst kann die Enttäuschung manchmal umso größer ausfallen. So geschehen mit dem von den Fans sehnsüchtig erwarteten neuen Album von Vintage Trouble.

Für diejenigen, die die Band noch nicht kennen, sei u.a. das Video zu „Blues Hand Me Down“ auf YouTube empfohlen. Der Song enthält alles, was Vintage Trouble beliebt machte: einen treibenden Groove, schnelles Tempo, mit einer gehörigen Prise Blues-Rock. Die Jungs versprühten mehr Energie, als 1986 in Tschernobyl gemessen wurde. Das Ganze war mit einem coolen Vintage-Soul-Sound untermalt, wozu besonders die Stimme von Ty Taylor beitrug, einem der wenigen schwarzen Sänger in einer Rock-Band.

Und nun dies. Ein Pop-Album, das es im Gegensatz zu den vorigen Langspielern vielleicht in die Mainstream-Radiosendungen schafft, aber meilenweit von dem entfernt ist, für das der Bandname steht. Nichts mehr mit „vintage“ oder „trouble“. Im Gegenteil: „Chapter II – EP 1“ ist so brav, als sei Lady Gaga die Produzentin gewesen. Als die Gruppe im Dezember 2017 eine Soul-Jazz-Nummer (!) mit dem Titel „Santa Why“ herausgab, sagte ich mir: „Hm, originell!“ Spätestens im Januar hätten aber die Alarmglocken schrillen müssen: „These Arms Of Mine“ war eine EP, auf der schon die meisten der bereits erwähnten Elemente fehlten, nur der Soul war geblieben. Das war aber kein Wunder, da der Song ein Cover einer Otis-Redding-Nummer ist. Aber ich sagte mir: „Nun gut, auch jede Hardrock-Band, die in den 80ern und 90ern etwas auf sich hielt, spielte mindestens eine Ballade ein, und immerhin war es guter Soul.“

Aber jetzt ein Album mit zehn Popsongs – pardon, eigentlich nur fünf, denn alle Songs werden doppelt geliefert, neben der Originalversion auch die akustische. „Unplugged“ ist zwar per se nicht schlecht, klingt hier aber eher nach „same, same, but different“, als ob die Gruppe nach fünf Titeln keine Lust mehr gehabt hätte, aber zehn Songs abliefern musste. Vom Song „Can’t Stop Rollin“ kann man zumindest noch sagen, er klinge etwas „vintage“, wie Pop aus den 90ern. Alles in allem gehört das Album in die Kategorie Kuschelrock.

WERTUNG: Claude Molinaro vergibt drei von möglichen zehn Punkten.