Keine Konsenskultur – May tut sich schwer, beim Brexit eine Lösung zu finden

Keine Konsenskultur – May tut sich schwer, beim Brexit eine Lösung zu finden

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Der Plan sah anders aus. Beim Oktober-Gipfel wollten die EU-Staats- und Regierungschefs das Abkommen zum EU-Austritt Großbritanniens begutachten, um dann dem weiteren Scheidungsprozess seinen Lauf zu lassen. Dazu kam es nicht, was spätestens seit dem informellen Treffen der EU-Chefs im September in Salzburg abzusehen war. Dort wurde den Briten ohne Not in Aussicht gestellt, dass auch noch im November ein Sondergipfel möglich sei, wenn bis zum Oktober keine Lösung in der strittigen Irland-Frage gefunden sein würde. Zwar wurde umgehend das Versprechen wieder zurückgezogen. Doch der Fehler war gemacht. Mittlerweile ist schon der Dezember-Gipfel als allerletzte Gelegenheit für eine Einigung im Gespräch. Warum sollte sich die britische Premierministerin Theresa May also nun unter Zeitdruck gesetzt sehen und mordicus nach einem Ausweg aus der verzwickten Lage suchen?

Nachdem nun beim letztwöchigen Gipfeltreffen keine Fortschritte zu verzeichnen waren, fragt man sich, wo EU-Ratspräsident Donald Tusk dennoch den Eindruck hernimmt, dass man einer Lösung nähergekommen sei. Das dürfte eher einem verlegenen Zweckoptimismus entsprungen sein, als dass sich diese Feststellung mit der Realität in Einklang bringen ließe. Denn zu Hause in London lauern, einer Meute beißwütiger Hunde ähnlich, die Verfechter der reinen Brexit-Lehre auf das geringste Nachgeben und Einbrechen der Premierministerin gegenüber den Forderungen aus dem verhassten Brüssel.

Wie viel auch immer sie auf diese eingeht, Theresa May zieht unverzüglich die schärfste Kritik der Brexiteers wie der früheren Minister Boris Johnson und David Davis auf sich. So etwa vergangene Woche, als die Premierministerin dem Vorschlag des EU-Chefverhandlers Michel Barnier, die geplante Übergangszeit über den Termin des letzten Dezembers 2020 hinaus zu verlängern, etwas Gutes abgewinnen wollte.

Es ist mittlerweile allerdings hinlänglich bekannt, dass einer der beiden Partner in der irischen Grenzfrage nachgeben muss. Und es wird sicher nicht die EU sein. Theresa May wird sich daher kaum darauf verlassen können, dass die 27 es nicht über sich bringen würden, ein No-Deal-Szenario und somit eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland, einem EU-Mitglied, zu riskieren. Eine harte Grenze, die die Gefahr in sich birgt, dass erneut Unruhen und Gewalt in der Region ausbrechen. Das wäre in hohem Maße fahrlässig seitens der britischen Premierministerin. Es gibt ganz einfach keine Lösung, mit der gleichzeitig die Befürworter eines harten Brexit bei den Tories zufriedengestellt und das Karfreitag-Abkommen eingehalten werden können, mit dem Nordirland befriedet wurde.

Der Fehler von Theresa May ist, dass sie den Prozess des EU-Austritts zu einer innerparteilichen Angelegenheit und Auseinandersetzung hat werden lassen. Stattdessen hätte sie, der Tragweite des Brexit für das Vereinigte Königreich durchaus angemessen, versuchen sollen, auch andere Parteien im britischen Unterhaus, insbesondere die Labour-Partei, in den Verlauf der Verhandlungen mit einzubinden. Die durch den EU-Austritt aufgeworfenen Fragen des inneren Friedens sowie der politischen und wirtschaftlichen Konsequenzen würden einen solch außerordentlichen Schritt durchaus rechtfertigen. Doch offensichtlich fehlt es den Briten an der nötigen politischen Kultur, auf diese Weise den Konsens zu suchen.

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