Kein Hype, sondern ein Lebensstil

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In den Räumlichkeiten in der rue Victor Hugo Nummer 34 wird gehört, was auf den Plattenteller kommt. Dieser Hausregel folgt man gerne, da die aufgetischten Klänge munden. Denn hier servieren Gourmetköche elektronische Ohrenschmäuse vom Feinsten.

In den Räumlichkeiten in der rue Victor Hugo Nummer 34 wird gehört, was auf den Plattenteller kommt. Dieser Hausregel folgt man gerne, da die aufgetischten Klänge munden. Denn hier servieren Gourmetköche elektronische Ohrenschmäuse vom Feinsten.

Es gibt diese Interviewpartner, die das vorgehaltene Mikrofon förmlich verschlingen oder im Rampenlicht baden, obwohl es eigentlich um sie herum dunkel ist. Und dann gibt es Menschen wie Claudio, der findet, dass sein Nachname nicht wirklich was zur Sache tut. Weil es im neuen Escher Plattenladen mit dem Namen „Vinyl Harvest“, dessen Inhaber er nun ist, nicht um ihn, sondern um gute Musik, ihre Produzenten sowie ihre Zuhörer gehen soll.

Der vor einer Woche eröffnete Konzeptstore vermittelt auf den ersten Blick etwas Pragmatisches, wirkt aber keineswegs ungemütlich. Die Seitenwand am Eingang ziert eine Malerei des deutschen Grafikers und Illustrators Jan Paul Müller, die ein labyrinthartiges Esch zeigt, das Seiten wie eben diesen Laden hat, die es sich zu entdecken lohnt. Denn auf der großen hellen Fläche entsteht viel Raum. Für Klänge, Diskussionen und musikalische Erkundungstouren.

Alles mit viel Gefühl

Jede kleine Ecke im „Vinyl Harvest“ zeigt, dass hier mit Feingefühl vorgegangen wurde: Ein befreundeter Schreiner fertigte jene Holzregale an, in denen gestöbert werden kann, bis man sich ganz gezielt in der Tiefe der Musik verliert. Wer mag, kann gemeinsam mit anderen der Musik lauschen, die über das in Feinarbeit angebrachte Soundsystem läuft, oder sich auch allein an einzelnen Plattenspielern mit Kopfhörern auf den Ohren seinem eigenen, neu entdeckten Universum widmen.

Sonst wird hier weitestgehend auf Schnickschnack verzichtet. Neben einer großen Auswahl an Platten gehört lediglich Zubehör wie Nadeln, Kopfhörer und Platten-Taschen zum Angebot. Kleidung nimmt nur einen sehr geringen Teil der Verkaufsfläche ein. Auf vereinzelten Platten sind handgeschriebene Post-its angebracht, die Zusatzinformationen zum kleinen Gesamtkunstwerk liefern, das man gerade in Händen hält.

Bei näherem Hinhören wird schnell klar, dass sich hier bewusst gegen Massentauglichkeit und für das Eklektische entscheiden wurde. Also eine wahrhaftige Fundgrube für sogenannte „Digger“, die gerne tief graben, um seltene auditive Goldstücke zu finden.

Vinyl ist nicht nur ein Hype

Dem Vorurteil, dass es sich bei Vinyl nur um einen Hype handele, widerspricht Claudio entschieden: „Es mag wohl sein, dass derzeit gerade bestimmte Major-Label wieder verstärkt auf Schallplatten setzen, da seit gewisser Zeit ein Aufschwung in diesem Bereich vernehmbar ist. Aber vor allem DJs aus dem elektronischen Bereich investieren seit Jahren in diese Tonträger, ganz unabhängig von irgendwelchen Trends, da die Soundqualität schlicht und ergreifend besser ist.“

Laut Claudio kommt noch ein essentielles Element hinzu: „Vinyl kann als Lebensstil bezeichnet werden. Das aufmerksame Hören sowie das Sammeln und der Austausch auf dieser Ebene erfordern eine gewisse Hingabe und Muße.“ Dieser Prozess schaffe eine Bereicherung, die er und jene Kollegen, mit denen er das Projekt gestartet hat, an das Publikum weitergeben möchten.

Deswegen steht „Vinyl Harvest“ längst nicht nur für den Verkauf von Schallplatten. Bei den fortan regelmäßig stattfindenden Listening Sessions, bei denen DJs auflegen oder Liveacts auftreten, geht’s ums Detail: „Hier kann und soll genauer hingehört und sich eingehend damit beschäftigt werden, was man gerade wahrnimmt. Es ist durchaus spannend, dass man bei diesem Format, im Gegensatz zum Club, wo sich die Zustimmung oft darin ausdrückt, dass die Leute abgehen und laut sind, das Gefallen daran messen kann, wie still es ist. Da kann es dann schon mal ganz ruhig werden.“

Leidenschaft für Musik

Dass gerade er an dieser nun doch nicht so ganz kleinen Unternehmung beteiligt ist, sieht Claudio eher als glücklichen Zufall. Seine Leidenschaft für (hauptsächlich elektronische) Musik hegt er schon lange. Sie motivierte ihn zu einer längeren musikalischen Forschungsreise, die in Luxemburg begann, einen längeren Halt in der Frankfurter Clubszene implizierte und die nach weiteren Etappen wieder ins Großherzogtum zurückführte. Mit reichlich neuen Erfahrungen im Plattenkoffer und nach ausgiebigen Gesprächen mit anderen Vinyl- Aficionados aus seinem Umfeld war klar, dass es zwar eine Szene, jedoch keinen Offline-Treffpunkt für eben diese in der Großregion gibt.

Online hatte er bereits vor einem Jahr gemeinsam mit anderen Audiophilen einen Vinyl-Shop eröffnet. Durch den hierüber ermöglichten Austausch mit anderen Sammlern ergab sich schnell, dass eine Nachfrage für elektronische Musik jenseits des Mainstreams besteht.

Damals konnte man sich die Platten wahlweise (inner- und außerhalb Luxemburgs) zuschicken lassen oder sie auch bei Claudio zu Hause abholen. Auf diese direkte musikalische Auseinandersetzung im Face-to-Face im kleinen Rahmen, konnte nur ein Übergang zum nächsten Track in der Playlist der Liebhaberei folgen: Es musste ein Shop her. Gefühlt, getan.

„Manchmal muss man sich einfach trauen“

„Manchmal muss man sich einfach trauen, vor allem wenn die richtigen Menschen aufeinandertreffen“, bemerkt Claudio gelassen und wirkt dabei keineswegs nervös. Zu Anfang verwundert diese furchtlose Haltung doch ein wenig, sucht der jetzige Inhaber des „CD-Buttek“ beim Palais in Luxemburg-Stadt, welcher auch Platten vertreibt, derzeit nach einem Nachmieter und wird nicht fündig.

Diesbezüglich entgegnet Claudio: „Zum einen gehen wir genretechnisch in eine andere Richtung, da wir uns auf ambient, experimental, house, techno und electro music spezialisiert haben.“ Andererseits stellt der nun eröffnete Laden nicht das erste finanzielle Standbein des Teams um „Vinyl Harvest“ dar. Statt die Tatsache zu bedauern, dass dies in Luxemburg eventuell zu riskant wäre, wird sich der momentane Umstand zunutze gemacht. Unter diesen Bedingungen braucht das Team sich nämlich nichts vom Markt diktieren zu lassen, unterliegt keinem Druck und kann sich ganz den Feinheiten und der Qualität des Sortiments widmen.

So bleibt also auch Zeit zum Reinhorchen in neue Platten wie auch in diverse Musik-Szenen. Claudio und seine Kollegen lieben den Austausch und beanspruchen gar nicht erst, eine genreübergreifende Expertise bieten zu können. Deswegen gestehen sie einer Art „Sélectionneurs“ einen extra Bereich im Laden zu. Um eine exquisite Auswahl garantieren zu können, wird einerseits mit „la face cachée“, einer Vinyl-Institution aus Metz, zusammengearbeitet.

Notwendiger Schritt

Andererseits wären da noch die Herren Richard und Christophe, welche bei Radio ARA die Sendung „Nol op d’Plack“ moderieren. Christophe hält den Laden für einen notwendigen und wertvollen Schritt: „Es ist eine Chance für Musiknerds, sich auch außerhalb des Nachtlebens zu treffen und Musik auszutauschen.“ Sein Kollege Richard schätzt die Tatsache, sich hier mit anderen Musikbegeisterten einen Raum teilen zu können: „Der Laden hat das Potenzial, zu einer Art Refugium für Musik-Freaks zu werden, aber ebenso ein Ort zu sein, an dem Neugierige ihr Glück finden können.“

Dieser Plan scheint aufzugehen, denn schon bevor „Vinyl Harvest“ vor knapp einer Woche seine Pforten öffnete, schielten Menschen durch die großflächigen Fenster und wollten wissen, was hier vor sich geht. Somit ist in Esch also nicht nur ein neuer Laden, sondern auch eine potenzielle Plattform entstanden. Mal schauen, ob wer Leidenschaft sät, auch gute Musik ernten wird.