„Kachkéis“ und große Brüste: Superjhemp landet im Literaturarchiv in Mersch

„Kachkéis“ und große Brüste: Superjhemp landet im Literaturarchiv in Mersch

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Mit „De Superjhemp géint de Bommeléer“ begann 1987 die Karriere des nationalen Superhelden. Bis 2014 rettete er Luxusbuerg in 29 Alben. Das Literaturarchiv nahm sein Leben und Wirken sowie das Werk seiner Autoren jetzt wissenschaftlich unter die Lupe.

Im normalen Leben ist Charel Kuddel Beamter, doch nebenbei führt er ein Doppelleben als Superheld, der seine Kraft aus Kochkäse schöpft. Weitere Merkmale der „Superjhemp“-Saga sind zahlreiche Wortspiele, eine karikaturale Darstellung der luxemburgischen Gesellschaft und stereotypisch dargestellte Frauen mit überdimensionalen Brüsten.
Im September 1987 erschien „De Superjhemp géint de Bommeléer“ als Fortsetzungsgeschichte in der Revue (wie jeder „Superjhemp“-Comic), ein Jahr später in Buchform. Es war ein Meilenstein in der Geschichte des luxemburgischen Comics und die Geburt eines Kulturphänomens, welches das „Centre national de littérature“ (CNL) in Mersch nun genauer analysiert hat.

Die Geschichte des AutorenDuos begann Mitte der 1980er Jahre, als der Werbetexter Lucien Czuga gefragt wurde, ob er nicht einen Comic für die Zeitschrift Weekend machen wollte. Klar wollte er, auch eine Idee hatte er: „De Pechert“. Er brauchte nur noch einen Zeichner. Beim Tageblatt illustrierte damals ein gewisser Roger Leiner die Filmrezensionen von Jean-Pierre Thiltges, Zeichnungen, die Czuga sehr gut gefielen. Er rief beim Tageblatt an und bekam ohne Weiteres Leiners Telefonnummer. Hätte nicht zu der Zeit eine hilfsbereite Sekretärin in der T-Redaktion gearbeitet, „Superjhemp“ wäre vielleicht nie geboren worden, meint Lucien Czuga in einem Artikel über seine Zusammenarbeit mit Roger Leiner. Die zwei verstanden sich auf Anhieb, und es folgte eine beispiellose Erfolgsgeschichte der luxemburgischen Literatur.

Kulturphänomen

Über 30 Jahre später ist aus einer Idee eine Institution geworden: 250.000 verkaufte Comics sprechen eine klare Sprache. Es gebe wohl kaum einen luxemburgischen Haushalt, in dem es nicht wenigstens einen „Superjhemp“-Band gebe, meint Claude Conter, Direktor des Literaturarchivs. Czuga und Leiner haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die „bande dessinée“ als vollwertige Literaturgattung in Luxemburg anerkannt ist. Das Literaturarchiv wird sich in Zukunft im gleichen Maße um die neunte Kunst, die Comics, kümmern wie um andere Literaturgattungen, erklärte Conter.

Die Ausstellung verfolge mehrere Ziele, gibt Conter an. Erstens wolle man zeigen, warum die 29 „Superjhemp“-Bände einen Meilenstein in der Luxemburger Comic-Geschichte darstellen. Das könne man nur, wenn man den Superhelden in den Kontext der nationalen Comicgeschichte setzt, die lange vor Superjhemp begann. Die Entstehungsgeschichte des „Superjhemp“ selbst wurde eingebettet in den Kontext von Luxemburgs BD-Geschichte. Der Erfolg (15.000 verkaufte Exemplare) des ersten auf Luxemburgisch erschienenen Comicbands „Dem Asterix säi Jong“ 1987 ermutigte die Zeitschrift Revue, „Superjhemp“ auch in Buchform zu veröffentlichen. Bis dahin erschienen Comics in Luxemburg als Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen oder Zeitschriften.

Superjhemp-Universum

Die Heimat des Helden, Luxusbuerg, ist zwar eine Karikatur Luxemburgs, doch die Ausstellung geht der Frage nach, in welchem Maße die Realität abgebildet ist. Auffallend ist, dass viele der heute wichtigen Themen fast gar nicht vorhanden sind. Sozial-politische Fragen sind kein Thema im „Superjhemp“-Universum: Charel Kuddel zeigt zwar stets Zivilcourage, hat aber kein politisches Bewusstsein. Selten sieht man Arbeiter, es gibt keine Arbeitslose und keine Bettler.

Was „Superjhemp“ darstellt, verdeutlicht ein Zitat von Claude Conter aus einem Revue-Artikel von 2015: Es sei „eng literaresch-kënschtleresch Reflexioun iwwert d’Gesellschaft, d’Politik, an d’Monarchie, déi d’Debatten ëm d’Identitéiten an d’Mentalitéiten am Fokus vun aktuellen Evenementer erëmspigelt.“ Die Aussage gibt bereits die Themen der aktuellen Ausstellung vor.

Sexistisches Frauenbild

Geschichten leben durch ihre Protagonisten, und so ist den Figuren, die neben Superjhemp Luxusbuerg bevölkern, ein eigenes Kapitel gewidmet: u.a. Inspektor Schrobiltgen und Joffer Lamesch. In vielen Gesichtern erkennt man eine(n) Prominente(n), und obwohl Adlige in den Geschichten auftauchen, wurde der Großherzog nie karikiert, aus Respekt vor seiner Stellung, wie die Ausstellung aufklärt. Das Frauenbild im „Superjhemp“ – es wurde oft als stereotyp und sexistisch kritisiert – ist ein Thema für sich: Frauen sind oft mit riesigen Brüsten und nackt gezeichnet. Anouk Stephano hat der Thematik im Ausstellungskatalog einen langen Beitrag gewidmet.

Auf alle Details der Ausstellung einzugehen, ist unmöglich, da die Fülle der gezeigten Details überwältigend ist. Neben zahlreichen Zeichnungen sind auch Exponate zu sehen wie z.B. eine Land- und eine Stadtkarte mit den Orten, wo Superjhemp überall agierte, die speziell für die Ausstellung angefertigt wurden.

Über das Phänomen des nationalen Superhelden hinaus ist die Ausstellung eine Gelegenheit, einen Blick in den Nachlass von Roger Leiner zu werfen. 265 Kisten mit Tausenden von Zeichnungen und anderem Material erbte das Literaturarchiv nach dem Tod des Zeichners. Neben Originalzeichnungen ist auch bisher unveröffentlichtes Material zu sehen. Alles in allem ist die Ausstellung ein Muss für Comic-Fans, für alle anderen „nur“ sehenswert.

Der Ausstellungskatalog

Nach dem Besuch der Expo überkommt einen die Lust, einen der 29 Bänder aus der persönlichen Sammlung herauszukramen und in fast 30 Jahren „Superjhemp“-Geschichte zu schwelgen. Um den Blick auch in die Gegenwart und die Zukunft zu richten, hat das Literaturarchiv passend zur Expo einen wissenschaftlichen Katalog publiziert, der verschiedene Aspekte der Ausstellung aufgreift und sie vertieft. Wussten Sie etwa, dass bereits 1999, demnach 19 Jahre vor dem bahnbrechenden Erfolg von „Superjhemp retörns“, ein Film über den luxemburgischen Superhelden mit Thierry van Werweke in der Hauptrolle geplant war?

In zwölf Beiträgen wird der „Superjhemp“-Kosmos erforscht. Es offenbart sich ein multiperspektivisches Betrachtungsspektrum, das den Leser staunen lässt: Historisch beleuchtet der Katalog nicht nur „Superjhemp“ und dessen Entstehung im Jahr 1987/88, sondern bindet die gesamte Geschichte des Luxemburger Comics, von 1948 bis heute, ein. Der ein oder andere Leser erinnert sich vielleicht noch an den Charakter Mil, der die Leser mit auf seine Abenteuer nahm. Ein Augenmerk des Katalogs liegt zudem auf der kulturgesellschaftlichen Relevanz des Superhelden.

Demnach ist „onse“ Superjhemp nicht nur Teil der Luxemburger Populärkultur geworden, sondern regt durch die übertriebene Darstellung des Großherzogtums stark zum Nachdenken über gesellschaftliche Realitäten an. Interessant ist in diesem Kontext die Untersuchung des Frauenbildes im „Superjhemp“-Universum. Die Stellung der Frau – Sexobjekt oder emanzipiertes Individuum? – wird hinterfragt. Auf den ersten Blick fallen vor allem bestimmte Designentscheidungen auf (Stichwort: überdimensionale Oberweiten), doch zeigt ein genaueres Befassen mit der Thematik, dass wir es hier nicht mit einer simplen Schwarz-Weiß-Dichotomie zu tun haben.

Als besonderes Schmankerl für alle Fans und die, die sich für Details in Comics interessieren, dient der Beitrag von Lucien Czuga, der als „Partner in Crime“ von Roger Leiner über Jahrzehnte Teil des Duos war. Ein inhaltlich sowie optisch äußerst ästhetisches Gesamtwerk – erinnert es nicht unweigerlich an einen Comic-Sonderband? –, das nicht nur den Besuch der Expo abrundet, sondern auch in Luxemburgs Comic-Geschichte eintaucht. „Poznennö!“, würde unser Superheld sagen.

Von Sascha Dahm