May will Brexit bis Ende Juni verschieben – und gleichzeitig auf die EU-Wahl verzichten

May will Brexit bis Ende Juni verschieben – und gleichzeitig auf die EU-Wahl verzichten

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Die britische Premierministerin will den EU-Austritt ihres Landes um drei Monate aufschieben. An der Europawahl sollen die Briten aber nicht teilnehmen. In Brüssel dürfte sie damit eine Abfuhr kassieren.

Die britische Premierministerin Theresa May hat die Europäische Union um einen Brexit-Aufschub bis Ende Juni gebeten. Das teilte die Regierungschefin am Mittwoch dem Parlament in London mit. Die Verschiebung muss aber noch von den 27 übrigen EU-Ländern einstimmig gebilligt werden.

Ursprünglich wollte sich Großbritannien am 29. März von der Staatengemeinschaft trennen. Doch der Termin ist nicht mehr zu halten – es sei denn, das Land scheidet ohne Deal aus der EU aus.

Eine Teilnahme an der Europawahl Ende Mai lehnt May ab. Das wäre ihr zufolge die Voraussetzung für einen längeren Aufschub. „Ich glaube, dass es nicht in unserem beiderseitigen Interesse wäre, wenn Großbritannien an der Wahl zum Europaparlament teilnehmen würde.“ Sie sei weiterhin überzeugt, dass das Abkommen ratifiziert werden könne. Bis Ende nächster Woche sei das aber nicht zu schaffen.

Doch in Brüssel sieht man den Zeitplan für die Europawahl noch enger. Das geht aus einer internen EU-Bewertung hervor, die der Deutschen Presse-Agentur vorliegt. Ohne Teilnahme an der Europawahl ist eine Brexit-Verschiebung nur bis zum 23. Mai möglich, heißt es darin.

Kommission hat andere Ideen

Aus Sicht der Kommission sind dem internen Papier zufolge nur zwei Optionen für den Aufschub des Brexits sinnvoll: eine kurze, „technische Verlängerung“ bis 23. Mai ohne Teilnahme an der Europawahl oder eine „lange Verlängerung“ bis mindestens Ende 2019 mit der Option einer Verkürzung, falls vorher eine Lösung gefunden wird. In jedem Fall solle es nur eine einmalige Verlängerung geben, heißt es weiter.

„Jede andere Option (zum Beispiel eine Verlängerung bis 30. Juni 2019) würde ernste rechtliche und politische Risiken für die Europäische Union bedeuten und einige der derzeitigen Unsicherheiten im Vereinigten Königreich in die EU importieren.“ Jedes andere Szenario hätte auch direkte juristische und praktische Konsequenzen für die Europawahl in 14 EU-Ländern.

Schlimmstenfalls könnte die Konstituierung des neuen Parlaments rechtswidrig werden und nach der Wahl die Bestimmung der neuen EU-Kommission und des EU-Haushaltsrahmens gefährden. Zudem wäre jede Entscheidung anfechtbar, heißt es in dem Kommissionspapier weiter.

May zeigte sich entschlossen: „Als Premierministerin bin ich nicht bereit, den Brexit über den 30. Juni hinaus aufzuschieben“, sagte sie. Die Äußerung wurde von britischen Medien als Hinweis auf ihren möglichen Rücktritt gedeutet, sollte eine längere Verzögerung des EU-Austritts unumgänglich sein.

Juncker setzt nicht auf EU-Gipfel

Über die Verschiebung wird nach Einschätzung des EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker erst kurz vor dem 29. März entschieden werden. Er rechne nicht mit einer Entscheidung beim EU-Gipfel diese Woche, sagte Juncker am Morgen im Deutschlandfunk. Denn zunächst müsse May eine Zustimmung ihres Parlaments zum fertigen Austrittsabkommen „im Gepäck haben“, betonte Juncker.

Nach Junckers Ansage könnte die Zitterpartie um einen möglicherweise folgenschweren Bruch ohne Vertrag bis zur letzten Minute vor dem offiziellen Austrittsdatum andauern. Der Kommissionschef bekräftigte, dass die EU keine weiteren Zugeständnisse an Großbritannien machen werde. Die Verhandlungen seien abgeschlossen.

Ein möglicher Aufschub ist aus Sicht Frankreichs nicht selbstverständlich. Zum einen müsse London einen Plan vorlegen und aufzeigen, wie die gewonnene Zeit genutzt werden solle, hieß es aus Élyséekreisen. Zum anderen dürfe das Funktionieren der EU nicht gefährdet werden, etwa bei den Europawahlen und Haushaltsfragen.

Die Staats- und Regierungschefs treffen sich Donnerstagnachmittag zum EU-Gipfel in Brüssel. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte am Mittwoch erklärt, dass sie einen Brexit ohne Vertrag unbedingt vermeiden will.

Die Hängepartie wird immer unwürdiger

Das Unterhaus hatte den fertigen Austrittsvertrag bereits zweimal abgelehnt. Eine von May ursprünglich für diese Woche angekündigte dritte Abstimmung im Parlament hatte dessen Präsident John Bercow überraschend gestoppt. Nach einer mehr als 400 Jahre alten Parlamentsregel dürfe nicht mehrfach über eine unveränderte Vorlage abgestimmt werden, hatte Bercow am Montag erklärt.

Schwerer wiegt jedoch, dass im Unterhaus für den Brexit-Vertrag auch keine Mehrheit in Sicht ist. Brexit-Hardliner in Mays Konservativer Partei stoßen sich an der enthaltenen Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Sie sieht vor, dass ganz Großbritannien in der Zollunion mit der EU bleibt, bis eine bessere Lösung gefunden ist.

May hatte vorige Woche noch einmal neue Zusicherungen von der EU bekommen, dass dieser sogenannte Backstop nicht als Dauerlösung vorgesehen ist. Trotzdem kam keine Mehrheit zustande.

Die oppositionelle Labour-Partei lehnt den Deal hingegen ab, weil sie auch nach dem Austritt eine engere Bindung an die EU will – also genau aus entgegengesetzten Gründen.

Trotz der Brexit-Zitterpartie lehnen deutsche Firmen mehrheitlich weitere Zugeständnisse an London ab. In einer Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelskammertags sagten 85 Prozent der befragten knapp 1800 Firmen, der Zusammenhalt der EU und der Binnenmarkt dürften beim Austritt der Briten keinen Schaden nehmen. 70 Prozent der Betriebe erwarten laut DIHK in diesem Jahr eine Verschlechterung der deutsch-britischen Geschäfte, drei Mal so viel wie im Vorjahr.