Jenseits des Arschgeweihs – Gespräch über den Körperschmuck für die Ewigkeit

Jenseits des Arschgeweihs – Gespräch über den Körperschmuck für die Ewigkeit

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Das Tageblatt hat mit zwei Frauen gesprochen, die in einem kreativen Sinn an der Nadel hängen. Kim Wacks und Carole Thills Leben ist nämlich auf unterschiedliche Art und Weise von Tattoos geprägt. Die beiden haben uns erklärt, welche Rolle das Tätowieren bei ihrer Arbeit spielt. 

Ponys, Superhelden, Star-Wars-Figuren und geschlagene 13 Katzen. Dies sind nur einige von etlichen Akteuren, welche die Haut von Kim Wack bevölkern. Die junge Frau hat vergangenen September ihr eigenes Geschäft in Esch eröffnet. Im „Inked Geeks“ kann man nicht nur Comics und Mangas durchstöbern, sich bei Board Games behaupten oder die eigene Figurensammlung erweitern, sondern sich auch tätowieren oder piercen lassen.

Kim Wack

Die gelernte Piercerin holt sich einmal monatlich einen Gast-Tätowierer mit ins Boot, der sich dann dem Anfertigen des Körperschmucks widmet. Entgegen dem, was man bei einem derartigen Shop-Namen vermuten könnte, sind geekige Tattoowünsche eher selten, was die Inhaberin ein klein wenig bedauert: „Viele suchen sich was im Internet raus und wollen dann genau das auf ihrer Haut“, erklärt die junge Unternehmerin. Dabei geht ihrer Auffassung nach leider einiges an Individualität verloren. Deswegen verzichtet sie auch auf das Auslegen eines Katalogs mit Vorlagen: „Mir ist es lieber, wenn die Kunden mit einer eigenen Idee kommen.“

Strenge bei der Tattoo-Wahl

Dass diese sich eingehend damit auseinandergesetzt haben, was sie wollen, hält Wack für essentiell: „Man kann nicht für sie entscheiden. Es gibt aber wirklich Leute, die kommen und sagen: ‚Ich möchte ein Tattoo haben, was soll ich machen?‘ Dann deute ich freundlich auf die Tür und teile den Menschen mit, dass sie gerne wiederkommen können, wenn sie sich Gedanken darüber gemacht haben.“ Eine gewisse Strenge in diesem Kontext kann sicher nicht schaden, denn immer mehr Menschen suchen heutzutage Tattooshops auf, um sich sogenannte „Cover-ups“ machen zu lassen, also Tattoos, welche Missgeschicke überdecken sollen.

Kim Wack zielt beileibe nicht darauf ab, dass Tattoos, die in ihrem Laden entstehen, irgendwann auf einer von endlos vielen unterhaltsamen, aber irgendwie auch besorgniserregenden Internetseiten landen, auf denen sich über eintätowierte Schriftzüge, die Fehler enthalten, lustig gemacht wird: „Am besten machst du keine Fehler, denn die kannst du ja nicht einfach mit Tipp-Ex wegmachen“, fügt sie hinzu. Daher tippe sie die Wörter oder Sätze immer zuerst ab und versichere sich dann gemeinsam mit dem Kunden, ob alles stimmt.

Obwohl die Zahl tätowierter Menschen stetig steigt, findet sie nicht, dass Tattoos im Mainstream angekommen sind: „Du wirst trotzdem beim Überqueren der Straße manchmal noch so angestarrt, als seiest du von einem anderen Planeten“, so die Inhaberin von „Inked Geeks“. Ihr selbst falle es mittlerweile eigentlich nicht mehr auf, wenn Leute sie mustern, erläutert Kim Wack nüchtern. „Da muss wirklich schon was Krasses passieren, dass ich drauf aufmerksam werde. Ich war beispielsweise kürzlich in einem kleinen Dorf in Deutschland, da haben die Restaurantbesucher auf einer Terrasse scheinbar förmlich vergessen, ihre Suppe weiter zu löffeln, als ich vorbeiging“, erzählt sie lachend.

„Falten kommen so oder so“

Dass sich der Körperschmuck mit zunehmendem Alter verändern kann, lässt sie unbeeindruckt: „Falten kommen so oder so, ob sie nun hautfarben oder bunt sind. Wenn man sich solche Fragen stellt und nur welche will, weil man jung ist, dann sollte man es lieber bleiben lassen.“

Carole Thill

Carole Thills bisher älteste Kundin war Ende 60, als sie ihre Haut von ihr schmücken ließ. Die selbst reichlich verzierte Tätowiererin schaut auf mehr als 20 Jahre Erfahrung zurück und hatte somit schon ganz unterschiedliche Menschen vor sich im „Diablo Tattoo“, das sie gemeinsam mit ihrem Partner betreibt, liegen. „Ein Kunde kam zum Beispiel vor 20 Jahren zum ersten Mal, und das eigentlich nur, um für seine noch nicht volljährige Tochter zu unterschreiben. Seitdem hat sie zwei Tattoos, er wiederum ist vollständig tätowiert“, erinnert sich Carole Thill mit einem Lachen auf dem Gesicht.

Dass sich die Szene in den vergangenen Jahrzehnten stark verändert hat, bewertet Thill positiv: „Es wäre traurig, wenn man 20 Jahre lang die gleichen Tattoos stechen müsste. Deswegen ist es für uns schön, dass es sich so ergeben hat. So kann man sich selbst auch entwickeln und unterschiedliche Dinge ausprobieren.“

Nicht nur die Motive und die Technik haben sich mit der Zeit verändert, sondern auch die Tätowierten und die Tätowierer selbst. Während früher eher Punks oder auch Biker in diesem Bereich tätig waren, mischen sich nun auch immer mehr Künstler unter die Zucht. „Dementsprechend werden zusehends Elemente aus dem Bereich der Kunst entnommen und das gibt dem Ganzen natürlich eine andere Richtung.“

Tätowierungen von Carole Thill.

(Haut)nah am Kunden

Vor zwei Jahrzehnten habe man eher weniger davon sprechen können, dass jeder seinen eigenen Stil gehabt habe, schildert Carole Thill die damalige Situation. Sie führt dies unter anderem auf den Mangel an Inspirationsquellen zurück. „Heute machen Kunden ihre Recherche selbst. Das geht ja mittlerweile um einiges einfacher als damals, als es nur zwei Tattoozeitschriften gab. Wenn jemand in China ein Tattoo stach, konnte es Jahre dauern, bis man es zu Gesicht bekam. Jetzt braucht es nur einen Klick und man kann sich häufig sogar Tattoos anschauen, die am selben Tag gestochen wurden.“

Als „Tattookünstler“ werde man eher selten wahrgenommen, berichtet Carole Thill: „Es gibt leider wirklich immer noch Leute, die dich für eine Maschine halten. Als seiest du ein Cola-Automat. Sie kommen, schmeißen Geld rein und erwarten sofort eine Leistung. Glücklicherweise gibt es aber auch andere.“

Und für ebendiese nehmen sie und ihr Partner sich Zeit. Lediglich mittwochs und samstags ist der Shop geöffnet, damit Kundentermine vereinbart werden können. Wenn aber tagsüber tätowiert wird, ist die Eingangstür verschlossen. „Ein Sekretär kommt für uns ebenfalls nicht infrage. Denn sonst sieht der Kunde den Tätowierer ja erst beim Termin selbst zum ersten Mal. Wir wollen jedoch nur wir selbst sein, gemeinsam mit dem, den wir tätowieren, und zwar vom ersten bis zum letzten Schritt.“

Gut geplante Gesamtkunstwerke

Über die Jahre hat sich ergeben, dass sie und ihr Freund verstärkt an größeren Tattoos arbeiten, die beispielsweise den gesamten Rücken oder eben auch die Arme einnehmen. Solche Gesamtkunstwerke müssen gut geplant werden. Deswegen sind die Kunden auch dazu angehalten, kleine Dossiers anzulegen, mit jenen Elementen, die im Tattoo enthalten sein sollen. Nach eingehenden Gesprächen werden dann erste Skizzen angefertigt und in der Folge bei einem Testlauf auf die Haut aufgezeichnet. „Wir zeichnen außerdem mittlerweile immer mehr Dinge, die wirklich nur für eine Person bestimmt ist“, fährt Carole Thill fort. Da scheint es logisch, dass sich allein dieser Prozess über mehrere Termine ziehen kann.

Obwohl die Entscheidung letztendlich beim Kunden liegt, gibt es Fälle, bei denen die erfahrene Tätowiererin die Notbremse zieht. So zum Beispiel bei selbst gezeichneten Skizzen, die bestimmte technische Standards nicht einhalten: „Die Bedeutung ist wichtig, aber die Technik spielt ebenfalls eine Rolle. Wir machen dann gegebenenfalls Änderungsvorschläge, und wenn man sich nicht einigen kann, muss man manchmal getrennte Wege gehen.“

Immer wieder „Cover-ups“

Ähnlich wie auch Kim Wack hat sie immer wieder mit „Cover-ups“ zu tun. Und zwar nicht nur in Bezug auf Tattoos, die vor etlichen Jahren entstanden – es sind wohl teilweise auch welche dabei, die gerade mal einen Monat alt sind. Dies sei nicht nur, aber potenziell auch darauf zurückzuführen, dass in all den Jahren immer mehr Shops aus dem Boden schossen und sehr lange gar keine Reglementierung in diesem Bereich existierte, nehmen beide Frauen an. Nun ist aber ein neues Gesetz am 1. August in Kraft getreten, das jedoch für beide keine erhebliche Rolle spielt, da sie sich bereits zuvor eigene Regeln auferlegt haben, die teils sogar noch rigider sind als das Gesetz.

Sicher ist, dass sich beide Frauen einen Bereich ausgesucht haben, der sobald nicht aussterben wird, da wohl noch unzählige Quadratmeter Haut weltweit drauf warten, dass jemand die Nadel ansetzt.

Lesen Sie zum Thema auch unseren Kommentar „Ausverkauf der Symbolik“.

Inhaltslosigkeit bei Tattoos: Ausverkauf der Symbolik