In Serbien sorgt die „Autobahn des Friedens“ vor dem ersten Spatenstich für Streit

In Serbien sorgt die  „Autobahn des Friedens“ vor dem ersten Spatenstich für Streit

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Die helfende Finanzierungshand der EU macht es möglich: Im nächsten Jahr soll der Bau einer neuen Autobahn beginnen, die Serbien einmal mit Kosovo und Albanien verbinden soll. Doch schon vor dem ersten Spatenstich sorgt die „Autobahn des Friedens“ bei den streitbaren Nachbarn für Kontroversen.

Von unserem Korrespondenten Thomas Roser, Belgrad

Zur Besiegelung des Baus der neuen Versöhnungspiste hatte sich selbst die scheidende EU-Transportkommissarin Violeta Bulc in den fernen EU-Wartesaal aufgemacht. Die Autobahn von Nis nach Pristina sei ein „konkretes Beispiel der wachsenden Kooperation und Versöhnung zwischen den Völkern Serbiens und Kosovos“, frohlockte sie bei der Unterzeichnung der Kreditverträge zwischen Serbiens Regierung und der Europäischen Investitionsbank (EIB) vergangene Woche in Belgrad: „Dies ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt zur besseren Verbindung der Region.“

Tatsächlich ist es um die Kooperation der unwilligen Nachbarn eher schlecht bestellt. Der von der EU forcierte „Nachbarschaftsdialog“ der einstigen Kriegsgegner liegt schon seit über zwei Jahren still. Statt Aussöhnung ist eine Politik der Nadelstiche angesagt. Noch immer hat Serbien die seit 2008 unabhängige Ex-Provinz nicht anerkannt – und behindert Kosovos Etablierung in der internationalen Arena mit russischer Hilfe weiter nach Kräften.

100 Prozent Zölle auf serbische Importe

Zwar war Serbien auch 2018 der größte Handelspartner Kosovos: Der Wert der serbischen Exporte in die Ex-Provinz übertraf den der Importe aus Kosovo um das Zehnfache. Um den freien Warenaustausch zwischen den Nachbarn ist es jedoch keineswegs gut bestellt. Kosovos schwache Exportwirtschaft macht die Nichtanerkennung der heimischen Zollstempel durch Belgrad zu schaffen, die sie bei Exporten nach und durch Serbien zum kostspieligen Umweg über Nordmazedonien oder Montenegro zwingt. Umgekehrt hat Kosovo Ende 2018 Zölle von 100 Prozent auf serbische Importe verhängt: Der Handel zwischen den beiden Staaten ist seitdem praktisch zum Erliegen gekommen.
Ungeachtet der tristen Ausgangslage bietet die EU den streitbaren Nachbarn nun bewusst die helfende Finanzierungshand. Der gewährte EIB-Kredit von 100 Millionen Euro und die von der EU bewilligte Finanzhilfe von 40 Millionen Euro sind für den Bau des ersten 32 Kilometer langen Teilstücks der künftigen, insgesamt 100 Kilometer langen Autobahn von Nis nach Pristina gedacht.

Eine von der EU finanzierte Autobahnverbindung zwischen beiden Staaten hatten bereits 2012 Serbiens damaliger Premier und heutige Außenminister Ivica Dacic und Kosovos heutiger Staatschef Hashim Thaci angeregt. Zwar ist das Verkehrsaufkommen auf der von Schlaglöchern übersäten Überlandstraße von Nis zum Kosovo-Grenzübergang Merdare bisher gering. Doch die Vorteile einer schnelleren Verbindung liegen für beide Staaten an der Hand.
Belgrad verschafft der neue Asphalt den Zugang zur albanischen Adria. Denn die Autobahn vom albanischen Hafen Durres nach Pristina ist bereits fertiggestellt: Im Kosovo fehlen nur noch rund 20 Autobahnkilometer bis zur serbischen Grenze. Mit der neuen Autobahn werden Reisen der Minderheit der Kosovo-Serben ins Mutterland zudem erleichtert – und erhalten Serbiens strukturschwache Grenzregionen endlich einen Autobahnanschluss. Umgekehrt wird die neue Autobahn Kosovo zum begehrten Anschluss an die wichtigsten europäischen Transportkorridore verhelfen.

„Großalbanien“

Doch trotz des beiderseitigen Nutzens sorgt die sogenannte „Autobahn des Friedens“ schon vor dem ersten Spatenstich für Streit. „Diese Autobahn kann seine wirtschaftliche Funktion nicht erfüllen, solange die vielen Handelshemmnisse Serbiens für den Export unserer Produkte auf die europäischen Märkte nicht beseitigt werden“, klagt Berat Rukici, der Chef von Kosovos Handelskammer gegenüber „Radio Free Europe“. Eine Autobahn nach Pristina liege nicht im Interesse Serbiens, sondern Albaniens, mäkelt wiederum in Belgrad die Opposition – und fordert den sofortigen Abbruch des Projekts.

Der kostspielige Bau der Autobahn werde „sich nicht auszahlen“, orakelt Dragan Djilas, der Chef der linksliberalen SSP: Sinnvoller wäre es, die Mittel direkt zur Förderung der Wirtschaft der strukturschwachen Grenzregionen zu investieren. Die Schaffung eines Autobahnanschlusses nach Tirana könnte „zum Rückgrat eines Großalbaniens“ werden, warnt gar düster Ex-Außenminister Vuk Jeremic, der Chef der oppositionellen Nationalen Partei.
Investitionen in die Infrastruktur seien niemals verschleuderte Gelder, versichert hingegen Serbiens EU-Ministerin Jadranka Joksimovic: „Jeder profitiert – sowohl Serbien als auch die Region und die EU.“ Die Opposition setze mit dem Autobahnprojekt auf die „schlechteste Option“ für Kritik an der Regierung, sagt Naim Leo Besiri, der Direktor des Instituts für Europäische Angelegenheiten in Belgrad. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und gesellschaftlich liege diese „im Interesse Serbiens“: Die Verbindung per Autobahn zwischen Belgrad und Pristina sei eine Botschaft, „dass Gesellschaften, die zerstritten und im Konflikt miteinander lagen, eines Tages zur Aussöhnung gelangen können“.