„Immer das Wesentliche im Blick“ – Acacio da Silva und das Düdelinger Herz

„Immer das Wesentliche im Blick“ – Acacio da Silva und das Düdelinger Herz

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Acacio da Silva war einer der überragenden Radprofis der 1980er bis Anfang der 1990er Jahre. Seine ganze Karriere fuhr er unter portugiesischer Lizenz, wurde aber auch in Luxemburg gefeiert. Das hat er wohl nicht nur seinen Erfolgen zu verdanken, sondern vielmehr seiner Persönlichkeit. Dass es bei der Familie Da Silva so gut mit der Integration geklappt hat, kommt nicht von ungefähr.

Wenn man Acacio da Silva am Streckenrand der Flèche du Sud oder bei einem anderen Radrennen antrifft, dann deutet im ersten Augenblick nichts darauf hin, dass dieser Mann einer der erfolgreichsten portugiesischen Radsportler aller Zeiten ist. Sicher hat er nicht mehr unbedingt die Statur eines Bergspezialisten wie in früheren Jahren. Aber das ist nicht ausschlaggebend. Es sind seine Zurückhaltung und seine Bescheidenheit, die ihn wie einen ganz gewöhnlichen Zuschauer wirken lassen. „Ich will nicht immer in der ersten Reihe stehen. Das entspricht nicht meiner Persönlichkeit“, so der 57-Jährige.

„Jeder schreibt ein Buch“

Dennoch hat Acacio da Silva nun ein Buch über seine Karriere veröffentlicht. Wie passt das zusammen? „Immer wieder haben Leute auf mich eingeredet, ich solle doch ein Buch über meine Karriere veröffentlichen. Aber ich war nie wirklich überzeugt von der Idee. Heute schreibt doch irgendwie jeder ein Buch. Auf der anderen Seite ist so ein Buch auch etwas für die Ewigkeit und da es in diesem Jahr genau 50 Jahre her sind, dass meine Familie nach Luxemburg kam, war dies ein guter Anlass“, so der einzige portugiesische Radprofi, der bis heute das Maillot Jaune bei der Tour de France trug. Seine Motivation für das Buch zeigt ebenfalls, dass es für „Casio“ oder „Caz“, wie er von seinen Freunden genannt wird, mehr im Leben gibt als nur den Radsport.

Acacio da Silva mit dem damaligen Erbgroßherzog Henri und Tour-de-France-Direktor Jean-Marie Leblanc

1965 zog es Acacios Vater aus Montalegre, im Norden Portugals, nach Luxemburg. 1968 folgte seine Frau mit den sechs Söhnen und der Tochter. Damals war Acacio gerade einmal sieben Jahre alt. Zum Radsport sollte er allerdings erst später kommen. Es war sein älterer Bruder Francis, der 1972 mit dem Radfahren begann. Später zog Bruder José und dann „Casio“ nach. „Unsere Mittel waren recht bescheiden. José, Casio und ich mussten uns immer gegenseitig Ersatzteile leihen. Aber Casio hat es Spaß gemacht und auf einmal war er besser als wir“, blickt Francis, der dem Radsport heute noch als sportlicher Leiter des Teams Differdange-Losch erhalten geblieben ist, auf die Anfänge zurück.

Jugendliche Herzensangelegenheit

Die Familie Da Silva hatte sich in Düdelingen niedergelassen, in der Gemeinde also, in der Acacio auch heute noch mit seiner Frau Rosa und den Kindern Darya und Samuel lebt. Auch seine Immobilienagentur hat ihren Sitz in der „Forge du Sud“. Der heute 57-Jährige hat seit 2010 die luxemburgische Staatsbürgerschaft, fuhr seine gesamte aktive Karriere unter portugiesischer Lizenz und lebte zu seiner Zeit als Profi, als er für schweizerische, französische, italienische und spanische Mannschaften fuhr, in der Schweiz. So erklärt es sich, dass „Casio“ ein halbes Dutzend Sprachen spricht. Das Gefühl einer nationalen Identität kennt der ehemalige Globetrotter nicht mehr. „Ja, ich habe einen luxemburgischen Pass und portugiesisches Blut. Aber am Ende hängt das Herz doch immer am meisten an dem Ort, an dem man seine Jugend verbracht hat, oder? Bei mir ist das Düdelingen. Ich bin Düdelinger.“ Es sind die Selbstverständlichkeit und das etwas verhaltene Lächeln, mit dem sich Acacio als Düdelinger bezeichnet, die einem bewusst machen, wie gleichgültig es doch ist, was am Ende auf dem Pass steht.

Acacio weiß, was er seiner Heimatgemeinde zu verdanken hat. „Wir haben beim Cyclo-Club Düdelingen unsere erste Lizenz gemacht“, erinnert sich Francis, der als Aktiver immerhin auch 1984 die Flèche du Sud gewinnen konnte, vier Jahre nach seinem Bruder Acacio. „Beim Düdelinger Klub gab es einige Leute, die mit uns gearbeitet haben und denen wir sehr viel zu verdanken haben. Zum Beispiel Fernand Ehlinger, Lucien Rischard, Fernand Jung und noch andere.“ Dankbarkeit wird auch bei Acacio großgeschrieben. „Man muss immer wissen, wo man herkommt und wem man was zu verdanken hat.“

Der Bäcker und die Bäckersfrau…

Was wie eine abgedroschene Floskel klingt, hat Da Silva bereits in seiner aktiven Zeit vorgelebt, wie sich sein ehemaliger Grundschullehrer Bob Claude erinnert. „Es war vor dem Start der Tour de France 1989, als Acacio das Gelbe Trikot holte. Ich kam vor dem Start der Etappe zu ihm. Eigentlich wollte sein sportlicher Leiter mit ihm die Taktik besprechen, doch Acacio hat ihm zu verstehen gegeben, dass er nun erst einmal mit mir reden würde. Diese Episode beschreibt den Menschen Acacio da Silva in meinen Augen am besten.“ Für Acacio selbst ist seine damalige Reaktion auch heute noch absolut selbstverständlich. „Die Beziehung zu seinen Mitmenschen ist am Ende das, auf was es ankommt. Ob man nun zufällig Radprofi ist oder nicht, das spielt keine Rolle. Für Leute, die einem zur Seite standen und einem wichtig sind, sollte man immer Zeit haben.“

Jahre zuvor hatte Claude dem jungen Einwanderer Nachhilfe in Deutsch gegeben. „Einer der ersten Sätze, die ich ihm beigebracht hatte, war: Der Bäcker und die Bäckersfrau sind in der Bäckerei.“ Aber auch über Radsport hatten sie sich damals bereits unterhalten. Im Mai 1974, als die Etappe der Flèche du Sud in Rümelingen ankam, hatte Acacio seinen Lehrer gefragt, ob er sich die Zielankunft ansehen würde. „Ich bin dann mit ihm in meinem Privatauto nach Rümelingen gefahren, wo wir uns das Rennen angesehen haben. Stellen Sie sich vor, Sie würden so etwas heute tun. Man würde Sie wohl auf der Stelle verhaften.“

Der Wunsch nach dem Regenbogentrikot

Sechs Jahre später gewann Da Silva die Flèche du Sud selbst. „Ab dem Moment wussten wir, dass er es weit bringen könnte“, so Bruder Francis. Es folgte eine Profikarriere, die seinesgleichen sucht. Drei Tour-de-France-Etappen, fünf Etappen im Giro d’Italia, Träger des Gelben und des Rosa Trikots, portugiesischer Meister und so weiter und so fort. Insgesamt gut 50 Siege stehen zu Buche. Auf seine glorreiche Karriere angesprochen, gibt sich Da Silva dennoch äußerst bescheiden. „Was einem vor allem in Erinnerung bleibt, sind die Etappensiege bei der Tour und dem Giro, die portugiesische Meisterschaft, ein paar Klassiker und dann war es das auch schon.“ Wenn man ihm so zuhört, könnte man meinen, er hätte lediglich ein paar Kirmesrennen gewonnen. Acacio betrachtet den Sport als Schule fürs Leben. Das Radfahren war immer sein Leitfaden, eine Art Türöffner, aber nie der einzige Lebensinhalt.

Ob er denn irgendetwas noch gerne in seiner Karriere erreicht hätte, was ihm nicht gelungen ist, wollten wir noch wissen. „Weltmeister wäre ich gerne einmal geworden. Ich war auch einmal nah dran, aber es hätte nicht sein sollen. Man muss sich im Leben mit dem zufriedengeben können, was man hat.“ Und das Leben hat weitaus mehr zu bieten als nur den Radsport.


Eine Legende in Portugal

Eigentlich sollten wir uns mit Henri Bressler, dem Autor des Buches über Acacio da Silva, und dem Protagonisten selbst eine Stunde vor der offiziellen Vorstellung treffen. Daraus wurde allerdings nichts, denn Acacio hatte noch Besuch vom portugiesischen Fernsehsender RTP. „Ich konnte leider nicht weg“, entschuldigte er sich nach der Buchpräsentation. Da Silva ist in Portugal immer noch ein gefragter Mann – ob es nun um seine eigene Karriere geht, oder ob er seine Einschätzung zu Fahrern wie Rui Costa geben soll. In seinem Herkunftsort Montalegre ist sogar ein Radklub nach ihm benannt, der Clube Ciclismo Montalegre Acacio da Silva. Jährlich organisieren sie auch ein Mountainbike-Rennen zu Ehren des berühmten Mitbürgers. Acacio selbst hat hieran auch bereits teilgenommen.

Das Buch

Acacio da Silva und der Buchautor Henri Bressler

Es war Acacio da Silva selbst, der Henri Bressler am 9. November 2017, im Rahmen des 100-jährigen Jubiläums der FSCL, darauf ansprach, ob er nicht ein Buch über seine Karriere und sein Leben schreiben wolle. Dieser war sofort von der Idee angetan, schließlich hatte er bereits einige Bücher über die Radsportgeschichte geschrieben.
Aber was fasziniert den Autor eigentlich am Radfahrer Acacio da Silva? „An einem Tag konnte er einfach unglaubliche Leistungen am Berg zeigen, am Tag darauf eine Etappe im Sprint für sich entscheiden und noch einen Tag später wieder komplett im Peloton untertauchen und sich überhaupt nicht zeigen.“ Einige Leute, darunter sogar sein Bruder Francis, sind der Meinung, dass Acacio vielleicht sogar noch mehr hätte erreichen können. Aber wie sagt „Casio“: „Man muss sich im Leben auch mal mit dem zufriedengeben, was man hat.“ Das Buch „Acacio da Silva, Le remarquable parcours d’un cycliste cosmopolite“ ist bei den Editions Schortgen erschienen und ab sofort im Buchhandel erhältlich.

roger wohlfart
26. Juni 2018 - 14.12

Acacio da Silva: ein Klasseradrennfahrer und ein jovialer, sympathischer Zeitgenosse! So habe ich ihn kennen und schätzen gelernt.