Imamin Seyran Ates: „Wer Europas Werte ablehnt, ist hier falsch“

Imamin Seyran Ates: „Wer Europas Werte ablehnt, ist hier falsch“

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Die Berliner Rechtsanwältin, Autorin, Frauenrechtlerin und Imamin Seyran Ates predigt in der von ihr vor einem Jahr gegründeten Moschee einen liberalen Euro-Islam. Frauen und Männer aller Glaubensrichtungen beten bei ihr gemeinsam. Wegen ihres Kampfes gegen den politischen Islam wird sie angefeindet, weshalb sie nur noch mit Polizeischutz außer Haus gehen kann.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

Tageblatt: Frau Ates, Millionen Muslime sind diese Woche auf großer Pilgerfahrt in Mekka, die sie dem Koran gemäß einmal im Leben absolvieren müssen. Haben Sie Ihre muslimische Pflicht schon erfüllt?
Seyran Ates: Nein. Es heißt ja, dass jeder Mensch, der dazu in der Lage ist, das tun sollte. Das heißt auch, dass man überhaupt die Möglichkeit haben muss, in Saudi-Arabien einzureisen. Bei alledem, was ich als Frauen- und Menschenrechtlerin sowie als Islam-Reformerin mache, hätte ich große Sorge, dass ich dort Probleme bekommen könnte.

Bedrohungen sind Sie auch in Deutschland ausgesetzt. Wie stellt sich Ihre Sicherheitslage momentan dar?
Ich stehe seit 2006 unter Personenschutz durch das Landeskriminalamt, aktuell ist mein Personenschutz auf höchster Stufe für eine individuell gefährdete Person. Ich werde zu allen Terminen begleitet, auch wenn ich nächsten Montag zum Forum Alpbach (ein interdisziplinäres Treffen zu aktuellen Fragen in Österreich, Anm. d. Red.) komme. Die Gefährdung kommt nicht nur von Einzelpersonen, sondern auch von den Schurkenstaaten – anders kann man diese ja nicht nennen, wenn man sieht, was Erdogan in der Türkei macht, oder die Mullahs im Iran und die Muslimbrüder in Ägypten. Diese extremistischen Länder, die dem politischen Islam folgen, bedrohen mich.

Wie definieren Sie Extremismus?
Mein Ausgangspunkt sind die universellen Menschenrechte. Für mich fängt Extremismus dort an, wo diese fundamentalen Rechte – Recht auf Bildung, freie Persönlichkeitsentwicklung, individuelle Selbstbestimmung, sexuelle Identität – angegriffen werden. Weil es auf eine andere Gesellschaftsordnung abzielt.

Das sehen Sie im Islam gegeben?
Nicht im ganzen Islam, aber bei denen, die den Islam im 7. Jahrhundert ansiedeln. Aktuell ist es so, dass Fundamentalisten aus dem Koran und den Hadithen Werte und religiöse Traditionen formulieren, die in extremem Widerspruch zu unseren Menschenrechten stehen. 1990 haben 47 islamische Länder die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam verabschiedet und festgestellt: Die Werte, die ihr da im Westen habt, sind für uns nicht universell, für uns gilt der Koran als Gesetz. In Artikel 24 wurde festgeschrieben, dass alle Freiheitsrechte nur gelten, wenn sie mit der Scharia vereinbar sind. Diese bedingungslose Unterwerfung unter eine religiöse Rechtsordnung haftet fundamentalistischen Muslimen an. Das sind die Extremisten, die es auch bei uns hier in Europa gibt.

Die immer wieder diskutierte Frage, ob der Islam zu Deutschland oder Österreich gehört, ist dann ja nicht unberechtigt …
Die ist selbstverständlich berechtigt, wenn man sie ausdifferenziert. Die Frage ist: Wieweit kann sich die Religionsgemeinschaft mit den Verfassungen arrangieren? Arrangieren bedeutet: Kann ich die Menschenrechte, die nationale Verfassung und die Religionsfreiheit subsumieren? Das haben wir in der Präambel unserer Moschee so formuliert: Wir sind Muslime, wir sehen uns im Islam verortet, aber wir stellen unsere Religion nicht über das Gesetz. Insofern gibt es natürlich einen Islam, der die Werte Europas schätzt und innerhalb der Demokratie existieren kann.

Man hat aber nicht den Eindruck, dass diese Strömung gerade die dominierende ist.
Nein, weil die Radikalen, die Extremisten und die Gewaltbereiten lauter sind. Und die sind aus dem Ausland so stark finanziert, dass sie es sich leisten können, den anderen Angst zu machen. In Deutschland nehmen verschiedene Organisationen für sich in Anspruch, alle Muslime zu vertreten. Tatsächlich vertreten sie vielleicht 15 Prozent der Muslime. Oder: Wie viele Muslime fühlen sich wirklich von der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich vertreten? Auch die Regierungen in den islamischen Ländern halten mit Gewalt Reformen im Islam auf. Im Iran gehen Frauen massenhaft auf die Straße, weil sie das Kopftuch endlich loswerden wollen.

Liegt es wirklich nur am Geld, dass sich liberale Muslime nicht mehr Gehör verschaffen können?
Es liegt am Geld und an der Angst. Deshalb lebe ich ja auch unter Personenschutz. Überall dort, wo sich liberale Muslime zu Wort melden, werden sie wie schon im 12. Jahrhundert diffamiert diskreditiert und bedroht. Aber das Geld spielt eine große Rolle. Ich arbeitete acht Jahre an der Idee einer liberalen Moschee und wusste genau: Ich muss das selbst finanzieren, ich werde keine Millionäre aus Katar, der Türkei oder dem Iran finden, damit ich meine Moschee bauen kann. Diese Länder investieren Geld nur in den Extremismus.

Haben Sie den Eindruck, dass die Politik den politischen Islam ausreichend auf dem Radar hat?
Die Politik macht es sich sehr bequem und übernimmt das Narrativ der Fundamentalisten, wonach die Mehrheit der Muslime das so will und die Zahl der liberalen Muslime vernachlässigbar gering sei.

Manchmal pflegt die Politik sogar die Nähe zu islamischen Fundis.
Es ist erschreckend, dass gerade aus dem linken Spektrum eine unglaubliche Nähe zu Islamisten wie Milli Görüs (eine besonders in Europa aktive islamische Bewegung und in vielen Staaten wegen islamistischer Tendenzen umstritten) zu verzeichnen ist.

Wie erklären Sie sich diese Nähe?
Es gibt eine riesengroße Angst davor, als rassistisch oder ausländerfeindlich dargestellt zu werden. Der Begriff Islamophobie ist extra dafür kreiert worden. In die rechte Ecke gestellt zu werden, ist eine große Angst in Österreich und Deutschland, gerade aufgrund der Geschichte. Man will nicht, dass sich wiederholt, was schon einmal passiert ist. Aus dieser Angst heraus ist man gewillt, auch Dinge in einer Religionsgemeinschaft zu akzeptieren, die man in seiner eigenen niemals akzeptieren würde. All diese Themen will man nicht anpacken, weil man Angst davor hat, dass man ins rechte Eck gestellt wird. Diese Panik führt dazu, dass Grüne, Sozialdemokraten und Liberale sich mehr mit dem Kopftuch-Islam identifizieren als mit den iranischen Frauen, die gegen diese Zwangsverhüllung kämpfen.

In Österreich ist ein Kopftuchverbot in Schulen angedacht, aber auch umstritten. Halten Sie ein solches für sinnvoll?
Ich bin mir sicher, dass es sinnvoll wäre. Ich wurde in Istanbul geboren und kenne noch die Türkei als laizistischen Staat, wo die Menschen froh darüber waren, dass das Kopftuch aus den öffentlichen Einrichtungen verbannt wurde. Atatürk hat nicht alles richtig gemacht, aber es war richtig, dass man die Frauen von der Verschleierung befreit und Bildung für Mädchen eine große Rolle gespielt hat. Die Türkei entwickelte sich in den letzten 60, 70 Jahren in die richtige Richtung, diese Entwicklung hat Erdogan gestoppt.

Und demnächst wird er in Berlin mit höchsten protokollarischen Ehren als Staatsgast empfangen. Finden Sie das angemessen?
Nein, das finde ich nicht nur unangemessen, sondern nahezu schizophren. Auf der einen Seite fliehen unglaublich viele Menschen aus der Türkei nach Deutschland, erhalten politisches Asyl und werden von deutschen Sicherheitsbehörden beschützt, zudem verhaftet das Erdogan-Regime deutsche Staatsangehörige, weil sie eine politische Gesinnung haben, die Erdogan nicht gefällt. Auf der anderen Seite macht Deutschland nicht nur Waffengeschäfte mit der Türkei, sondern unterwirft sich seinem politischen Stil, wenn er auch noch derart groß empfangen wird. Erdogan ist kein Staatsgast, der Ehre verdient. Aktuell sitzen mehr als 270 Journalisten und Schriftsteller im Gefängnis sowie mehr als 700 Kinder. Da kann man nicht beide Augen zudrücken und ihm auch noch Tee einschenken.

Politik und Justiz tun sich schwer beim Erfassen des politischen Islam, solange er keine Gesetze verletzt. Wie kommt man dem Phänomen bei?
Indem man endlich die Erkenntnis umsetzt, dass man das nur mit Bildung schafft. Integration erfolgt nur durch die Begegnung, Bildung und Teilhabe. All das ist vernachlässigt worden. Weder Deutschland noch Österreich oder ein anderes europäisches Land hat ein wirkliches Konzept für die Integration der Muslime. In Marseille gibt es inzwischen Regionen, wo die Polizei sich nicht mehr reintraut, weil die Menschen sich dort radikalisiert haben. Wir stehen vor einem massiven Problem mit einer Welle von radikalen Muslimen. Wenn man das ausspricht, wird man in Österreich in die FPÖ-Ecke, bei uns in die AfD-Ecke gestellt. Aber da sage ich: Liebe Leute, ich bin eine Feministin, die aus dem linken Spektrum kommt, schaut euch doch einmal die vielen kleinen Kinder an, die Kopftücher tragen oder nicht in den Schwimmunterricht gehen dürfen. Dafür braucht es Antworten.

Ohne diese Antworten droht Marseille auch bei uns?
Absolut, auch in Deutschland und Österreich werden wir Marseille und Molenbeek haben. Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um das zu sehen. Man muss nur Herrn Erdogan anhören: Er hat es gesagt, ich fordere die Frauen in der Türkei auf, drei Kinder zu bekommen, in Europa sollen sie jeweils fünf Kinder bekommen. Das bedeutet, die von Erdogan und Milli Görüs verfolgte Ideologie soll durch demografischen Wandel verbreitet werden.

Sie sagten einmal „Die Multikulti-Gesellschaft, so wie sie bisher gelebt wurde, ist organisierte Verantwortungslosigkeit“. Was ist die Alternative?
Man sollte aus dem Dornröschenschlaf erwachen und der Realität ins Auge blicken. Mit der Auflösung der Grenzen hat man ein Friedensprojekt in Europa geschaffen, auch als Wirtschaftsmacht ist Europa stark geworden durch den Zusammenschluss. Das muss auch für unsere Werte gelten. Wir müssen in Europa unsere fundamentalsten Werte verteidigen. Die Frauen- und Menschenrechte, die Trennung von Kirche und Staat sind hier hart erkämpft worden. All das soll plötzlich infrage gestellt werden, nur weil ein sehr rückwärtsgewandter Teil der Muslime sich diskriminiert fühlt, wenn sie sich dieser Werteordnung unterwerfen müssen.

Meine Lösung dafür wäre radikal: Wer in Europa leben möchte, sollte sich mit dem Friedensprojekt identifizieren. Wer das nicht möchte, kann gerne in die Türkei oder in den Iran ziehen. Europa hat sich zu einer liberaleren und offeneren Gesellschaft entwickelt, weil man immer mehr Gleichberechtigung der Geschlechter und Menschenrechte durchgesetzt hat, nicht weil wir uns rückwärtsgewandt entwickelt haben. Wer das nicht schätzt und die Burka als Freiheitssymbol betrachtet, ist hier falsch.


Seyran Ates

Das Bedrohungsszenario, welches der Berliner Rechtsanwältin, Autorin, Frauenrechtlerin Rund-um-die-Uhr-Personenschutz beschert, ist kein Abstraktes: Für die 1963 in Istanbul geborene Muslima gehören Morddrohungen und Hasstiraden in sozialen Medien zum Alltag. 1984 wäre sie dem Hass beinahe zum Opfer gefallen: Ein Auftragskiller erschoss eine ihrer Klientinnen und verletzte sie selbst lebensgefährlich. Der Tatverdächtige aus dem Umfeld der türkischen Grauen Wölfe wurde freigesprochen. Auch aus Wut darüber setzte sie ihren Kampf gegen islamische Zwangsverhüllung, Zwangsverheiratung und islamische Geschlechterapartheid fort. Sie ließ sich zur Imamin ausbilden und gründete vor einem Jahr in Berlin die liberale Ibn-Rushd-Goethe-Moschee, in der Frauen und Männer gemeinsam beten. Eine solche Moschee möchte sie auch in Wien ins Leben rufen.

Mit dem türkischstämmigen ÖVP-Nationalratsabgeordneten Efgani Dönmez gründete sie zudem die europäische Bürgerinitiative „Stop Extremism“, die eine EU-Richtlinie gegen politischen und religiösen Extremismus anstrebt.

René Charles
25. August 2018 - 12.00

Solange wie irgendeine Form von Islam die Frauen als " dem Manne untertan" behandelt, sie sich mit irgendeinem Kleidungsstück als Muslima zu erkennen geben MUSS, heiraten muss wem sie 'zugeteilt' wird, usw., brauchen wir in Europa diesen Glauben, den der Engel Gabriel dem Herrn Mohamed flüsterte, hier in Europa ganz und gar nicht.