Im Kaufhaus, im Parlament, auf Irrfahrt – So erleben Luxemburger den Terror von Straßburg

Im Kaufhaus, im Parlament, auf Irrfahrt – So erleben Luxemburger den Terror von Straßburg

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Auch wenn keine Luxemburger unter den Opfern der Anschläge in Straßburg sind, so sind doch einige indirekt betroffen. Wir haben mit Luxemburgern gesprochen, die im Elsass studieren – oder dort im Europaparlament sitzen.

Die S&D-Abgeordnete Mady Delvaux ist am Dienstagabend zu Fuß auf dem Weg in ihr Hotel im Zentrum Straßburgs, als sie plötzlich nicht mehr weiterkommt. „Bei der Place de la République war plötzlich alles blockiert“, sagt sie. Bevor sie sich zu einer Freundin begibt, um da zu übernachten, hört sie auch Schüsse.

Auch die Grünen-Abgeordnete Tilly Metz ist unterwegs ins Hotel – allerdings mit dem Fahrdienst. Plötzlich erhält der Mann am Steuer eine SMS: Das Parlament soll nicht mehr verlassen werden. „Wir waren schon einige Minuten aus dem Parlament raus und haben beschlossen, doch das Hotel anzusteuern.“ Doch wie für Mady Delvaux ist auch für Metz kein Durchkommen: Immer neue Straßensperren führen bald dazu, dass die Fahrt im Kreis geht.

Etwa zur gleichen Zeit bummelt Maryse Kelsen, die Assistentin des EVP-Abgeordneten Georges Bach, durch das Printemps, ein Kaufhaus in der Nähe des Weihnachtsmarkts. „Ich wollte gerade hinausgehen, da kamen Menschen die Straße entlang gerannt“, erinnert sie sich. „Es gab Geschrei und Gekreische. Sie riefen, dass es eine Schießerei gegeben habe.“

Alle anderen Geschäfte hatten schon geschlossen. Und weil es in der Nähe auch keine Cafés oder Restaurants gab, in die die Menschen hätten flüchten können, drängten die Menschen in das Printemps. „Als die große Gruppe drin war, haben die Sicherheitsleute die Läden heruntergelassen.“

Christelle May ist einer der 48.000 vorwiegend jungen Menschen, die in Straßburg studieren. Vor ein paar Tagen bummelte sie selbst noch über den Weihnachtsmarkt, am Dienstagabend ist sie allerdings in ihrer Wohnung, die etwas abseits des Zentrums liegt. „Gegen 20.20 Uhr hat sich eine Freundin bei mir gemeldet und mir mitgeteilt, dass es zu einer Schießerei gekommen sei“, erklärt sie dem Tageblatt. Zeitgleich tauchen die ersten Videos und Bilder in den sozialen Medien auf. May setzt sich an ihren Computer. Als Mitglied des Studentenzirkels Association des Luxembourgeois aux Universités de Strasbourg (ALUS) will sie über Facebook so viele Leute wie möglich kontaktieren – um sie zu warnen, dass sie auf keinen Fall ins Zentrum kommen.

Eine Warnung der ALUS erreicht ihre Kommilitonin Conny Palzer: „Wir sollten zuhause bleiben, weil es eine Schießerei gegeben habe, hieß es.“ Bald erhält sie Videos von anderen Studenten, die in dem Gebiet wohnen, in dem geschossen wurde. Zu sehen sind Polizeieinheiten, die die Straße sichern und Anweisungen rufen.

EVP-Assistentin Maryse Kelsen richtet sich derweil mit etwa 60 anderen Geflüchteten im abgeriegelten Kaufhaus ein (Foto: M. Kelsen) – nachdem die Polizei entschieden hatte, dass alle erst einmal im Gebäude bleiben sollen. „Die Mitarbeiter sind sehr nett gewesen und haben Wasser und Gebäck verteilt“, sagt Kelsen.

Trotzdem kommt für viele der Aufenthalt im abgeriegelten Geschäft einem Albtraum gleich – nach dem, was sie gerade erlebt haben. Nachdem sie vielleicht gerade einem um sich schießenden Attentäter entgangen sind.

„Die Menschen, die mittendrin gewesen waren, waren panisch“, erinnert sich Kelsen. „Sie haben gesagt, dass sie Schüsse gehört haben. Dass Leute gerufen haben: ‚Nur weg hier.'“ Dann rannte alles los. „Menschen wurden zu Boden gestoßen. Manche kamen mit kaputten Kleidern.“ Im Kaufhaus harren die Menschen etwa eine Stunde aus, bis eine neue Nachricht sie weiter erschüttert: Gingen sie bisher von einer persönlich motivierten Schießerei aus, kommen jetzt neue Einschätzungen herein. „Man sagte, es handele sich wohl um einen Terroranschlag. Und dass wir lieber ins Untergeschoss gehen sollten.“

Tilly Metz und ihr Fahrer haben beschlossen, doch wieder zum Parlament zu fahren – das sich aber im Lockdown befindet: Niemand soll heraus – und auch niemand hinein. „Die Security hat meine Zugangsberechtigung dann auch sehr lange kontrolliert und telefoniert.“ Dann kommt das O.k., hineinzufahren. „Aber das ging wirklich ruckzuck: Tor auf, Tor zu“, sagt Metz.

Das europäische Parlament bei Nacht (Symbolfoto)

Die Studentin Christelle May verbringt die Nacht in ihrer Wohnung – während hoch über ihr dröhnende Helikopter den Nachthimmel von Straßburg durchfliegen. „Das hat bei mir ein ganz mulmiges Gefühl ausgelöst“, sagt die Studentin. Ihre Kommilitonen, die zum Zeitpunkt der Schießerei in der Uni-Bibliothek waren, dürfen diese bis 0.30 Uhr nicht verlassen.

Maryse Kelsen hat sich mit den anderen Menschen inzwischen ins Untergeschoss des Printemps begeben. „Teilweise haben die Leute auf dem Boden gesessen, teilweise wurden uns auch Stühle gebracht.“ Die Mitarbeiter öffnen sogar eine Art Salon, der normalerweise für andere Anlässe bereit steht.

Um 23.30 Uhr erklärt ein Polizist endlich, dass die Menschen herauskommen können. Kelsen ist erleichtert.  „Ich dachte, jetzt ist alles gut. Aber als ich herauskam, war noch nichts gut.“ Die gesamte Innenstadt ist noch durch die Ordnungskräfte umzingelt, das Zentrum abgesperrt. Und der Täter noch immer auf der Flucht. „Wieso sind wir draußen, was hat sich geändert?“, fragt sich Kelsen. „Ich konnte auch nicht in mein Hotel. Ich stand stundenlang in der Kälte auf der Straße.“

Als Tilly Metz zurück ins Parlament gelangt, das noch im Lockdown ist, begibt sie sich in die Cafeteria. Dort harren viele andere Menschen aus. Rund 2.000 Leute sind im Gebäude. „Ich habe zwar auch ein Büro im Parlament, aber in solchen Momenten sucht man ja auch irgendwie die Nähe von anderen.“ Die Abgeordnete, die erst seit Juli im Amt ist, beeindruckt besonders die professionelle Gelassenheit, mit der die Mitarbeiter im Parlament weiter ihre Arbeit machen. Für manche ist es allerdings auch nicht das erste Mal.

Metz’ Büroleiter Meris Sehovic hat etwa die Anschläge von Brüssel vor drei Jahren miterlebt. „Damals wurden eine Menge Lehren gezogen und Systeme entwickelt, um die Leute zuverlässig zu informieren und den sicheren Verbleib der Mitarbeiter zu klären“, sagt Sehovic. Er telefoniert mit dem Tageblatt, als er am Mittwochmittag gerade wieder auf dem Weg ins Parlament ist. „Auf den ersten Blick ist in der Stadt alles wie immer“, sagt er. „Aber dann sieht man doch, dass viele Leute ziemlich ernst schauen.“

An Schlüsselpunkten in der Stadt sieht er schwer bewaffnete Polizeieinheiten. Trotzdem kommt er gut durch. Nur einmal muss er seinen Rucksack zur Kontrolle vorzeigen. „Irgendwie ist die Stimmung immer noch surreal“, findet er – und benutzt damit das gleiche Wort wie seine Chefin am späteren Nachmittag.

Da steht Tilly Metz nach den Parlamentssitzungen in ihrem Büro. „Im Plenarsaal kamen von der extremen Rechten sofort Bemerkungen in der Art, dass das ja Frankreichs eigene Schuld sei. Zum Glück war das schnell vorbei“, sagt Metz. Von ihrem Büro blickt sie normalerweise weit über Straßburg. Jetzt liegt Nebel über der Stadt. „Das passt gut zur Stimmung.“