Ich revolutioniere, also bin ich

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Im vergangenen Jahr wurde die Rifkin-Strategie für Luxemburg mit großem Pomp vorgestellt. Seitdem fanden Konferenzen statt, in Arbeitszirkeln wurden Details diskutiert, wie der Übergang Luxemburgs in die dritte industrielle Revolution stattfinden könnte. Nach einer Zwischenbilanz des Rifkin-Prozesses gestern (siehe auf nebenstehender Seite) findet kommende Woche im Parlament eine „Konsultationsdebatte“ zum Bericht des Soziologen und Zukunftsforschers Jeremy Rifkin statt. An dieser Stelle zwei Ansichten zu dieser Zukunftsstrategie für Luxemburg.

Soziale Dimension fehlt

Eigentlich ist Jeremy Rifkin ganz schön raffiniert. Er verkauft Staaten frei zugängliche Ideologiehäppchen und überlässt es seinen Auftraggebern am Ende selber, utopisch anmutende Visionen umzusetzen. Darauf muss man erst mal kommen. Prinzipiell ist es zunächst begrüßenswert, dass auch in Luxemburg die neoliberalen Wirtschaftsmodelle, die seit den 80er-Jahren Wahl- und Regierungsprogramme schmücken, infrage gestellt werden. Doch werden sie das tatsächlich? Oder ist die ganze Rifkin-Manie vielmehr Ausdruck einer Visionslosigkeit der luxemburgischen Politelite, die über die Parteigrenzen hinweg identisch argumentiert, austauschbar wirkt und es zum Teil auch ist?

Rifkin weist selbst immer wieder darauf hin, dass die kapitalistische Gesellschaftsordnung bis Mitte des 21. Jahrhunderts Bestand haben und gemeinsam mit der „Shared Economy“ und weiteren Formen des Wirtschaftens eine hybride Weltwirtschaftsordnung bilden wird. Klartext: Auch der nette Herr Rifkin wird so schnell nichts an den bestehenden Wirtschaftsverhältnissen ändern. Glänzen tut er wiederum in seinem analytischen Verständnis der bestehenden kapitalistischen Gesellschaftsmodelle und ihrer Entwicklung. Allerdings finden sich bei Rifkin trotz all seiner mit Blick auf Technologie- und Energieversorgungsfragen anregenden Thesen kaum Hinweise zum sozialen Fortschritt. Und genau hierin liegt gerade vor dem Hintergrund der Anwendung in Luxemburg das eigentliche Problem der Rifkin’schen Zukunftsvision: Ihr fehlt eine philosophische Grundlage. Rifkin argumentiert und gestaltet lediglich aus einer rein wirtschaftsliberalen Perspektive: Die ganze Welt wird in der dritten industriellen Revolution quasi ohne menschliches Zutun vom technologischen Fortschritt überrollt, den es anzunehmen gilt. Wie wichtig jedoch in dieser Hinsicht regulatorische Kräfte der Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft sind, blendet Rifkin oft in seinen Überlegungen aus. Zumindest ist er sich dieser Tatsache bewusst. So weist er in Interviews darauf hin, dass die aktuellen Entwicklungen auf einem Paradox beruhten: Die unsichtbare Hand des Marktes habe, so Rifkin, Erfolg, weil sie die Wirtschaft des Teilens schaffe. Solche steilen Thesen müssen einem erst mal angesichts der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise einfallen …

Zugegeben: Das Herz eines jeden Technik-Nerds schlägt beim Gedanken höher, dass irgendwann nach Belieben mit 3D-Druckern gearbeitet und produziert werden kann. Allerdings ändern all diese Vorstellungen nichts an der Tatsache, dass Rifkin Fragen des Sozialkapitals und Fehlentwicklungen in seinen Überlegungen ausklammert. Er begeht die gleichen Fehler wie viele Wirtschaftswissenschaftler, die bei ihren Modellen Technologie, nicht aber den damit verbundenen normativen Zusammenhalt berücksichtigen. Denn es sind diese Normen, die es erst ermöglichen, dass eine Wirtschaftsordnung von den Luxemburgern als legitim empfunden wird. Wie dies jedoch geschehen soll, wenn Luxemburg einerseits der „Let’s make it happen“-Saubermann sein will, andererseits ein Spielplatz für Steuerschlingel ist, kann niemand beantworten.

Dabei sind es gerade Fragen wie Steuergerechtigkeit, soziale Ungleichheit und Monopolstellungen von Unternehmen, die auch in Luxemburg akut sind. Lediglich unsere Politiker können sie beantworten: mit mehr sozialem und philosophischem Mut.

Dhiraj Sabharwal, dsabharwal@tageblatt.lu

Notwendiger Denkanstoß

Als Spinner wird er von seinen Gegnern abgetan: der US-amerikanische Soziologe, Ökonomist und Zukunftsforscher Jeremy Rifkin. Seit Jahren schon propagiert er seine Vorstellungen von der dritten industriellen Revolution (TIR). Ihr hat er Bücher und Konferenzen gewidmet. Die Revolution, die wir derzeit erleben, von der Digitalisierung vorangetrieben, verändert die Welt der Produktion und das gesellschaftliche Zusammenleben grundlegend, so seine Grundthese. Insbesondere die klassische Art der Energiegewinnung ist überlebt. Aus Konsumenten werden „Prosumenten“, also Produzenten und Konsumenten von Energie.

Dass sich unsere Gesellschaft und unser Land ändern, ist auch für den ersichtlich, der nichts mit dem Namen Rifkin am Hut hat. Wer hätte vor zehn Jahren – vor genau einem Jahrzehnt kam das erste iPhone auf den Markt – voraussagen können, dass fast jeder Luxemburger heute einen Minicomputer in Form eines Smartphones in der Tasche tragen wird; ein Gerät, dessen Rechenleistung um ein Vielfaches jene der handelsüblichen Personal Computer von damals übersteigt?

Diese Digitalisierungswelle setzt sich unvermindert fort. Nur Rückwärtsgewandte und andere Nostalgiker werden anmerken, dass man das ganze digitale Zeug nicht braucht, dass das nur eine Modeerscheinung ist, genauso wie superbreite Hosen für Männer in den 1970er-Jahren.

Dass die Luxemburger Regierung einen Zukunftsforscher und Visionär wie Rifkin mit einer Studie beauftragte, in welche Richtung sich Luxemburg entwickeln soll, finde ich absolut begrüßenswert. Endlich machen sich Politiker in der Verantwortung echte Gedanken darüber, wie Luxemburg morgen aussehen könnte, wie seine Gesellschaft sich auf diesen Weg dorthin vorbereiten kann. Wobei es natürlich kein bis ins letzte Detail genaues Zukunftsbild geben kann.

Die Rifkin-Studie soll Denkanstöße liefern, die wichtigen gesellschaftlichen Akteure an einen Tisch zusammenbringen, um gemeinsam an einer planmäßigen Entwicklung des Landes zu arbeiten. Denn die Digitalisierung wird die Wirtschaft, die Arbeitswelt und das Zusammenleben weiterhin verändern, ob konservativ ausgerichtete Unternehmen und Gewerkschaften das wollen oder nicht.

Nicht nur Arbeitsplätze, die derzeit von minderqualifizierten Beschäftigten besetzt werden, werden verschwinden. Unter Druck geraten auch Arbeitnehmer, die sich bisher wegen ihrer hohen Qualifikation, ihres renommierten Studienabschlusses eigentlich keine Sorgen um ihre berufliche Zukunft machen mussten. Unter Druck geraten wird schließlich auch das bislang gültige Finanzierungsmodell unserer Sozialversicherung.

Für ein kleines Land sind derlei Herausforderungen schwerwiegender als für seine größeren Nachbarn. Es muss schneller reagieren. Dass Luxemburg dies durchaus gelingt, hat es mit der Stahlkrise der 1980er-Jahre gezeigt. Schneller als seine Nachbarländer hat es damals auf neue Bereiche umgesattelt und damit das Land vor einer Katastrophe bewahrt. Das gelang, weil Politik, Wirtschaft und Gewerkschaften als damals dominante Salariatsvertreter an einem Strang zogen.

Das sollte weiterhin möglich werden. Die Rifkin-Studie liefert die Blaupause. Mit Inhalt gefüllt werden muss das Projekt von der Politik, der Wirtschaft und den anderen gesellschaftlichen Akteuren.

Lucien Montebrusco, lmontebrusco@tageblatt.lu

Lesen Sie auch: Rifkin-Prozess: Zwischenbilanz einer Vision

J.C. KEMP
10. November 2017 - 21.14

Nobelpreisträger? Wo denn, wie denn, was denn?

René Charles
10. November 2017 - 20.49

Hien as ee gudde vendeur. "Omm." Politiker, déi selwer vu villes keng Ahnung hun, bieden hien einfach mol un. A weisen bei all Ried wéi glécklech se sin déiselwecht Visio'unen ze hun. Am Fong as ët eng Opzielung vun all Punkten, déi méi oder wéineger jiddereen iergendwéi betreffen/ploen, awer guer nët Léisungen fir all eenzelt Land kann hier gin. Insofern wertlos well dat 'sech zesumme sëtzen' längst ugeregt as, vill der awer guer nët matmaachen well se am Alleingang wëlle glänzen fir kommend Walen, an dat op Europa- an Landesniveau.

Ekojhang
10. November 2017 - 19.47

Es freut einen doch zu lesen dass wir von der dritten industriellen Revolution sprechen. Anscheinend hat Rifkin und seine luxemburgischen politischen Jünger noch nichts vom ökonomischen Forum von Davos gehört wo 2016 schon von der vierten industriellen Revolution gesprochen wurde und auf die sozialen Konsequenzen aufmerksam gemacht wurden. Bravo Politiker, man ist mal wieder von der Unwissenheit eingeholt worden!

luss
10. November 2017 - 19.02

Herr Montebrusco ich stimme ihnen voll zu. In den vergangenen Tagen haben sich in Kommentaren Leute ueber Lebensmittelverschwendung , Cattenon,Energiekosten,Index Klimawandel erregt. Kreislaufwirtschaft, dezentrale Energieproduktion,lokale Lebensmittelproduktion alles Bestandsteile der Rifkinstudie koenen zu oben genannten Problemen Loesungen liefern.

Jolly Joker
10. November 2017 - 15.21

Schuster bleib bei deinem Leisten gëllt nach ëmmer an iweralll!!

Marius
10. November 2017 - 14.34

Ob man von einer Rifkin Studie sprechen kann, wage ich zu bezweifeln. Eine Refkin Vision wäre eher angebracht. Der Mann war in seinem früheren Leben Schriftsteller und hat es bis zum Nobelpreisträger geschafft. Er ist also keinesfalls predestiniert wirtschaftliche Prognosen zu erstellen. Der Mann trampelt auf fremden Beeten herum. Schaut man sich die Zukunftsbücher der 60 Jahre an, stellt man fest, dass fast nichts so zugetroffen ist, wie geweissagt.Es handelte sich lediglich um Visionen von einigen kühnen Futurologen, deren Phantasie ihnen dumme Streiche gespielte hatten. Moi, je ne mange pas de ce pain là.

Serenissima, en Escher Jong
10. November 2017 - 14.26

Der Mann hat seine "angepasste"Studie" an Luxemburg verkauft die er vorher schon 2, 3 mal an andere INteressenten in der Welt verkauft hatte, sehr umstritten in den USA als Futurologe weil er ja auch kein richtiger Volkswirt ist aber eben für Etienne dans la lune der Renner..und die Regierung ist gefolgt...nun haben wir ein teures Papier auf dem Tisch und jetzt kann man endlos darüber diskutieren..Rifkin ist aber wieder abgereist..

MarcL
10. November 2017 - 12.20

In der Tat gibt die Rifkin-Studie nicht auf Alles eine Antwort, deshalb darf man auf die kommenden Nationalwahlen gespannt sein wie sich unsere Parteien dieser Herausforderung stellen. Eine Möglichkeit für Underdog-Sozialisten den Menschen neue Perspektiven zu eröffnen.

weit
10. November 2017 - 10.40

Rifkin und GAFA sind das selbe. Durch Überraschung bestehende Strukturen zu zerstören und die Macht GAFA zu übergeben.