Humor als Überlebensmittel: Die neue künstlerische Linie des Escher Theaters

Humor als Überlebensmittel: Die neue künstlerische Linie des Escher Theaters

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Vor 15 Monaten wurde Carole Lorang zur neuen Intendantin des Escher Theaters ernannt. Nachdem die junge Regisseurin eine Saison an der Seite ihres Vorgängers Charles Muller verbrachte, stellt sie nun nicht nur die neue Saison, sondern gleich auch die Neuausrichtung des Escher Theaters vor. Mithilfe von Humor und neuen Konzepten soll das Theater wieder verstärkt zu einem öffentlichen, leicht zugänglichen Ort werden. Wir haben uns mit der Intendantin unterhalten.

Im lichtdurchfluteten Café Diva kann man eigentlich sehr gut Interviews führen. Würde da nicht ständig Eldoradio – der Radiosender mit der wohl schlechtesten Musikprogrammierung im Land – laufen. Die stumpfen Beats und Plastik-Synthies stören das Gespräch mit der neuen Intendantin so sehr, dass wir uns schnell einig sind und die nette Bedienung fragen, ob sie die Lautstärke nicht etwas runterfahren soll.

Die Intendantin hat nämlich so einiges zu erzählen, erwähnt mit Enthusiasmus ihre anstehende erste Saison, die Thematiken und Künstler, die ihr am Herzen liegen, und die konkreten Maßnahmen, mit denen sie das Theater wieder verstärkt (aber nicht nur) unter die Escher bringen will.

Die neue Intendantin Carole Lorang …

Das neue Logo steht da für eine künstlerische Linie, die viele Neuerungen verspricht – über ein Jahr lang war Carole Lorang sich Stücke anschauen, hat überlegt, wie sie ihre Visionen umsetzen und zeitgleich ein buntes, vielfältiges, interdisziplinäres Programm aufstellen kann, um ein ebenso buntes und vielfältiges Publikum ins Theater zu locken.

„Eigentlich war es gut, dass ich bereits im März 2018 hier anfing, ohne sofort eine komplette Saison programmieren zu müssen. So konnte ich mich mit dem Escher Terrain vertraut machen. Wir haben im Laufe des Jahres beispielsweise Umfragen gemacht, um herauszufinden, was unsere Zuschauer eigentlich am meisten interessiert.

Es stellte sich schnell heraus, dass wir ein offenes Theater wollen, ein Theater, zu dem man – sowohl physisch als auch symbolisch – leichten Zugang finden kann. Dabei geht es nicht nur darum, Theaterstücke in einem bestimmten Ort zu zeigen, sondern eben auch darum, das Theater als gesellschaftliche Kunstform unter die Menschen des Südens zu bringen.“
Das Layout der Broschüre deutet dies bereits an: Darauf sieht man eine Reihe von Fotografien von Patrick Galbats, der den Escher Alltag einfing – dieser wird aber auf humoristische Art und Weise leicht entstellt.

Choreografin Simone Mousset

„Humor wird für mich der Leitfaden der neuen Programmierung sein. Ich mag Stücke, die via Humor und Selbstironie eine gewisse Distanz einführen. Humor als Kunstform, aber auch als metaphysische Einstellung gegenüber den oftmals dunklen Schicksalsschlägen unserer Existenzen, Humor als Überlebensform, aber auch als Sprungbrett – weil man über das Lachen schneller zu den Zuschauern findet, die das Theater als zu verkopft ansehen.“ Unter den verschiedenen Neuerungen finden sich auch aktive Bemühungen, das Theater zu einem Inklusionsort zu machen. „Theater soll nicht bloß ein hermetisch geschlossener Ort sein, an dem wir Aufführungen anbieten“, so Lorang.

Das Theater öffnen

Weswegen Carole Lorang und ihr Team für die kommende Saison eine Reihe an Konzepten versuchen, mit denen das Theater vor oder nach dem Schauspiel weitergeführt wird. Ein Zuschauerclub erlaubt es, bei auserwählten Stücken öffentliche Proben zu besuchen und Künstler auf einen Drink zu treffen. „Solche Zuschauerclubs gab es bereits zu meinen Studienzeiten. Und ich war stets hellauf begeistert von den Begegnungsmöglichkeiten, die es da gab.“

Für all diejenigen, die ungern allein ins Theater gehen, wird eine Plattform Mitfahrgelegenheiten anbieten – jeder, der ins Theater fährt und jemanden mitnehmen möchte, kann dies angeben, derjenige, der nicht weiß, wie er dahinkommt oder einfach von der Gesellschaft anderer Theaterfans profitieren möchte, wird dann per Mail benachrichtigt.
Zudem werden in der Broschüre Lehrern die möglichen Schulvorstellungen mitgeteilt, während auserwählter Sonntagsaufführungen können Familien ihre Kinder von einem Theaterpädagogen betreuen lassen, während die Eltern mal wieder ins Theater können.
Auch bei den Pässen passt sich das neue Escher Theater an verschiedene Profile an – für Gelegenheitsinteressenten lohnt sich der „Ich mag, was ihr macht“-Pass (25 Euro), bei dem es danach bis zu 60 Prozent Rabatt gibt, beim „Je suis un mordu“-Pass gibt es für 220 Euro unbegrenzten Zugang zu allen Spektakeln.

Die Choreographin Simone Mousset wird für die drei kommenden Jahre (also bis 2022) die „artiste associée“ sein. Was dies konkret bedeutet? „Simone wird die Möglichkeit haben, jedes Jahr ein Projekt bei uns aufzuführen. Damit kann sich die Künstlerin verstärkt auf den Schaffensprozess konzentrieren und verliert weniger Zeit mit Produktionsfragen. Wir können ihr außerdem beim Vertrieb helfen – auch wenn sich das neue Escher Theater erst mal selbst in Netzwerke einflechten muss.“

Residenzen, Nachhaltigkeit und ein Tresen

Eine wesentliche Idee war außerdem, das Problem der Kurzlebigkeit luxemburgischer Theaterproduktionen zumindest ansatzweise zu lösen. „Das Escher Theater war immer auch ein ‚théâtre d’accueil‘. Aber wir möchten halt auch etwas für die hiesige Kreation tun. Und da stellte sich die Frage nach der Nachhaltigkeit.“ Oftmals ist es in Luxemburg nämlich so, dass ganze Inszenierungen oder Theatertexte nach nur ein paar Aufführungen in einer Schublade (oder auf einer Festplatte) verschwinden.

„Die Idee ist es, Projekte, die bereits einige Jahre auf dem Buckel haben, wieder aufleben zu lassen – nur unter einer anderen Form. Dies ergibt sich teilweise von selbst, da der Künstler das damalige Projekt neu bearbeitet, seine Erfahrungen, die er in der Zwischenzeit gewonnen hat, mit einfließen lässt. So wird Simone Mousset ihrem Projekt „Bal“ ein zweites Leben einhauchen.“

Doch damit nicht genug: Der Monolog „Monocle“ von Stéphane Ghislain Roussel mit Luc Schiltz wird so erneut aufgeführt, das Stück soll jedoch mit Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ musikalisch fusionieren.

„Voir la feuille à l’envers“ soll an anderer Stelle erneut gezeigt werden

Und Renelde Pierlots immersives, vielgelobtes „Voir la feuille à l’envers“, das die Sexualität von Sträflingen, Invaliden und älteren Menschen darstellt – und das in dieser Saison nur sehr kurz aufgeführt wurde –, soll in Esch an anderer Stelle gezeigt werden – der genaue Ort soll zurzeit aber noch nicht verraten werden. Das Escher Theater wird unter Carole Lorangs Leitung dem Escher Kulturplan folgen und setzt stark auf die Zusammenarbeit mit anderen kulturellen Institutionen – da wären die Kufa (für Flamenco und Clowns), die Escher Bibliothek (für deren Hundertjahrfeier eine Ausstellung und eine „séance académique“ im Theater geplant sind), das Escher Konservatorium, aber auch erstmalig eine Partnerschaft mit der Rockhal („Scala“, ein Stück das Tanz, Zirkus und Magie verbindet) – so wird eine kulturelle Brücke zwischen Esch und Belval geschlagen.

Wie Kulturschöffe Pim Knaff am Ende der gestrigen Pressekonferenz verkündete, ist mit der Aufbesserung der Bewirtung der Theatergänger ein weiterer Schritt Richtung Öffnung geplant: Ein Tresen soll zusätzlich zu der Bar im ersten Stock errichtet werden – und die Räumlichkeiten auf dem dritten Stockwerk, die zurzeit ein Restaurant beherbergen, möchte man auch wieder für das Theater nutzen können.