Österreich: Sozialdemokraten wollen bei EU-Wahl Trendwende schaffen

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Die Chancen stehen angesichts erster Turbulenzen in der Kurz-Regierung gar nicht schlecht: Bei der EU-Wahl möchten Österreichs Sozialdemokraten endlich aus dem Jammertal kommen.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer

Auch wenn Bundeskanzler Sebastian Kurz noch in lichten Popularitätshöhen schwebt, sieht die SPÖ Licht am Ende ihres langen Tunnels. Bei den Arbeiterkammerwahlen im März haben die Genossen fast in allen Bundesländern teils sogar deutlich zulegen können. In Oberösterreich etwa baute die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) ihre vor fünf Jahren errungenen Zwei-Drittel-Mehrheit auf 71 Prozent der Stimmen aus. Der ÖVP-Arbeitnehmerbund (ÖAAB) musste dagegen in fast allen Bundesländern mehr oder weniger starke Einbußen hinnehmen. In Wien ist der ÖAAB nur noch einstellig.

Die Wahlen zu den Arbeitnehmerparlamenten bedeuten zwar kein Abbild der generellen Stimmungslage, sind aber für Österreichs Genossen gerade der Strohhalm, an dem sie sich festhalten und wie an einer Liane zum nächsten Wahlerfolg schwingen wollen. Deshalb waren die ansonsten nicht im Rampenlicht stehenden Arbeiterkämmerer am Samstag auch die heimlichen Stars, als die SPÖ in einer ehemaligen Brotfabrik in Wien mit dem EU-Spitzenkandidaten Frans Timmermans ihren EU-Wahlkampf startete.

SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner sprach von einem „Rückensturm“, den man aus den AK-Wahlen mitgenommen habe. Und tatsächlich präsentierte sich die oberste Genossin etwas stürmischer, sprich: angriffiger als man es von ihr gewohnt ist. Nicht nur die AK-Wahl lässt die SPÖ Morgenluft wittern, auch die erste größere Krise in der ÖVP-FPÖ-Koalition trägt zum Optimismus bei. Die verschwommenen Grenzen zwischen FPÖ und den vom Christchurch-Attentäter im Vorjahr mit einer Spende bedachten Identitären haben den türkisblauen Haussegen erstmals in Schieflage gebracht.

Brandgefährliche „Kellernazis“

Rendi-Wagner nannte Kurz „Türöffner für Rechtsextreme“. Der Kanzler ist erstmals in der Defensive. Öffentlich lieferte er sich mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache eine Auseinandersetzung über die mangelnde Abgrenzung der FPÖ zu den Rechtsextremisten. Konkret fordert er ein EU-weites Rechtsextremisten-Verbotsgesetz nach dem Vorbild des österreichischen NS-Wiederbetätigungsgesetzes.

SPÖ-Spitzenkandidat Andreas Schieder widmete einen großen Teil seiner Rede diesem Thema. „Die Kellernazis kommen wieder aus den Löchern“ und seien schon „im Erdgeschoss unserer Gesellschaft angekommen“, warnte Schieder und attackierte den ÖVP-Spitzenkandidaten Othmar Karas, der ihn an Max Frischs „Biedermann und Brandstifter“ erinnere. Karas ist bekanntlich ein prononcierter FPÖ-Gegner, hat sich aber ungeachtet der Koalition seiner Partei mit den Blauen wieder als Nummer eins aufstellen lassen. Er matcht sich zwar öffentlich mit FPÖ-Frontmann Harald Vilimsky, Schieder erinnert aber daran, dass ein Brand mit einem Feuerlöscher bekämpft werden müsse – und dieser sei eben rot.

Nachdem sich ÖVP-Chef Kurz inzwischen mit einem antiidentitären Abgrenzungsschwur Straches zufriedengegeben hat, könnte das gegenwärtige Topthema bis zur EU-Wahl am 26. Mai aber an Bedeutung verloren haben, auch wenn die Opposition den Blauen die Distanzierung von den Identitären nicht abnimmt. Deshalb sollte es nicht schaden, wenn sich die SPÖ auch anderweitig klar positioniert. Sie tut es im Wahlprogramm mit einer Rückbesinnung auf die sozialdemokratischen Wurzeln.

Neben dem Kampf gegen die „Europa-Zerstörer“ wie Ungarns Premier Viktor Orban und Italiens Innenminister Matteo Salvini geht es dort vor allem um soziale Themen. Die SPÖ gibt sich den „Auftrag, Politik zu machen für die Menschen in unserem Land und nicht für Konzerne und reiche GeldgeberInnen“. Konkret werden die Einführung europaweiter Mindestlöhne und soziale Mindeststandards gefordert. Google und Co. sollen durch die Einrichtung digitaler Betriebsstätten verpflichtet werden, auch vor Ort erreichbar und besteuerbar zu sein.

Offenes Rennen um Platz eins

Für den europäischen Mindestlohn sprach sich auch S&E-Spitzenkandidat Timmermans aus. An gleicher Stelle für gleiche Arbeit den gleichen Lohn zu bezahlen, sei das beste Mittel gegen Hass, spannte der Niederländer den Bogen zum großen Thema Rechtsextremismus und Nationalismus. Den Parolen der Nationalisten müsse man eine entsprechende Sozialpolitik entgegenhalten.

Das Rennen um Platz eins scheint noch offen. In der vorige Woche vom EU-Parlament veröffentlichten Wahlprognose, die auf einer Zusammenfassung verschiedener Umfragen beruht, liegt die ÖVP zwar mit 28 Prozent klar in Führung, was gegenüber der Wahl 2014 ein angesichts des Kurz-Hypes gar nicht so beeindruckendes Plus von einem Prozentpunkt bedeutet.

Die SPÖ würde sich demnach von 24 auf 26 Prozent steigern, was eine Trendumkehr und sogar noch eine gewisse Chance auf Platz eins bedeutet. Die FPÖ würde nach dieser Prognose von 19,7 auf 23 Prozent zulegen. Sie wurde allerdings vor Beginn der Affäre um die Identitären und deren vielfältige Querverbindungen zur FPÖ erstellt.