Hinter Gittern: Luxemburgs neues Gefängnis in Sanem

Hinter Gittern: Luxemburgs neues Gefängnis in Sanem

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Wer von der „Collectrice du Sud“ in Richtung Sanem fährt, kann den Bau des neuen Gefängnisses auf „Uerschterhaff“ nicht übersehen. Die etwa zehn Meter hohen Mauern ragen bereits in den Himmel. Auch der Rohbau steht zu großen Teilen. Im Mai 2022 soll die Strafanstalt für Untersuchungshäftlinge bezugsfertig sein.

Die Arbeiten zum Bau des Gefängnisses in Sanem begannen im Mai vergangenen Jahres. Heute sind bereits die ersten Umrisse der Haftanstalt deutlich zu erkennen. Zurzeit sind die Arbeiter dabei, den Rohbau des Hochsicherheitstraktes fertigzustellen, der noch vor Beginn des Kollektivurlaubs endgültig stehen soll. Die nächste Etappe wird laut dem Ministerium für Nachhaltige Entwicklung und Infrastruktur die Installation der technischen Komponenten und sämtlicher Sicherheitsschleusen sein.

Eine Besichtigung der Baustelle wurde uns vom Ministerium leider verwehrt. „Es handelt sich um einen Bau, der den modernsten Sicherheitsmaßnahmen entspricht. Nur die Arbeiter haben Zugang“, hieß es. Der Kostenpunkt des gesamten Projektes beläuft sich auf 155.650.000 Euro. Dies wurde im Gesetzesprojekt im Oktober 2012 festgehalten. Das neue Gefängnis ist nur für Untersuchungshäftlinge gedacht. Ausgelegt ist die Haftanstalt für 400 Gefangene. Laut Ministerium sollen rund 200 Personen im neuen Gefängnis arbeiten.

Renovierungsarbeiten in Schrassig geplant

Zurzeit befinden sich sowohl die verurteilten Gefangenen als auch die Untersuchungshäftlinge in der Schrassiger Haftanstalt, die bekanntlich aus allen Nähten platzt. In nächster Zukunft sollen dort Renovierungsarbeiten stattfinden, heißt es vom Ministerium, ohne aber weitere Details zu nennen.

Am 24. März 2016 wurde das Projekt der neuen Anstalt in Sanem den Einwohnern vorgestellt. Nicht alle sind damit einverstanden. Henri, ein Anrainer, erklärte dem Tageblatt gegenüber, dass ihn künftig beim Gassigehen mit seinem Hund wohl ein mulmiges Gefühl begleiten wird. „In Zukunft wird dies ein Ort der Kriminellen sein“, sagt er. Es gibt aber auch andere Stimmen: Für Laetitia, Angestellte einer Tankstelle ganz in der Nähe, wird die Strafanstalt nichts ändern: „Angst vor eventuellen Überfällen habe ich keine.“ Das neue Gefängnis sei ausbruchsicher, ist sie überzeugt. Es müsse auch Platz für solche Leute geschaffen werden, meint seinerseits Rodrigo. Auch er macht sich keine Sorgen um seine Sicherheit.

„Wir sahen das als Solidaritätsakt“

Laut Bürgermeister Georges Engel setze sich die Gemeinde bereits seit rund zehn Jahren mit dem Projekt auseinander: „Wir haben das ganze Unternehmen nur unter gewissen Bedingungen angenommen. Unter anderem verlangten wir, dass ein Lärm- und Sichtschutz installiert wird. Es sollen auch noch Bäume angepflanzt werden, wurde uns versichert.“ Darüber hinaus versprach das Ministerium Kompensationsmaßnahmen: „Vor allem bei öffentlichen Gebäuden wie Schulen, Einrichtungen der Rettungsdienste oder Sporthallen sollte der Zuschuss höher ausfallen“, sagt Engel.

Eine weitere Kompensationsmaßnahme sieht ein drei Hektar großes Areal vor, auf dem künftig ein Nebenstandort des CHEM gebaut werden soll. „Wir wussten, dass keine Gemeinde die Haftanstalt auf ihrem Gelände haben wollte. Wir sahen dies als Solidaritätsakt, denn ein zusätzliches Gefängnis ist notwendig. Wir als Gemeindeverantwortliche und auch die meisten unserer Einwohner sind der Meinung, dass die Haftanstalt kein Risiko darstellt. In den letzten sieben Jahren gab es keine einzige Flucht aus Schrassig. In den vergangenen 20 Jahren gab es deren vielleicht fünf. Damit können wir leben“, meint der Bürgermeister.


Dort, wo niemand sein will …

In Luxemburg gibt es zurzeit eine geschlossene und eine offene Vollzugsanstalt:
das Gefängnis in Schrassig und das „Centre pénitenciaire de Givenich“. Beide Einrichtungen unterstehen dem Justizministerium, während die Jugendanstalt in Dreiborn vom Ministerium für Bildung, Kinder und Jugend verwaltet wird.

Die Haftanstalt in Schrassig platzt so ziemlich aus allen Nähten. Das Problem ist schon lange bekannt. Zurzeit befinden sich dort rund 600 Insassen. Ausgelegt ist das Gefängnis aber für höchstens 550 Personen. Sowohl Untersuchungshäftlinge als auch endgültig verurteilte Straftäter sind hier untergebracht. Mit dem Bau der neuen Justizvollzugsanstalt in Sanem soll sich die Situation bald verbessern. Hier werden nämlich in Zukunft alle U-Häftlinge hinkommen.

Als „Schraasseg“ 1984 geöffnet wurde, konnten dort bis zu 160 Insassen eingesperrt werden. Im Laufe der Jahre musste die Haftanstalt jedoch mehrfach ausgebaut werden. Vor dieser Zeit befand sich das Gefängnis von Luxemburg im Stadtviertel Grund, dort, wo heute das Kulturzentrum „neimënster“ ist. Zwischen 1869 und 1984 war dies der Ort, wo Gangster und Banditen ihre Strafe verbüßten. In den 50er-Jahren wurde darüber nachgedacht, die Insassen des Grund umzusiedeln. Doch alle Pläne scheiterten. Erst 1982 konnte der damalige Justizminister Robert Krieps das Projekt der Haftanstalt Schrassig vorstellen. Vor 1869 gab es an verschiedenen Standorten der Stadt Luxemburg einzelne Kerker. Dort wurde zum Teil noch gefoltert oder die Todesstrafe vollstreckt.


Ein „Club Med“ in den Augen der Russen

Guy Peiffer (68) saß insgesamt 24 Jahre und neun Monate in Haft. Er wurde wegen Doppelmordes zu lebenslanger Haft verurteilt und zu 15 Jahren wegen Kokainhandels im großen Stil. Zu Unrecht, wie er heute noch immer betont. Im April 2014 wurde er entlassen. Für den heute 68-Jährigen war die Zeit im Gefängnis vor allem an Wochenenden und Feiertagen sehr hart. „Das waren die Tage, die man vor der Haft mit der Familie verbrachte. Doch eigentlich ist das Leben nicht anders als draußen. Man ist eben nur eingesperrt. Tagsüber kann man einer Arbeit nachgehen. Ich habe in der Küche gearbeitet und bin meinem Hobby, der Töpferei, nachgegangen“, erklärte Peiffer in einem Tageblatt-Interview im Januar 2015.

Viel Kontakt mit anderen Gefangenen hatte Peiffer nie. Er lebte stets zurückgezogen. In Schrassig hätte man eh keine guten Freunde. Die „Kundschaft“ wechsele zudem ständig. „Ein sehr positiver Punkt ist, dass es mittlerweile in Schrassig verschiedene Möglichkeiten gibt, sich weiterzubilden. Es werden beispielsweise Informatik- oder Sprachkurse angeboten“, so Peiffer. In der Mittagsstunde essen die Inhaftierten in der Kantine. „Hier begegnet man dann nicht nur Mördern, sondern auch Vergewaltigern oder schlimmer noch Pädophilen. Hat man jedoch eine Ehre, spricht man nicht mit den Kinderschändern“, schilderte Peiffer weiter.

Im Gefängnis sei man stets gut informiert. Wenn z.B. ein Neuer nach Schrassig komme, würden die Gefangenen schnell wissen, für welche Tat dieser verurteilt wurde. Ob das nun über die Presse ist oder über einen Zellennachbarn. „In Haft wird über alles gesprochen. Es gibt viel Klatsch und Tratsch. In diese Kategorie passt, dass die inhaftierten Russen das Gefängnis in Schrassig immer als ‚Club Med‘ bezeichnet haben. Es gibt Waschmaschinen, Fernseher, Computer und man kann sich mit der Außenwelt über Telefon in Verbindung setzen“, so Peiffer. Offiziell darf in der Haftanstalt niemand ein Mobiltelefon besitzen. Doch laut Peiffer ist es nicht besonders schwierig, sich ein Handy zu beschaffen: „Wann s de laang genuch am Prisong bass, da weess de, wéi s de dech ulees.“ Seiner Meinung nach ist das Gefängnis keine „Hölle“. Aber trotzdem sehr hart.