Haare schneiden im Untergrund: Friseursalon „Figaro Coiffure“ seit 72 Jahren in einem Keller

Haare schneiden im Untergrund: Friseursalon „Figaro Coiffure“ seit 72 Jahren in einem Keller

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Der Friseursalon „Figaro Coiffure ‚am Keller’“ ist seit rund 80 Jahren im Bahnhofsviertel ansässig, seit 72 an der aktuellen Adresse in der avenue de la Liberté. Grund genug, ihn hier vorzustellen.

„Es gab Zeiten, vor allem vor den Feiertagen, da standen die Kunden Schlange, die Treppe hinauf bis auf die Straße, um bedient zu werden. In den 1960er- und 70er-Jahren arbeiteten hier um die 20 Angestellte“, erzählt die Salonbesitzerin. „Heute sind es drei. Wir passen uns eben an.“

„Damals waren wir praktisch der einzige Friseursalon im Bahnhofsviertel, hier drinnen wurde wie am Fließband gearbeitet. Doch die Konkurrenz ist größer geworden.“ In der Tat: über ein Dutzend Friseursalons findet man heute allein im Bahnhofsviertel. Die Besonderheit des Salons dürfte wohl seine außergewöhnliche Lage sein: in einem Keller in der „nei Avenue“ neben dem Gebäude der Generalbank. Ein Hinweisschild mit Kamm und Schere auf dem Bürgersteig weist darauf hin, dass hier Haare geschnitten werden.
Ein weiteres Merkmal, das „am Keller“ von den meisten Unternehmen der Konkurrenz unterscheidet, ist, dass Kunden ausschließlich ohne Termin bedient werden. Ob man gleich an die Reihe kommt oder warten muss, ist reine Glücksache.

Wie vor 30 oder 40 Jahren

Die Lage in der Nähe des Bahnhofs bringt mit sich, dass heute viel Laufkundschaft vorbeikommt, wie ein junger Mann aus Deutschland, der sich kurz vor dem Besuch des Rammstein-Konzerts die Haare schneiden ließ. Waren es früher vor allem Frauen, die den Salon aufsuchten, seien es heute vermehrt Männer. „Früher kamen etliche Frauen zwei- bis dreimal die Woche ab 7 Uhr, bevor sie zur Arbeit gingen, um sich die Haare kämmen zu lassen, was heute niemand mehr tut.“

Im Gegensatz zu vielen anderen Friseuren setzt die Besitzerin bei der Einrichtung auf einen Retro-Look: Es sieht wie vor 30 oder 40 Jahren aus. Der Salon „Figaro ‚am Keller’“ kann auf eine lange Geschichte zurückblicken. Er wurde von Georges Becker (1912-2007) gegründet, wann genau können aber weder die heutige Besitzerin noch ihr Vater, der Vorbesitzer, sagen. Es sei nur sicher, dass er sich seit 1947 an der aktuellen Adresse befindet, davor habe er auf dem Bahnhofsplatz gestanden, „dort, wo früher die Kinos ‚Europe‘ und ‚Eldorado‘ waren“. Der Vater hatte seit den 1970ern mit dem Gründer zusammengearbeitet und später den Salon übernommen. Die Tochter arbeitet seit 29 Jahren dort; seit 2007 ist sie Geschäftsführerin.

Aus heutiger Sicht sei der Standort nicht ideal: Parken ist mittlerweile dort verboten. Auch bereite die Trambaustelle Sorgen. Seit Beginn der Arbeiten gäbe es deutlich weniger Kundschaft. Die Besitzerin des Salons hofft, wie viele im Einzelhandel, auf öffentliche Entschädigungen. Doch was ihr am meisten zu schaffen mache, sei die steigende Kriminalität im Viertel, das immer mehr verkomme. Und dann seien da noch die unehrlichen Kunden: „Sie können sich nicht vorstellen, wie viele Leute nicht zahlen können oder wollen, darunter solche, bei denen ich weiß, dass sie zum Beispiel auf einer Bank arbeiten. Es gibt mehr unehrliche Menschen, als Sie sich vorstellen können.“