Grevenmacher: Vorwürfe nach tödlichem Badeunfall

Grevenmacher: Vorwürfe nach tödlichem Badeunfall

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Ein schöner Sommertag wird jäh zum Alptraum, als ein Sechsjähriger bewusstlos im Freibad von Grevenmacher gefunden wird. Tage später stirbt der Junge. Besucherinnen sagen, dass bei der versuchten Rettung einiges nicht optimal lief.

Von Frank Goebel und Melody Hansen

„Das, was wir am Freitag im Schwimmbad in Grevenmacher erlebt haben, werden wir nie vergessen.“ So beginnt ein Schreiben, in dem Tania Welch (54) aus Konz (Deutschland) schwere Vorwürfe erhebt – und das schon für einigen Wirbel gesorgt hat. Ein Sechsjähriger war am 27. Juli bewusstlos vom Grund des Nichtschwimmerbeckens des Freibads geborgen und versorgt worden. Am Dienstag folgte allerdings die traurige Meldung, dass der Junge gestorben ist.

Schon vorher, am Sonntag, hatte die Konzerin als Augenzeugin der Tragödie ihr Schreiben an lokale Medien und Organisationen versandt und zudem im Internet veröffentlicht.
„Das Personal ist nicht angemessen vorbereitet gewesen“, schreibt sie darin – und dass die Angestellten schon im Vorfeld nicht die richtige Arbeitseinstellung gezeigt hätten: So hätten sich „alle Bademeister“ am oberen Schwimmerbecken aufgehalten und dort parallel zur Aufsicht „Musik gehört“, während am Nichtschwimmerbecken und am Kleinkinder-Pool gar kein Personal zu sehen gewesen sei.

„Viel Zeit verloren“

Als der Junge (offenbar von einem anderen Badegast) entdeckt und an den Beckenrand gelegt wurde, habe die Rettung eher chaotisch gewirkt: Eintreffende Sanitäter hätten durch den umständlichen Zugang zum umzäunten Ort wertvolle Zeit verloren, die Polizei sei sogar erst „nach einer gesamten Stunde“ eingetroffen, der Badebetrieb etwa in den anderen Becken sei nicht beendet worden. Léon Gloden, der Bürgermeister der Gemeinde Grevenmacher, die das Schwimmbad betreibt, hat die Behauptungen sofort scharf zurückgewiesen – sowohl in einer persönlichen E-Mail als auch gegenüber dem Tageblatt.

Die Vorwürfe seien grundsätzlich falsch, denn sowohl die drei Aufsichtspersonen im Bad als auch alle Rettungskräfte hätten an dem Tag, an dem insgesamt mehr als 1.300 Besucher im Bad waren, schnell und optimal reagiert. Auch sei keine Musik abgespielt worden. Die Vorwürfe seien so „verleumderisch“, dass man sich rechtliche Schritte vorbehalte.

Kritikerin nicht alleine

Doch gegenüber dem Tageblatt bestätigt auch die Luxemburgerin Elisabeth Hussler (47), dass es in dem Bad, das sie seit vielen Jahren mit ihren Kindern besuche, nicht nur regelmäßig „sehr lebhaft“ zugehe, sondern auch Musik abgespielt werde: „Manchmal so laut, dass es wirklich unangenehm ist!“ Hussler war am Freitag ebenfalls im Bad und empfand manche Abläufe als unnötig verzögert – und das sei wohl nicht nur ein subjektiver Eindruck: „Ich habe mehrfach auf die Uhr geschaut!“ Sie habe einige Minuten lang die Rettungsbemühungen am Beckenrand beobachtet, bis es ihr falsch vorgekommen und sie wieder zu ihrem etwas entfernten Liegeplatz gegangen sei. „Da habe ich mich gewundert: Wo bleibt denn nur der Rettungswagen oder ein Helikopter?“

Ein Sprecher der CGDIS erklärt dem Tageblatt gegenüber, die Ersthelfer („First Responder“) aus der Umgebung seien „in weniger als fünf Minuten“ am Platz gewesen – und hätten den direkten Weg genommen, indem sie einfach über die trennenden Drahtzäune geklettert seien. Das Badpersonal habe man angetroffen, als es bereits zusammen mit Badegästen Erste Hilfe geleistet habe.

Weitere fünf Minuten später sei auch der Rettungswagen eingetroffen. Der Helikopter, mit dem der Junge in die „Kannerklinik“ geflogen wurde, habe nur an der nahe gelegenen Schleuse sicher landen können, erklärt ein Sprecher der Luxembourg Air Rescue.
Die Polizei gibt an, nach zwanzig Minuten vor Ort gewesen zu sein – alarmiert durch einen Badegast. Die absolute Uhrzeit kann ein Sprecher auch auf konkrete Anfrage nicht nennen. „Das habe ich jetzt nicht nachgeschaut“, heißt es gegenüber dem Tageblatt. Laut Augenzeugin Hussler sei die Polizei aber erst eingetroffen, als der Junge schon im Rettungswagen lag.

„Geht nicht um Schuld“

Der wiederum habe auch nur etwas verzögert aufs Gelände gekonnt, weil offenbar die Schlüssel zu einem Zugangstor nicht sofort gefunden worden seien, erklärt Nathalie Welch, die 22-jährige Tochter der Augenzeugin aus Konz. Auch sie erklärt im Gespräch mit dem Tageblatt, ihr sei am Freitag schon vor dem Unglück aufgefallen, dass das Personal ziemlich viel mit dem Smartphone und Funk-Lautsprechern beschäftigt gewesen sei, aus dem Reggae-Versionen von Pop-Klassikern geschallt seien.

„Trotzdem geht es uns nicht darum, dass das Personal beschuldigt wird“, beteuert die junge Frau. Man hoffe aber, dass alle Abläufe ehrlich und schonungslos überprüft werden, damit es in Zukunft vielleicht besser läuft. Ob das Schicksal des Jungen ohne etwaige Verzögerungen bei der Rettung anders ausgesehen hätte, ist ohnehin fraglich: „Hat ein Kind erst einmal Wasser eingeatmet, geht es ganz schnell“, erklärt etwa die Kinderärztin Michèle Kayser. „Das Gehirn wird nicht mehr mit Sauerstoff versorgt, sodass es unverzüglich zu einer Bewusstlosigkeit kommt.“ Nach einem Herzstillstand schwinden dann die Chancen auf Rettung rapide, selbst bei zügigem Auffinden. Laut internationalen Studien gelingt selbst innerhalb von Krankenhäusern nur etwa jede fünfte Reanimation.

In Grevenmacher ist diese zunächst zwar gelungen – doch nach drei Tagen zwischen Leben und Tod hat der Junge doch den Kampf verloren. Warum das Opfer überhaupt unter Wasser geraten ist sowie die letztliche Todesursache soll jetzt eine Obduktion klären.
Die verzweifelten Schreie der Mutter, die das Verschwinden ihres Kindes wohl nach einigen Minuten bemerkt hat und um die sich während der Rettung nur andere Badegäste gekümmert hätten, bekomme sie wohl nie mehr ganz aus dem Kopf, sagt die Augenzeugin aus Konz.

Bürgermeister Gloden hat ihr per E-Mail geantwortet, der Mutter sei, „wie anderen Badegästen“ psychologisches Fachpersonal zur Seite gestellt worden. Tania Welch wundert sich: Das Einzige, was sie bislang erhalten habe, sei ein Hausverbot.


Gefährliches Nass: Die vielen Formen des Ertrinkens

Kinder sollte man niemals unbeaufsichtigt im Wasser spielen lassen – auch nicht für eine kurze Zeit. Kleinkinder sind besonders gefährdet, warnt etwa die Kinderärztin Michèle Kayser: „Bei ihnen macht der Kopf ein Viertel des gesamten Körpergewichtes aus, bei Erwachsenen ist es nur ein Neuntel. Darum und wegen der untrainierten Nackenmuskulatur können Kleinkinder theoretisch sogar in einer Pfütze oder der kaum gefüllten Badewanne ertrinken, wenn sie den Kopf nicht aus dem Wasser heben können.“

Sie können sogar in Not geraten, wenn sie nur mit dem Gesicht kurz in kaltes Wasser geraten: Dann kann es zu einem Stimmritzenkrampf kommen und dadurch zu einer Unterversorgung mit Luft. Die Kinder ersticken, obwohl sie oft nicht einmal Wasser eingeatmet haben („trockenes Ertrinken“).

Noch dazu gibt es das Phänomen des „stillen Ertrinkens“ (allerdings auch bei Erwachsenen): Dabei fallen Betroffene unter Wasser in eine Art Schockstarre, sodass ihr Untergehen selbst von Umstehenden nicht bemerkt wird. Beim „sekundären Ertrinken“ sterben Betroffene erst Stunden oder sogar Tage nachdem sie eine scheinbar harmlose Menge Wasser eingeatmet haben – so weit die Theorie. Manche Mediziner halten das Phänomen für einen Mythos. Ein Arzt sollte auf jeden Fall aufgesucht werden, wenn ein Kind eine größere Menge Wasser eingeatmet hat – auch wenn es ihm danach gut zu gehen scheint. Nach einer Bewusstlosigkeit oder sogar Wiederbelebung folgt ohnehin ein Klinikaufenthalt.

Lucilinburhuc
3. August 2018 - 9.53

Wieso hat Leon Gloden hier eingegriffen und die Zeugen bedroht????