EU-Ministerrat: Wien verschleppt Sozialgesetzgebung

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Verschleppt der österreichische EU-Ratsvorsitz die Annahme einer wichtigen sozialen Gesetzgebung im EU-Ministerrat? Dieser Ansicht sind unter anderem der luxemburgische Arbeitsminister Nicolas Schmit und der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes Luca Visentini.

Im Oktober treffen sich die EU-Fachminister für ihre Ratstagungen nicht in Brüssel, sondern auf Kirchberg in Luxemburg. Für den gestrigen Dienstag und heutigen Mittwoch war neben einer Sitzung der EU-Umweltminister auch eine Tagung der Beschäftigungs- und Sozialminister geplant. Letztere wurde jedoch von der österreichischen Regierung, die derzeit die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat, abgesagt.

Nicolas Schmit bedauerte gestern nach einer Unterredung mit Luca Visentini, dem Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, dass das Treffen der Arbeits- und Sozialminister nicht stattfinden konnte, zumal die Schaffung einer europäischen Arbeitsagentur auf der Tagesordnung stand.

Neun EU-Minister bedauern Entscheidung

Die Idee einer solchen Agentur hatte der EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in seiner Rede zur Lage der Union im September vergangenen Jahres lanciert. Die neue Behörde soll unter anderem gegen Sozialdumping vorgehen und eine koordinierende Funktion im Bereich sozialer Rechte haben, vor allem für Arbeitnehmer, die in einem anderen EU-Land einer Beschäftigung nachgehen.

Der luxemburgische Minister erklärte, die Österreicher hätten für die Entscheidung, das Ministertreffen abzusagen, mangelnde Fortschritte in der Arbeitsgruppe angegeben, die das Treffen hätte vorbereiten sollen.

Luca Visentini hielt dem allerdings entgegen, dass Mitarbeiter der EU-Kommission ihm gegenüber erklärt hätten, dass die Arbeitsgruppe sehr wohl gute Arbeit geleistet habe. Auf eine Nachfrage beim zuständigen österreichischen Bundesministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz erhielten wir keine Antwort darauf, weshalb die Ministertagung abgesagt wurde.

Mit seinem Bedauern über die vertagte Ratssitzung ist Nicolas Schmit nicht allein. In einem Brief, den neben ihm auch die entsprechenden Minister aus Deutschland, Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Belgien, Portugal, der Slowakei und Zypern unterzeichnet haben, bedauern die Minister, keine Gelegenheit zu haben, über den Vorschlag der EU-Kommission zur Schaffung der Arbeitsagentur zu sprechen. Sie würden diesem „große Bedeutung“ zumessen, vor allem im Rahmen der grenzübergreifenden Mobilität von Arbeitnehmern. Nicolas Schmit ist der Ansicht, dass die österreichische Regierung dieser wichtigen sozialen EU-Gesetzgebung nicht dieselbe Bedeutung beimisst. Hier sehe man „das wahre Gesicht der Rechten und extremen Rechten“, so der luxemburgische Minister, der davon ausgeht, dass der österreichischen Regierung unter Sebastian Kurz das soziale Europa nicht so wichtig sei und sie nicht zu viel Europa in sozialen Angelegenheiten haben wolle.

Wiens Regierung und die Arbeitnehmer

Immerhin hat die ÖVP-FPÖ-Regierung jüngst ein Arbeitszeitgesetz durchgebracht, das es Unternehmen leichter macht, ihren Beschäftigten 12-Stunden-Tage abzuverlangen. Luca Visentini meinte, dass der Ministerrat nur noch im Dezember den entsprechenden legislativen Text zur Arbeitsagentur beschließen kann, damit sich das Europäische Parlament vor den EU-Wahlen im kommenden Mai noch rechtzeitig mit dem Dossier befassen kann.

Für den Gewerkschafter wäre die Verabschiedung dieses und anderer Gesetze auch ein Zeichen an die Wähler, dass die EU nicht nur da ist, um Banken zu helfen, sondern auch etwas für die Belange der Beschäftigten unternimmt. Es reiche nicht nur, schöne Worte zu verlieren, wie etwa bei der Annahme des Pfeilers sozialer Rechte im vorigen Jahr. „Slogans sollten auch in die Realität umgesetzt werden“, forderte der Italiener. Luca Visentini befürchtet zudem, dass mit einem neuen Parlament und einer neuen Kommission im kommenden Jahr die soziale Gesetzgebung in der EU wieder ins Hintertreffen geraten könnte.


Luca Visentini: Die Prinzipien des Pfeilers sozialer Rechte in Gesetze einbauen

Der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes, Luca Visentini, traf gestern in Luxemburg Arbeitsminister Nicolas Schmit. Wir führten mit ihm folgendes Gespräch.

Tageblatt: Wie zuversichtlich sind Sie, dass der im vergangenen Jahr von den EU-Staaten angenommene Pfeiler sozialer Rechte für die EU-Staaten verbindlich wird?

Luca Visentini: 13 legislative Initiativen werden derzeit von den europäischen Gesetzgebern bearbeitet. Wenn ein großer Teil dieser Gesetze noch vor dem Ende der laufenden Legislaturperiode angenommen wird, dann werden die meisten der im Pfeiler der sozialen Rechte enthaltenen Prinzipien Realität durch diese Richtlinien. Das ist ein erster Schritt.
In einem zweiten Schritt müssen die Mitgliedstaaten diese Richtlinien umsetzen, den Pfeiler sozialer Rechte aber auch als Rahmen für nationale Gesetze gebrauchen. Dann ist da auch eine, sagen wir, „konstitutionelle Chance“. Als die europäische Charta sozialer Rechte proklamiert wurde, war das ein politisches Engagement. Dann aber wurde die Charta als Referenz in jeder sozialen Gesetzgebung der Europäischen Union angegeben. Das führte dazu, dass nicht nur der Europäische Gerichtshof, sondern auch die nationalen Gerichte die Charta als eine gesetzliche Referenz nutzten. Sie haben eine politische Verpflichtung in ein Gesetz umgewandelt.

Das Gleiche will die EU-Kommission jetzt mit dem Pfeiler sozialer Rechte machen. Das sollten auch die EU-Staaten tun, indem sie in ihrer Gesetzgebung Referenzen auf den Sozialpfeiler und dessen Prinzipien einbauen.

Wo sehen Sie die größten Defizite in Sachen Sozialrechte in den EU-Staaten?

Da gibt es verschiedene Defizite, die vom gesetzlichen Rahmen der jeweiligen EU-Staaten abhängen. Es sind allerdings einige Bereiche während der Austeritätszeit unter Druck geraten. Etwa die Systeme der Kollektivverhandlungen, die angegriffen wurden. Gewerkschaftsrechte wie das Streikrecht wurden ebenfalls angegriffen. In einigen Staaten wurden die Pensionssysteme unterminiert oder abgebaut. Allgemein würde ich auch noch die sozialen Sicherungsysteme dazuzählen. In diesen vier Bereichen müssen wir Anstrengungen unternehmen, damit wir wieder zurück zu einer universellen Absicherung kommen.

Die Arbeitswelt wird sich durch die Digitalisierung und Automatisierung verändern. Wie sollte sich Europa darauf vorbereiten?

Wir können uns diesen Entwicklungen nicht widersetzen. Sie werden ohnehin stattfinden. Unsere Herausforderung ist es, statt weniger Arbeitsplätze mehr Arbeitsplätze zu haben, die jene ersetzen, die verloren gehen. Dazu brauchen wir zwei Elemente: Das erste sind Investitionen. Vor allem öffentliche Investitionen, um neue Arbeitsplätze für jene Menschen zu schaffen, die von der digitalen Transformation betroffen sind. Zum anderen brauchen wir Übergangsmaßnahmen vor allem bei der Umschulung, damit Arbeitnehmer von ihrer bisherigen Beschäftigung zu einer neuen übergehen können. Diese beiden Strategien sind kruzial, um diesen Prozess auf eine gerechte und progressive Weise zu bewältigen.

Grober J-P.
10. Oktober 2018 - 11.08

Soziale Gesetzgebung? Wer hat denn geglaubt, dass FPÖ mit der Hartinger was für die armen Leute tun würden. Blauäugig muss man sein. Man hat ja auch auf Trump gesetzt damit es den Minderbemittelten wieder besser geht, es wäre zum Lachen, wenn es nicht so ernst wäre. Werden auch bald sehen wie Salvini und Co seine armen Landsleute reich beschenkt, vielleicht schon zu Weihnachten.