„Et geet net duer“ – Gilbert Pregno und der Kampf gegen Ausbeutung

„Et geet net duer“ – Gilbert Pregno und der Kampf gegen Ausbeutung

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Es gibt kaum jemanden, mit dem es sich besser über den „EU-Tag gegen Menschenhandel“ unterhalten ließe: Gilbert Pregno (64), Präsident der Luxemburger Menschenrechtskommission. Er erzählt, weshalb ihm das „jo, jo, mir sinn eis dees bewosst“ nicht reicht – denn auch in Luxemburg wird mit Menschen gehandelt, doch zu wenig dagegen getan.

Er ist weder laut noch aggressiv geschweige denn einschüchternd. Es sind vielmehr sein lässiges Auftreten, Rückgrat und fundiertes Fachwissen, die Gilbert Pregno zum Meinungsführer machen. Keine autoritären Allüren, das genaue Gegenteil ist der Fall: natürliche Autorität. Er spricht langsam, verzichtet auf druckreif vorformulierte Floskeln. Der Psychologe und Menschenrechtler muss niemandem mehr etwas beweisen. Diese Stärke schwingt in jedem Satz mit.

Intellektuelle Unabhängigkeit verleiht Pregno die nötige Hebelkraft, um unangenehm zu sein. Für Politiker, seine Hauptansprechpartner. Aber auch für Nichtregierungsorganisationen und Bildungseinrichtungen, die zwar Gutes bewirken wollen, in der Umsetzung jedoch oft holprig wirken.

„Das Blaue vom Himmel versprechen“

„Ich verhandele nicht mehr. Aus dem Alter bin ich raus.“ Wenn Pregno lacht, war es das mit dem Kuschelbär-Auftritt. Er hat „eng gutt knaschteg Laach“ und kneift die Augen so fest zusammen, dass nur noch zwei Schlitze hinter der Hornbrille zu sehen sind. Allerdings verändert sich beim Erzählen die Ausstrahlung von Pregno. Er legt viel Wert darauf, seine Gesprächspartner nicht belehren zu wollen. Dennoch sind es gerade Menschenrechtsverletzungen, die auch Pregno nur schwer kalt lassen. Er wirkt stets beherrscht, aber auch leicht passiv-aggressiv, wenn es um das Ignorieren von Missständen in Luxemburg geht.

Zu diesen gehört der Menschenhandel: Weltweit sind 2.500.000 Menschen Opfer, davon 1.000.000 in Europa. „Es ist ein enormes Geschäft. Dort wird ähnlich viel wie beim illegalen Waffen- und Drogenhandel verdient“, erzählt Pregno. Es gebe Verbindungen zur organisierten Kriminalität.

„Man verspricht Menschen das Blaue vom Himmel, um sie irgendwo hinzubringen und dort auszunutzen.“ Labile Menschen seien für solches Verhalten besonders anfällig. „Das können Leute sein, die psychisch traumatisiert sind, in Armut leben, oder Minderjährige, die nicht wissen, wo sie hin sollen.“

Viel mehr Sensibilisierung nötig

Man manipuliere diese Menschen, damit sie all dies zunächst freiwillig über sich ergehen lassen. Danach gebe es jedoch kein Entkommen mehr aus dem Hamsterrad. Sexuelle Ausbeutung und die Arbeitswelt per se seien die bekanntesten Felder, in denen es zu Menschenhandel komme. „Es gibt aber auch Menschen, die gezwungen werden, zu betteln oder ihre Organe zu verkaufen.“ Auch Haussklaven seien im 21. Jahrhundert keine Seltenheit. Ein Mann, eine Frau oder ein Kind lebten bei jemandem zu Hause, erhielten kein Gehalt, seien 24 Stunden im Dienst und hätten keinerlei Rechte.

„In Luxemburg wurde Menschenhandel bislang weitgehend ignoriert. Zum Glück gehören wir zur Europäischen Union. In anderen Ländern ist das Bewusstsein gewachsen, dass Menschenhandel ein Problem ist. Dieses Signal ist mittlerweile auch in Luxemburg angekommen.“ Pregno betont, dass das Problem des Menschenhandels zum ersten Mal vor vier bis fünf Jahren in Luxemburg thematisiert worden sei. Allerdings müsse mit Blick auf die Sensibilisierung für die Problematik noch sehr viel passieren. „Wir befinden uns immer noch in einer Pionierzeit. Ich glaube, dass Menschenhandel in Luxemburg bei vielen Leuten und bei der Politik noch nicht auf dem Radar ist.“

2010 und 2016 wurden offiziell 79 Personen Opfer von Menschenhandel, 45 von ihnen sind von der Polizei identifiziert worden. Die meisten von ihnen sind Frauen, die älter als 18 Jahre alt sind. Dennoch gab es im gleichen Zeitraum auch 11 minderjährige Opfer, heißt es im Bericht der „Commission consultative des droits de l’Homme du Grand-Duché de Luxembourg“ (CCDH), an deren Spitze Pregno steht. Zwischen 2010 und 2015 wurden in Luxemburg 62 Täter identifiziert, die ins Geschäft mit dem Menschenhandel verwickelt sind. Die Mehrheit von ihnen ist männlich und über 18 Jahre alt.

Datenerhebung ein Problem

In jedem EU-Mitgliedstaat muss es einen Berichterstatter mit Blick auf die Menschenhandel-Problematik geben. In Luxemburg übernimmt die CCDH diese Rolle. „In Europa sind nur fünf dieser ‚Rapporteure‘ unabhängig. Alle anderen stehen im Dienst von Ministerien.“ Dass dies nicht irgendein Detail ist, unterstreicht Pregno: „Ich bin sehr pingelig, was unsere Unabhängigkeit betrifft. Das ist eine große Verantwortung, weil wir von niemandem Anweisungen erhalten und unserer Aufgabe gerecht werden müssen.“ Dass die CCDH ihre Aufgabe ernst nimmt, zeigt sich an ihren vielen Kritikpunkten.

Besonders einer davon sticht hervor: „Die Datenerhebung ist in Luxemburg ein großes Problem.“ Pregno schüttelt den Kopf und lacht leise. „Es gibt eine große Allergie, obschon ich gehört habe, dass in den Ministerien Statistiker arbeiten. Deswegen müsste die Datenerhebung und -sammlung eigentlich kein Problem sein. Trotzdem hapert es.“ Pregno nennt als möglichen Grund, dass es momentan in Luxemburg schwierig sei, eine größere Zahl von Opfern und Tätern zu identifizieren.

Mehr Kooperation gewünscht

Man befinde sich zurzeit erneut in einer Datensammlungsphase. Pregno betont, dass der gute Wille da sei. Hauptansprechpartner der CCDH sind die Justiz, die Polizei, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die Immigrationsabteilung des Außenministeriums und die „Inspection du travail et des mines“ (ITM). Ohne ihre Daten könne das Phänomen Menschenhandel in Luxemburg nicht umrissen werden.

„Ich wünsche mir deshalb eine viel engere Kooperation zwischen der Polizei und den NGOs. Das muss sein. Denn wenn ich zum Beispiel Opfer von Menschenhandel bin, habe ich noch nicht die Kraft oder den Willen, zur Polizei zu gehen. Mein erster Schritt ist oft eine NGO.“ Allerdings hätten NGOs oft keine Mittel.

So benötige die Polizei z.B. mehr Geld, um komplexe Untersuchungen durchführen zu können. „Ich habe gehört, dass die Abteilung gegen organisierte Kriminalität mittlerweile verstärkt worden ist. Ich weiß allerdings nicht, welche Auswirkungen das auf den Menschenhandel hat.“

„Jo, jo, jo, mir sinn eis dees bewosst“

Nicht weniger problematisch sei die Tatsache, dass die Polizei nicht über die personellen Ressourcen verfüge, um auf das Leid der Menschen einzugehen. „Wenn z.B. eine Frau monatelang vergewaltigt wird und nicht weiß, was sie tun soll, gibt es bei der Polizei nicht einmal einen Dienst, der sie anständig empfangen kann.“ Momentan würden sich zwei NGOs um die Aufnahme und Begleitung der hoch traumatisierten Opfer kümmern. Es gebe zwei Personen, die Halbzeit arbeiten würden.

„Mit 20 Stunden pro Woche kann man niemandem helfen. Wenn nachts um 00.00 Uhr eine Frau vergewaltigt wird, gibt es keinen Ansprechpartner.“ Pregno hat sich bereits mit Ministerin Lydia Mutsch (LSAP) über die Problematik unterhalten. Sie sei für die NGOs zuständig: „Es muss mehr Mittel für diese NGOs geben, sonst kann das einfach nicht klappen.“

Auch in der Arbeitswelt gebe es mit Blick auf die ITM große Probleme. Sie treffe weder auf den richtigen gesetzlichen Rahmen noch habe sie die nötigen Mittel, um Probleme wie Menschenhandel zu identifizieren. „Die ITM kann selbst keine Prozedur einleiten. Ich kann mir aber nicht erklären, wieso das so ist.“ Pregno lächelt, aus den Augen spricht jedoch Wut. Er höre viel „Jo, jo, jo, mir sinn eis dees bewosst.“

Nicht genug Kompetenzen

Die ITM könne z.B. nicht eigenständig eine Prozedur in die Wege leiten, um ein Restaurant oder eine Baustelle unter die Lupe zu nehmen. Vor Monaten habe es z.B. einen Prozess gegen ein Restaurant gegeben: „Dort arbeiteten drei Menschen, die eingesperrt und quasi nicht bezahlt wurden. Das ist aufgeflogen, weil sie auf einmal geflüchtet sind. Weil sie selbst die Energie hatten und sich sagten: ‚Das wollen wir nicht.‘“ Gerade im Restaurationsbereich gebe es große Probleme, gibt Pregno zu bedenken.

Der nächste Bericht der Menschenrechtskommission werde 2019 veröffentlicht. Bis dahin versuche man genauestens zu analysieren, worin die unterschiedlichen Problem bestünden. „Als ‚rapporteur‘ wird man schnell, als jemand in die Ecke gedrängt, der mit dem Finger auf andere zeigt. Das ist nicht meine Art und Weise. Deswegen setze ich auf Kollaboration mit all diesen Gremien. Wir hören uns ihre Lösungsvorschläge an. Es bleibt dennoch schwer.“

Nicht weniger komplex sei in Luxemburg die Tatsache, dass nur die Polizei ein Opfer identifizieren könne. „Wir sind der Meinung, dass auch eine ONG dies tun können muss. Wenn ich traumatisiert bin, versuche ich zunächst Hilfe zu erhalten. Erst danach bin ich vielleicht bereit, um zur Polizei zu gehen.“

Was soll das?

Wie bissig und auf den Punkt Pregno sein kann, zeigt sein Blick auf die Welt des politischen Aktivismus. „Wir haben einen plan d‘action nationale. Ich bin allergisch darauf.“ Er lacht wütend. „Wenn ich ihn fertig gelesen habe, sage ich mir: ‚Flott. A wat maachen mer elo?‘“. Es handele sich lediglich um eine Projektion in die Zukunft. Justizminister Felix Braz habe auch zu diesem Thema eine gute Rede gehalten. Aber das reiche nicht aus. „Ich brauche Zahlen, Fristen, Ideen. Es beruhigt mich, wenn ich weiß, wie viel Mittel und wie viele Posten in einem Jahr zur Verfügung stehen, um ein Ziel zu erreichen.“ Dies sei aber momentan nicht der Fall.

Im Plan d‘action stünde viel Allgemeines. „Es produziert Glückshormone beim Lesen.“ Pregno lässt seinem Sarkasmus freien Lauf. „Ich mag schöne Texte.“ Er schmunzelt und ergänzt: „Am Ende fragt man sich aber: Was soll das?“

Dass er jedoch die Hoffnung nicht aufgegeben hat, zeigt sein Engagement in Sachen Sensibilisierung. Es müsse in diesem Bereich viel mehr getan werden. „Es muss ein kollektives Bewusstsein entstehen, dass wir alle wissen: So etwas gibt es bei uns im Land. Diese Formen gibt es und es gibt auch Menschen, die sich darum kümmern und dagegen kämpfen.“

„‚t geet net duer“

Pregno lobt den Einsatz der jüngsten Sensibilisierungskampagne. Allerdings müsse Sensibilisierung weit über Plakate und Filme hinausgehen. Lobende Worte findet er deswegen für die Sensibilisierung im Rahmen der Lehrerausbildung. „Man gibt Lehrern die Mittel, um Phänomene des Menschenhandels zu erkennen. Wenn sie Jugendliche vor sich haben, die nur schlafen und nur stundenweise zur Schule kommen, sollen sie nicht nur glauben, dass das an Videospielen liegt. Sie müssen sich auch vorstellen können, dass ein Kind eventuell Opfer von Menschenhandel ist.“ In allen Bereichen der Arbeitswelt müsse dies passieren. Auch gerade in der ärztlichen Betreuung sei diese Form von Sensibilisierung wichtig.

Dass Pregno trotz seiner Hartnäckigkeit und dem ständigen Anecken kein verbissener Mensch ist, zeigt sich an seinem Blick auf die Politik: „Für mich ist die Politik die Welt des Möglichen. Ich lebe aber nicht nur in einer Welt des Möglichen, sondern der Entwicklung. Ich werde immer wieder sagen: ‚‘t geet net duer.‘“

Lucas
18. Oktober 2017 - 9.04

Oppe Grenzen a Leit aus friemer Kultur "Wëllkomm" heeschen, déi mol keng Pabeieren opweises hunn, zu wat soll dat wuel laangfristeg féieren?