„Es muss über Revis gesprochen werden“

„Es muss über Revis gesprochen werden“
Caritas-Direktor Robert Urbé: „Es muss über Revis gesprochen werden“

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Caritas Luxembourg fordert eine Diskussion über das geplante Arbeitslosengeld „Revis“. Das sagte Direktor Robert Urbé bei der Präsentation des diesjährigen Sozialalmanachs des katholischen Wohlfahrtverbandes am Donnerstagmorgen.

Kurz vor der Rede zur Lage des Landes des Premiers am nächsten Dienstag stellte Caritas Luxembourg am Donnerstag die 12. Ausgabe ihres Sozialalmanachs mit dem Titel „D’sozial Kohesioun um Spill?“ vor. Die Caritas versuche, den Almanach jedes Jahr vor diesem wichtigen Termin zu veröffentlichen, meinte Präsidentin Marie-Josée Jacobs. Dieser beinhaltet Texte verschiedener Autoren zu aktuellen gesellschaftlichen Themen, aber in diesem Wahljahr auch eine Reihe von Forderungen an die Parteien im Hinblick auf den anstehenden Urnengang im Oktober.

Das Buch sei als ein Nachschlagewerk gedacht, das z.B. in der Politik Anwendung findet, erklärte Jacobs. Ihr zufolge steht die Veröffentlichung im Zeichen des Zusammenlebens in einem heterogenen Land, das beständig wächst. Zwar werde im Rifkin-Prozess die Frage nach der sozialen Kohäsion gestellt, allerdings gebe es bislang keine Antwort. Zur Erinnerung: Die Regierung hatte den US-amerikanischen Autor Jeremy Rifkin als Berater engagiert, um einen Plan für die Zukunft des Landes auszuarbeiten. Dieser erstellte daraufhin einen langen Bericht, in dem er auf eine ganze Reihe an Themen einging. Prominentestes hiervon war die Konvergenz von Informatik und Energieversorgung.

Der Sozialalmanach enthält Texte zu Themen wie Liberalismus, soziale Rechte, Integration, Glücksindex, Robotisierung oder auch dem bedingungslosen Grundeinkommen. Autoren sind u.a. Norbert Campagna, Katy Fox, Mady Delvaux, Ben Fayot, Philippe van Parijs und Yannick Vanderborght.

Im Hinblick auf die Wahlen wünscht sich die Caritas – immer mit Blick auf die soziale Kohäsion –, dass die Steuersituation von Alleinerziehenden verbessert wird. Das Steuersplitting solle auf Paare mit Kindern angewandt werden, ob verheiratet oder nicht.

Die Caritas fordert zudem eine Studie über die sozioökonomische Realität in Luxemburg, die als Grundlage dienen kann, um die Familienzuschüsse besser planen zu können. Dies sei bei der Reform der Familienzulagen nicht gemacht worden.

Reform des Arbeitslosengeldes

Die Hilfsorganisation ging des Weiteren auf die geplante Reform des „Arbeitslosengeldes“ ein – das kurz vor der Abstimmung stehende „Revenu d’inclusion sociale“, kurz Revis. Ein Thema, das Caritas-Direktor Urbé sichtlich bewegt. Insbesondere der Schlüsselbegriff „Aktivierung“ stört ihn.

In der Begründung der Gesetzesvorlage heißt es u.a.: „Le projet de loi prévoit de scinder le Revis en deux composantes: allocation d’inclusion et une allocation d’activation.“ Und weiter: „Le projet de loi se veut inciter à la reprise d’un emploi ou à l’augmentation de l’intensité de travail comme l’intégration sur le marché du travail est le meilleur moyen de favoriser l’inclusion sociale.“

Die „Vox populi“ sei der Auffassung, wer nicht arbeite, habe auch weniger Geld verdient, so Urbé. Tatsächlich handele es sich aber – bis auf ein paar Ausnahmen – um Menschen, die arbeiten wollen. Laut dem „Fonds national de solidarité“ gehen 86% der Empfänger des bestehenden garantierten Minimaleinkommens RMG einer Arbeit nach. Urbé verwies auch auf Kranke, die nicht arbeiten können.

Anstatt sich auf die „Aktivierung“ zu fokussieren, müsse alles getan werden, um den Menschen die Möglichkeit zu bieten, an den Arbeitsmarkt zurückzukehren und am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, erklärte die Caritas. Und: Urbé hofft, dass jetzt, wo das Gesetz in die Endphase seines legislativen Werdeganges eintritt, eine Diskussion darüber entsteht.

Von der Bildungspolitik fordert die Caritas, dafür Sorge zu tragen, dass weniger Kinder die Schule vorzeitig verlassen. Die Anzahl an Schülern, die später ein Universitätsdiplom erhalten, müsse unabhängig ihrer sozialen Klasse erhöht werden. Auch müsse die Integration verbessert werden. Die Schriftsprache dürfe nicht mehr alleiniger Schlüssel zum Erfolg bleiben. Die gesprochene Sprache und die Fähigkeit, zu kommunizieren, seien genauso wichtig und wenn jemand eine Sprache nicht schriftlich beherrsche, dürfe dies nicht automatisch zu einem Versagen in der beruflichen Ausbildung führen.

Im Bereich Arbeit verlangt die Caritas u.a., die Telearbeit besser zu regeln und die Sozialversicherung gegen Schocks abzusichern für den Fall, dass Arbeitsplätze verloren gehen (z.B. im Hinblick auf Robotisierung).

In Sachen Wohnen empfiehlt die Hilfsorganisation eine Quote von 15% Sozialwohnungen pro Gemeinde. Bislang sei es auch so, dass der „Fonds du logement“ immer, wenn er Sozialwohnungen baut, auch andere Wohnungen errichten muss, um eine Ghettoisierung zu verhindern. Hier müsse man stärker auf private Bauträger zurückgreifen. Der Fonds könne sich dann auch an den zehn Prozent Sozialwohnungen beteiligen, die private Bauträger eigentlich bauen müssten, es aber nicht tun.


Wachstum

Zum Thema Wachstum gibt es viele Meinungen. Oft genug heißt es, wir könnten nicht ohne. Alles, was über Wachstum gesagt wird, müsse hinterfragt werden, sagt Caritas-Direktor Urbé. Ein Wachstum von 4% jährlich bedeute eine Verdoppelung binnen 15 Jahren. So ein Wachstum existiere einfach nicht. Wachstum habe den Vorteil, dass jedem mehr gegeben werden kann, ohne jemandem etwas wegzunehmen. Im Verhältnis würden die Armen aber immer ärmer. Die Alternative wäre, Reichtum umzuverteilen. Es müsse auch geschaut werden, was tatsächlich gebraucht wird und was überflüssig ist. Urbé kritisiert das Vorgehen, immer neue Unternehmen anzulocken und so Wachstum zu schaffen.