Entsetzlicher Unfall statt Verbrechen

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Tanja Gräff war plötzlich verschwunden, im Dunkel einer lauen Sommernacht wie vom Boden verschluckt. Nach einem Fest der Hochschule Trier am 7. Juni 2007 kehrte die 21 Jahre alte Studentin nicht mehr in ihr Elternhaus im nahen Dorf Korlingen zurück. Jahrelang beschäftigte das mysteriöse Verschwinden der jungen Frau mit dem strahlenden Lächeln auf den Suchplakaten Polizei und Öffentlichkeit – als Kriminalfall. Vor gut zwei Jahren wurden zufällig die sterblichen Überreste von Gräff am Fuß einer steilen Felswand in Trier gefunden. Nun dürfte die Staatsanwaltschaft die Akte Gräff schließen – und wohl als Unfall ablegen.

Das erwartete offizielle Ende der Ermittlungen soll als juristischer Schlussstrich die langjährige Ungewissheit beenden, auch wenn Fragen offen bleiben sollten. Dass der Leitende Oberstaatsanwalt Peter Fritzen für diesen Mittwoch eine Pressekonferenz anberaumt hat, um die abschließende Analyse der Ermittlungsergebnisse zu erläutern, ist dem öffentlichen Aufsehen geschuldet, das der Fall überregional erregt hat.

Mit großem Aufwand waren die Strafverfolger anfangs auf die Suche nach Gräff und ihrem vermeintlichen Mörder gegangen. Denn jahrelang ging die Polizei davon aus, dass die Lehramtsstudentin Opfer eines Verbrechens geworden sei. Polizei-Hundertschaften durchkämmten mehrfach die Wälder rund um die Hochschule, Hubschrauber mit Wärmesensoren flogen auf der Suche nach Gräffs Leiche die Mosel entlang, Leichenspürhunde sollten Witterung aufnehmen.

Knochen und Kleidungsstücke

Auf der Jagd nach einer Spur suchten Taucher Mosel, Teiche und einen Stausee in Luxemburg ab, rund 6000 Fotos der Hochschulparty wurden gesichtet. Dutzende Zeugen antworteten einer Sonderkommission, per „Aktenzeichen XY … ungelöst“ wurde nach Männern gefahndet, die angeblich zuletzt mit Gräff gesehen worden waren. Nichts. „Sämtliche Spuren im Fall Tanja Gräff verliefen leider im Sande“, sagte der damalige Leiter der Ermittlungskommission, Christian Soulier. Zig Aktenordner legte die Polizei im Laufe der Jahre an, ging 3000 Hinweisen und „Spuren“ nach. Aber keine Spur von Tanja.

Bis dann am 11. Mai 2015 Waldarbeiter am Fuß einer Felswand in unmittelbarer Nähe der Hochschule mit Rodungsarbeiten begannen – und auf Knochen und Kleidungsstücke stießen. Fast acht Jahre nach jener schicksalhaften Party-Nacht hatte man endlich per Zufall die sterblichen Überreste von Tanja Gräff gefunden. An der bis dahin zugewucherten, unzugänglichen Stelle war damals nicht am Boden gesucht worden.

Für die Mutter war es eine große Erleichterung, sie konnte ihre Tochter endlich beisetzen. Neben dem Grab ihres Mannes, Tanjas Vater, der 2013 gestorben war. Und wieder liefen die Ermittlungen mit Vollgas an – jetzt um zu klären, wie die Studentin ums Leben gekommen war. Schnell war klar, dass die Studentin den 50 Meter hohen Felsen hinuntergestürzt war. Mit lebensgroßen Puppen wurde das „Sturzgeschehen“ vom Felsenhöhenweg in die Tiefe nachgestellt. Dann kam der Befund der Rechtsmediziner. Gräff hat sich beim Sturz am Felsen tödliche Verletzungen zugezogen. Und der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin an der Universität Mainz, Professor Reinhard Urban, stellte fest: „Es gibt keine Anhaltspunkte, dass eine Gewalteinwirkung von dritter Hand stattgefunden haben könnte.“ Gräff sei zunächst 26 Meter tief abgestürzt und mit gebrochener Wirbelsäule tot in einer Astgabel hängengeblieben. Nach und nach lagen ihre sterblichen Überreste schließlich am Boden.

„Du bist unserem Herzen ganz nah“

Polizei und Staatsanwaltschaft ermittelten weiter wegen eines möglichen Tötungsdeliktes. Denn offen blieb, ob Gräff möglicherweise in den Tod gestoßen wurde oder verunglückte. Seit Januar 2016 hat die Staatsanwaltschaft deshalb den Abschlussbericht der Sonderkommission und alle weiteren Akten zum Todesfall erneut ausgiebig geprüft. Ob am Ende jemals geklärt werden kann, was in jener Nacht oberhalb des Felsens geschah, ist fragwürdig. Die Mutter der Toten glaubt jedenfalls nicht mehr daran. „Was da passiert ist, werden wir nicht mehr erfahren“, hatte Waltraud Gräff vor wenigen Wochen zum zehnten Todestag ihrer Tochter gesagt. „Da ist irgendetwas passiert, das aus dem Ruder gelaufen ist.“

Die Fragen um das Schicksal ihrer Tochter lassen sie nicht los. Am Grab hat sie zwischen kleinen roten Röschen einen weißen Stein in Herzform abgelegt, auf dem „In Liebe“ steht. Und ein kleines steinernes Buch aufgestellt: „Du bist unserem Herzen ganz nah.“