Eine Familie, zwei Leidenschaften: Die Thill-Brüder prägen Luxemburgs Fußball

Eine Familie, zwei Leidenschaften: Die Thill-Brüder prägen Luxemburgs Fußball

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Der Heimatverbundene, der Ausgeglichene, der Introvertierte. Die Thill-Brüder Sébastien, Olivier und Vincent sehen äußerlich ähnlich aus, könnten aber unterschiedlicher nicht sein. Zusammen sind sie ein Trio, das derzeit den luxemburgischen Fußball prägt.

Kindheit

Sébastien, Olivier und Vincent wurden in eine Fußballerfamilie hineingeboren. Vater Serge Thill war in den 90ern und Anfang der 2000er Jahre einer der erfolgreichsten Stürmer der Nationaldivision. Mutter Nathalie Hoeltgen kickte in der höchsten Frauenliga. Beide waren Nationalspieler. Das Familiendomizil in Rodange glich einem kleinen Bolzplatz. In der Küche und im Garten standen Tore. Ohne Kollateralschäden blieb das Ganze nicht: „Einige Lampen wurden abgeschossen“, sagt Olivier.

Täglich wurde dem runden Leder nachgejagt. An den Wochenenden verfolgte die Familie die Spiele des Vaters. „Der Ball hat uns den ganzen Tag begleitet“, sagt Sébastien. „An sechs von sieben Tagen standen wir auf dem Fußballplatz. Wenn wir müde waren, haben wir auf den Fußballkörben geschlafen. Außer Schule und Fußball gab es nichts“, erinnert sich Olivier.

Trainiert wurde das Trio im Verein von Vater Serge. Das brachte etliche Vereinswechsel mit sich. In Rodange, Niederkorn, Schifflingen, Petingen und bei der Fola hatten die Thills eine Lizenz. Das Hin und Her hat ihnen schlussendlich nicht geschadet. „Wir können glücklich sein, wie unser Leben verlaufen ist. Es hat uns zu dem gemacht, was wir heute sind“, sagt Olivier.

Familie

Beim Thill-Clan spielte neben dem Fußball die Familie eine übergeordnete Rolle. Derzeit ist dies jedoch mit Schwierigkeiten verbunden. „Unsere Eltern haben sich scheiden lassen und Olivier und Vincent sind nie zu Hause. Das Familienleben ist momentan ein bisschen schwer“, sagt Sébastien. Die Distanz hat die Brüder aber nicht entzweit. „Wir stehen in ständigem telefonischen Kontakt. Vor und nach jedem Spiel schreiben wir uns“, sagt Olivier.

Vincent wagte als Erster den Sprung ins Ausland. Als 13-Jähriger wurde er vom FC Metz verpflichtet und besuchte fortan das Internat der Lothringer. Mit der Rundumbetreuung durch den Verein ist es seit seinem Wechsel nach Pau jedoch vorbei. „Das war am Anfang schwer. Man gewöhnt sich dran, dass die Familie immer präsent ist“, sagt Vincent. Der Haushalt gehört jetzt auch zu seinem Alltag. „Am liebsten gebe ich diese Aufgaben aber an meine Freundin ab“, schmunzelt der 19-Jährige.

Auch Oliviers Freundin reist regelmäßig nach Russland, um den Mittelfeldspieler zu unterstützen. Bei jeder Einreise muss ein Visum beantragt werden. „Diese Unterstützung bedeutet mir sehr viel“, sagt Olivier.

Körperbemalung

Eines fällt bei den Thill-Brüdern sofort auf: Ob Oberkörper, Beine, Rücken oder Knie, die drei Fußballer sind übersät mit Tattoos. „Die Eltern haben damit angefangen, danach haben wir nachgezogen. Einige Tätowierungen haben eine bestimmte Bedeutung, andere gefallen uns einfach nur“, sagt Sébastien, der sich wie seine Brüder eine Uhr hat stechen lassen. Beim Niederkorner Spielmacher zeigen die zwei Zeiger die Uhrzeit an, an der er das Licht der Welt erblickte. Besonders wichtig sind den drei aber die Bemalungen, die an die Familie erinnern.

„Fußball und Tattoos stehen in unserer Familie im Vordergrund“, sagt Olivier. Auf dem Rücken des 21-Jährigen prangt ein riesiger Grabstein, der ihn an seine verstorbenen Großeltern erinnern soll. Vincent trägt aus demselben Grund ein Kreuz auf dem rechten Oberarm. Sébastiens Lieblingstätowierung ist ein Blatt, auf dem die Namen sämtlicher Familienmitglieder eingraviert sind.

Hobbys

„Außer Fußball, Familie und Tattoos gibt es nicht viel in meinem Leben“, sagt Olivier, der in Ufa Sprachkurse besucht und sich mittlerweile auf russisch verständigen kann. Sébastien genießt seine Zeit als Amateurfußballer und mag es, in seiner Freizeit neue Städte zu entdecken. Der Jüngste des Trios ist ein Mode- und Gamefreak. „Ich liebe es, zu shoppen. Ich habe jedoch keine Lieblingsmarke. Ich kaufe das, was mir gefällt. Teuer oder günstig ist da eigentlich egal“, sagt Vincent. Der kleine Torjäger des FC Pau verbringt seine Freizeit aber vor allem an der Spielkonsole. Das bei sehr vielen Profifußballern beliebte Koop-Survival-Game Fortnite hat es dem 19-Jährigen angetan. „Er ist nicht schlecht“, sagt Olivier über Vincent. Neben seiner Karriere als Fußballer hat er auch Ziele als Gamer. „Ich will einmal an einem Millionenturnier teilnehmen. Aber das ist so wie Weltmeister zu werden – fast unmöglich“, sagt Vincent.

Zu Fortnite-Duellen zwischen den Brüdern kommt es derzeit aber nur noch selten. Der Zeitunterschied zwischen Westeuropa und Ufa beträgt vier Stunden. Das macht das gemeinsame Zocken fast unmöglich.

Vorbilder

Die Brüder mussten nicht lange nach Vorbildern Ausschau halten. Sie wurden im eigenen Haus fündig. Vater Serge war zwischen 1997 und 2003 der Torgarant des CS Grevenmacher. „Das Stadion war immer gut gefüllt, unser Vater hat Tore geschossen und der CSG hat in diesen Jahren um den Titel mitgespielt. Wenn man so etwas sieht, dann will man wie der Vater werden. Das war eine tolle Zeit“, sagt Sébastien, der später – als er mit 16 Jahren zu seinen ersten Einsätzen mit der ersten Mannschaft des CS Petingen kam – selbst zum Vorbild für seine jüngeren Brüder wurde.

Der Messi-Vergleich

Vincent Thill wurde am 22. September 2016 zum ersten Spieler des 2000er Jahrgangs, der in einer der fünf besten europäischen Ligen eingesetzt wurde. Der Luxemburger war bei seinem ersten Profieinsatz für den FC Metz 16 Jahre und 234 Tage alt.

Es war ein Moment, der einen Sturm der Aufmerksamkeit auslöste. Ab diesem Zeitpunkt stand der Teenager im Fokus. Europaweit berichteten Medien über das Wunderkind. Die SportBild fragte damals: „Kommt der neue Messi aus Luxemburg?“ Der schüchterne Junge, der erst am Samstag sein erstes Interview überhaupt gab, empfand die damaligen Schlagzeilen nicht als zusätzlichen Druck. „Das war mir eigentlich relativ egal. Lionel Messi kommt von einem anderen Planeten. Keiner kann mit ihm mithalten, und außerdem habe ich einen ganz anderen Spielstil als er.“

Sébastien und Olivier nehmen ihre Rolle als große Brüder ernst und wollen dafür sorgen, dass Vincent nicht abhebt. „Er lässt sich nicht beeinflussen, aber er muss auch damit umgehen können, dass je mehr die Leute über ihn reden, desto mehr er im Fokus steht“, sagt Sébastien. „Uns ist es eigentlich egal, was andere über uns denken. Wir spielen Fußball für uns und nicht für andere. Die Familie regt sich über Kritik mehr auf als wir“, sagt Olivier.

Charakter

Sébastien und Oliver sind Publikumslieblinge und Sympathieträger. Ob im Verein oder in der Nationalmannschaft, die beiden älteren Thill-Brüder gehen offen auf ihre Mitmenschen zu und gelten als sehr manierlich. Vincent ist deutlich schüchterner als die beiden und fühlt sich am wohlsten, wenn er von ihnen begleitet wird. Die physische Ähnlichkeit ist unverkennbar, aber im Charakter unterscheiden sich die drei Mittelfeldspieler deutlich.

„Vincent ist tollpatschig, chaotisch und kommt immer zu spät. Er ist aber ein exzellenter Fußballer und ein guter Mensch“, sagen Olivier und Sébastien unisono. Vincent schätzt den Humor von Olivier. „Er hat eine Art, die mich immer zum Lachen bringt.“

Sébastien ist für Olivier und Vincent ein Vorbild. „Er ist immer da, wenn man ihn braucht. Es gibt keinen besseren Bruder. Er hört es nicht gerne, aber auch Séba ist ein bisschen tollpatschig“, sagt Olivier. Der Profi von FK Ufa ist der ruhige Part des Trios. „Er ist seriös und hat ein sehr geregeltes Leben. Olivier passt auf, was er sagt. Er ist der Erste in der Familie, der einen Schulabschluss hat. Wir sind stolz auf ihn“, resümiert Sébastien.

Karriereweg

Auch die Karrieren der Dreierbande verliefen sehr unterschiedlich. Als Sébastien 14 war, wollte der FC Metz ihn verpflichten. Er lehnte ab. Auch danach gab es immer wieder Kontakte zu Profivereinen. Sébastien bevorzugte es jedoch, in Luxemburg zu bleiben. „Diese Entscheidung bereue ich heute ein bisschen, aber ich wollte immer nur bei meinen Freunden bleiben. Die Karriere, die ich in Luxemburg zurückgelegt habe, erfüllt mich auch mit Stolz. Zudem kann ich meine Brüder unterstützen, und das ist mir wichtig.“

Olivier war während Jahren so etwas wie die zweite Geige. „Ich war als Kind pummelig und musste mich hocharbeiten.“ Heute ist der 21-Jährige Stammspieler in der ersten russischen Liga. „Ich bin zufrieden mit meinem Weg. Ich bereue jedoch, dass ich die Fußballschule frühzeitig verlassen habe. Diese Ausbildung hätte meine Entwicklung wohl beschleunigt“, sagt Olivier.

Vincent wurde früh als Talent entdeckt und schlug bereits mit 13 Jahren den Weg zum Profi ein. Topvereine aus ganz Europa wollten den Luxemburger verpflichten. Bayern München war sogar bereit, im April 2016 mehrere Millionen Euro für das Talent hinzublättern. Im letzten Moment scheiterte der Wechsel an die Isar jedoch. „Ich kann nicht beurteilen, wie meine Karriere verlaufen wäre, wenn ich bei Bayern unterschrieben hätte. Vielleicht hätte das meine Entwicklung schneller vorangetrieben …“

Anstatt das Trikot des deutschen Rekordmeisters zu tragen, ist Vincent derzeit vom FC Metz an den französischen Drittligisten FC Pau ausgeliehen. Als Rückschritt sieht der 19-Jährige diesen Wechsel nicht. „Es hat mir gutgetan, Spielpraxis zu sammeln. Ich habe Selbstvertrauen und spiele auf dem Platz eine entscheidende Rolle. Die Lust am Fußball ist zurückgekommen. In Metz wurde ich nicht wahrgenommen. Ich habe mich wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt.“

Die Zukunft

Sébastiens Vertrag beim Progrès Niederkorn läuft noch bis 2022. Sein großes Ziel ist es, Titel mit den „Gelb-Schwarzen“ zu gewinnen. Oliviers Kontrakt läuft im Abstiegsfall aus. Hält der FK Ufa die Klasse, ist er noch bis Sommer 2022 an den Verein aus der Republik Baschkortostan gebunden. „Derzeit gibt es noch keine Angebote. Im Fußball zählen Statistiken. Ein Tor und zwei Vorlagen sind ein bisschen wenig“, sagt Olivier.

Vincents Zukunft steht derzeit auch noch in den Sternen. In Metz besitzt er noch einen Vertrag bis 2021. Die Lothringer werden in dieser Saison voraussichtlich in die Ligue 1 aufsteigen. „Ich weiß noch nicht, wie es weitergeht. Vieles hängt davon ab, ob Metz auch in Zukunft auf mich zählt. Ein weiteres Jahr in Pau würde mich nicht stören, aber ich möchte schon gerne ein oder zwei Ligen höher spielen.“ Vincents Traum ist es, irgendwann einmal in Spanien spielen zu können. „Diese Liga und die Bundesliga kommen seinen Fähigkeiten am meisten entgegen. Die Vereine aus der französischen Ligue 1 setzen zu sehr auf kampfstarke Spieler“, sagt Sébastien.

Gemeinsame Ziele

In naher Zukunft wird das Trio wohl nicht zusammen in einem Verein spielen. Sébastiens Wunsch ist es jedoch, eines Tages mit seinen Brüdern in einer Mannschaft zu stehen. „So stelle ich mir mein Karriereende vor.“ Bis dahin werden jedoch noch einige Jahre vergehen. Während Olivier und Vincent im Aufgebot der Nationalmannschaft stehen, die am Freitag Litauen besiegte (2:1) und heute auf die Ukraine trifft, wurde Sébastien nicht nominiert. Der Progrès-Mittelfeldspieler gehört jedoch weiterhin zum erweiterten FLF-Kader, weshalb ein Traum noch Wirklichkeit werden könnte: „Gemeinsam den Roten Löwen auf dem Platz vertreten. Das wäre das Größte“, erklärt Olivier.

Der Vierte im Bunde

Nicht unmöglich ist auch eine Nationalmannschaft mit vier Thill-Brüdern. Der Vierte im Bunde ist zwar erst neun Jahre alt, verfügt aber bereits über eine beachtliche Schusstechnik. Marek spielt derzeit bei den Poussins von Union Titus Petingen und bekommt bereits eine Menge Vorschlusslorbeeren von seinem Clan. „Marek hat einen sehr guten linken Fuß. Er kann besser werden als Vincent“, prognostiziert Sébastien bereits heute.