„Ein Schlag gegen Esch 2022“: Historiker Denis Scuto ruft zum Widerstand gegen die Abrisspolitik auf

„Ein Schlag gegen Esch 2022“: Historiker Denis Scuto ruft zum Widerstand gegen die Abrisspolitik auf

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Trotz der rezenten Ankündigung der Kulturministerin Sam Tanson („déi gréng“), die Gebläsehalle könne aus Sicherheitsgründen nicht für Esch 2022 genutzt werden, geht das Tauziehen um das emblematische Gebäude auf Belval weiter. Genau wie der Escher Gemeinderat traut auch der Historiker Denis Scuto der Studie des Fonds Belval nicht. Im Interview kritisiert er die desaströse Denkmalschutzpolitik in Luxemburg und ruft zum Widerstand gegen die Zerstörung der Baukulturgüter auf.

Zur Person: Denis Scuto

Denis Scuto (54) ist Historiker und Vizedirektor des Luxembourg Centre for Contemporary and Digital History (C2DH) an der Uni Luxemburg. Er engagiert sich seit 30 Jahren mit vielen anderen Bürgerinnen und Bürgern für den Erhalt und die Nutzung von Industrie- und Architekturkulturgütern. Er hat als Autor und Ko-Autor mehrere Werke über Industriegeschichte und Industriekultur publiziert.

Zurzeit arbeitet er, im Hinblick auf die Europäische Kulturhauptstadt Esch 2022, mit Jean Goedert, Antoinette Lorang, Antoinette Reuter und dem Fotografen Christof Weber an einem neuen historischen Stadtführer über Esch mit dem Titel „Guide historique et architectural: Esch-sur-Alzette“.

Tageblatt: Die Gebläsehalle in Belval kann nun angeblich aus Sicherheitsgründen doch nicht für Esch 2022 genutzt werden. Wie bewerten Sie diesen Rückschlag?

Denis Scuto: Für mich ist das unverständlich. Die Polizei hat ihren Pfandhof in der Gebläsehalle. Täglich fahren dort Autos ein und aus. Und jetzt heißt es auf einmal, die Halle könne bis 2022 nicht so instand gesetzt werden, dass Besucher hinein können (Anm. d. Red.: Der Escher CSV-Bürgermeister Georges Mischo hat am Mittwoch zu diesem Widerspruch auch eine parlamentarische Frage an den grünen Infrastrukturminister François Bausch gestellt).

Welche Folgen hat diese Entscheidung für die Europäische Kulturhauptstadt?

Wenn der Staat nicht bereit ist, Standorte wie die Gebläsehalle für Esch 2022 zumindest für eine temporäre Nutzung instand zu setzen, dann stelle ich mir die Frage, was wir den Hunderttausenden Besuchern der Kulturhauptstadt denn überhaupt zeigen wollen. Es war unter anderem das industrielle Erbe der Südregion, das die Jury der EU-Kommission überzeugt hat, den Titel an die Südregion zu vergeben. Für mich wäre es ein Boykott, ein Schlag gegen Esch 2022. Ich hoffe, dass die Debatte um die temporäre Nutzung der Gebläsehalle für Esch 2022 nun nicht wegen einer fragwürdigen Studie des Fonds Belval beendet ist.

In seiner Studie zum Zustand der Halle hat der Fonds Belval offenbar nicht nur Asbest, sondern auch Schäden am Dach und an der Bausubstanz festgestellt.

Man braucht keine zweieinhalb Jahre, um das Dach zu reparieren. Ich verfolge seit 20 Jahren die Planung und Urbanisierung von Belval, war Mitglied in mehreren Arbeitsgruppen und weiß genau, wie der Fonds Belval funktioniert.

Haben Sie die Studie des Fonds Belval gelesen?

Nein, sie ist ja nicht öffentlich zugänglich. Wir, die uns für die Erhaltung und Umnutzung des Kulturerbes im Minett einsetzen, werden die Veröffentlichung dieser Studie und dann gegebenenfalls eine Gegenstudie verlangen.

Einerseits sind die Studien, die der Fonds Belval mit seinen privaten Partnern durchführen lässt, maßlos überteuert. Andererseits haben sie den Anspruch, Luxusrestaurierungen umzusetzen, anstatt minimalistische Eingriffe vorzunehmen, wie es an vielen vergleichbaren Orten im Ausland üblich ist. Luxusrestaurierungen kosten natürlich viel Zeit und Geld.

Haben Sie ein Beispiel für solche Luxusrestaurierungen?

Um die Bühne von Hochofen B instand zu setzen, hat der Fonds Belval sie erst mit einem Kran abmontieren lassen, um sie dann in einer Halle von Paul Wurth sanieren zu lassen und sie, wieder mit einem Kran, zurückzubringen, anstatt sie gleich vor Ort zu reparieren.

Alleine schon der Kran hat zweimal ein Vermögen gekostet. Dabei hatten frühere Techniker und Ingenieure der Arbed dem Fonds Belval angeboten, mit Rat und Tat bei den Restaurierungsarbeiten zu helfen, wie es bei Thyssen in Duisburg und an anderen Orten im Ruhrgebiet gemacht wurde.

Aus welchen Gründen entscheidet sich der Fonds Belval Ihres Erachtens für solche kosten- und zeitaufwendigen Sanierungen?

Die Verantwortlichen des Fonds Belval können im Allgemeinen mit Industriekulturgütern nicht viel anfangen. Sie sehen sie nur als Kulissen anstatt als urbanistische Ressourcen an. Davon zeugt schon alleine die konsekutive Zerstückelung des sogenannten „Highway“ auf Belval, von dem heute nicht mehr viel übrig ist. Nicht nur internationale Industriekulturexperten, sondern auch die Luxemburger Architekten und Urbanisten haben Belval um dieses Bauwerk beneidet.

Die Kulturministerin hat in ihrer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage betont, dass die Gebläsehalle als „bâtiment phare de l’histoire industrielle“ weiter auf der Prioritätenliste der Regierung steht. Unter Denkmalschutz stellen will Sie das Gebäude trotzdem nicht. Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch?

Sogar wenn sie die Halle nicht für 2022 nutzen will, müsste die Regierung eine klare Aussage zur Zukunft des Gebäudes machen. Erstens müsste sie es unter Denkmalschutz stellen und zweitens sofort mit der Instandsetzung beginnen.

Wieso diese Dringlichkeit?

Eine Arbeitsgruppe im Rahmen der Kandidatur der Südregion für das Unesco-Programm „Man and the biosphere“ arbeitet gerade an der Vernetzung der Industriekultur-Standorte und -Museen im ganzen Land. Allgemein geht es darum, ein nationales Zentrum für Industriekultur zu schaffen, das sich um die Bereiche Kommunikation, Archivierung und Forschung kümmert. Für diese Bereiche verfügen die kleineren Museen alleine nicht über die notwendigen Ressourcen. Die Gebläsehalle wäre der ideale Standort für dieses nationale Zentrum. In der oder besser gesagt den drei Hallen wären parallel aber auch weitere Umnutzungen möglich.

In einem „Fräie Micro“ auf Radio 100,7 haben Sie am Dienstag den Direktor des „Service national des sites et monuments“, Patrick Sanavia, beschuldigt, die Gebläsehalle zerstören zu wollen. Was werfen Sie ihm konkret vor?

Ich finde es skandalös, dass der Direktor einer Denkmalschutzbehörde am 23. Februar 2018 gegenüber dem Tageblatt erklärt hat, er sehe keinen ganz großen historischen und architektonischen Wert in der Halle. Heute gibt es die Charta von Venedig und die Konvention von Granada, durch die ganz klar definiert ist, was ein Kulturdenkmal ist. Es geht dabei nicht um ästhetischen Geschmack, sondern darum, dass das Gebäude „im Denkmalbereich von einer ihm eigentümlichen Kultur, einer bezeichnenden Entwicklung oder einem historischen Ereignis Zeugnis ablegt“. Die Gebläsehalle ist ein zentrales Element der Belvaler Hütte, die ihrerseits zentral in der Industriegeschichte Luxemburgs im 20. Jahrhundert ist, und als einziger Produktionsort aus der Gründungszeit der Schmelz von 1912 noch besteht. Ohne von der Monumentalität der Halle und den vielen Umnutzungsmöglichkeiten zu sprechen.

Sanavia hat auch gemeint, zwischen dem Erhaltungswert und den Erhaltungskosten bestehe kein vernünftiges Verhältnis. Fehlt es an Geld?

2007 haben wir uns gefreut, als die Gebläsehalle zur Miete an das Kulturministerium übergegangen ist. Wir dachten, das Gebäude sei damit vor dem Fonds Belval geschützt. Die Regierung hat der Denkmalschutzbehörde damals 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Reparaturen an der Gebläsehalle durchzuführen. Doch das Geld wurde nicht nur nicht von Herrn Sanavia benutzt, er hat sogar der Kulturministerin Maggy Nagel vorgeschlagen, dieses Geld zu streichen.

Sanavia ist studierter Jurist, der 2008 von der damaligen Staatssekretärin im Kulturministerium, Octavie Modert (CSV), zum Direktor der Denkmalschutzbehörde genannt wurde, um insbesondere die Kosten beim Bau des „Musée 3 Eechelen“ im Auge zu behalten. Sollte Ihrer Ansicht nach nicht ein Spezialist in diesem Fach an der Spitze dieser Behörde stehen?

Auf jeden Fall. Es scheint mir selbstverständlich, dass eine Person, die dieses Fach studiert und jahrelange Erfahrung im Bereich von Denkmalschutz und -pflege hat, einer solchen Behörde vorstehen müsste.

Der private Bauherr Eric Lux hat vor sechs Monaten ein kommerzielles Nutzungskonzept mit Wohnungen, Büros und Läden für die Gebläsehalle entworfen (siehe Tageblatt vom 3. Mai). Kennen Sie dieses Projekt, und wenn ja, wie beurteilen Sie es?

Ich habe das Projekt gesehen. Soll es das jetzt sein? Die Gebläsehalle als entkernte Hülle mit teuren Wohnungen und Geschäften? Diese Art von Projekt könnte sowieso nicht umgesetzt werden. Der Staat ist zwar im Besitz des Grundstücks, doch es unterliegt Auflagen, die Wohnungsbau dort verbieten.

Der gleiche Eric Lux wurde von ArcelorMittal mit der Wiederaufwertung der Industriebrache „Lentille Terre Rouge“ beauftragt. Vor zehn Tagen fand ein erster partizipativer Workshop statt, an dem Sie teilgenommen haben. Sind Sie mit dem Ergebnis zufrieden?

Die Frage ist, ob die Bürger hier wirklich mitentscheiden können oder ob schon alle Entscheidungen getroffen wurden. Wenn ein privater Bauherr einen partizipativen Workshop veranstaltet, sollte man grundsätzlich immer vorsichtig sein. Das Immobilienunternehmen scheint jedenfalls der Meinung, dass die „Keeseminnen“ weg müssten. Auch hier wurden wieder zu unrecht Stabilitätsprobleme angeführt. Während des Workshops hat sich aber herausgestellt, dass die „Keeseminnen“ wenigstens zum Teil erhalten bleiben und genutzt werden müssen, nicht nur aus Denkmalschutzgründen, sondern um eine Verbindung vom Plateau Barbourg ins neue Viertel zu schaffen.

Häufig wird behauptet, die Instandsetzung von Industriegebäuden sei teurer als ein Abriss und Neubau. Stimmt diese Rechnung?

Nein. Es sollte eine parlamentarische Untersuchung eingeleitet werden, um zu prüfen, wie viel der Fonds Belval für die Wiederaufwertung von Belval ausgegeben hat. Hier ist es endlich Zeit und Pflicht, gegenüber dem Bürger für Transparenz zu sorgen. Ich denke, dann würde man merken, dass in Belval viel Geld verschwendet wurde, durch Abriss und Neubau sowie die Art und Weise, wie die Hochofenanlage auf der ganzen Hochofenterrasse restauriert und nicht umgenutzt wurde.

Wie sollte Ihrer Meinung nach im Idealfall beim Denkmalschutz in den nächsten Jahren auf den Industriebrachen vorgegangen werden?

Bevor ein größeres Urbanismusprojekt umgesetzt wird, müsste erst einmal ein Moratorium veranlasst werden, damit nichts abgerissen werden kann. Danach müsste nach wissenschaftlichen Kriterien ein Inventar aller schützenswerten Gebäude auf den Industriebrachen erstellt werden. Für die Gegend von Echternach besteht z.B. ein Inventar, aber nicht für das Minettegebiet. Ich kann auch die unterschiedlichen Herangehensweisen nicht nachvollziehen. Auf der Brache Esch-Schifflingen wird ein internationaler Wettbewerb für Stadtplaner veranstaltet und auf der „Lentille“ bekommt ein privater Bauherr sozusagen freie Hand.

Wie bewerten Sie die urbanistischen Projekte, die am Wettbewerb für Esch-Schifflingen teilnahmen?

Mir hat gefallen, dass die Stadtplaner auf Esch-Schifflingen Industriekulturgüter wie den Kühlturm und die Walzwerkshallen, im Gegensatz zu den Hochöfen auf Belval, nicht nur als Landmarks erhalten, sondern tatsächlich als Ressource nutzen wollen. Auch sollen die bestehenden Straßen, die Struktur und die unterschiedlichen Ebenen des Standorts als Ansatz für die Stadtplanung genutzt werden. Die Philosophie und die Logik sind ganz anders wie damals auf Belval.

Seit über 20 Jahren wird über ein neues Denkmalschutzgesetz gesprochen. Die neue Kulturministerin will es nun umsetzen. Worauf sollte dabei besonders geachtet werden?

Was zurzeit hier im Süden, aber auch im Rest Luxemburgs passiert, ist die progressive Zerstörung des Landes. Durch den demografischen Druck haben die Grundstücke, auf denen diese Denkmäler stehen, einen hohen finanziellen Wert. Doch von schätzungsweise 5.000 schützenswerten Gebäuden in ganz Luxemburg sind bislang nur ungefähr 1.000 geschützt. Das sind lediglich 0,7 Prozent aller Bauten im Land. Gleichzeitig werden jährlich um die 100 schützenswerte Gebäude und Häuser abgerissen. Wenn wir so weitermachen, werden, nach Berechnungen des Journalisten Jochen Zenthöfer, in 40 Jahren die meisten Baukulturgüter zerstört sein. Deshalb brauchen wir einen breiten Widerstand der Bürgerinnen und Bürger gegen dieses Vorgehen.

Ich hoffe, dass schnellstmöglich ein neues Denkmalschutzgesetz kommt, das Gebäude ab einem gewissen Alter systematisch schützt und das gestützt ist auf Prinzipien wie Wissenschaftlichkeit der Denkmalschutz und -pflege und Transparenz und Rechtssicherheit für den Bürger schafft. Es darf nicht sein, dass private Bauherren anstelle der Politik und der Bürger entscheiden, was gebaut und abgerissen wird und was nicht.

boufermamm
16. Mai 2019 - 9.38

Es ist schneller etwas dem Erdboden gleichgemacht als gebaut.Einmal abgerissen, heisst auf immer verschwunden, auch wenn nichts eine Ewigkeit hält. Hierzulande werden allzu schnell alte erhaltenswerte, geschichtsträchtige Bausubstanzen zerstört.

J.C.KEMP
12. Mai 2019 - 21.19

Le sacro-saint fric ! Comme toujours ! Mais je te redis, je n'irai pas plus loin. D'ailleurs j'ai horreur... (merci à l'ami Jacques)

René Charles
12. Mai 2019 - 15.01

Merci. 100 points.

Catherine Gaeng
12. Mai 2019 - 10.02

PROJETS D’INVESTISSEMENT A BELVAL. UN SITE, TOUTES LES OPPORTUNITES (c’est le gros titre du site belval.lu). Le mot important là-dedans est « investissement » dont le dictionnaire nous apprend que c’est l’action d'investir des capitaux dans un secteur économique. Je ne sais pas pourquoi, mais j’ai le sentiment que « ein nationales Zentrum für Industriekultur zu schaffen, das sich um die Bereiche Kommunikation, Archivierung und Forschung kümmert» n’est pas, mais alors pas du tout la préoccupation première d’un investisseur. Alors qu’une Gebläsehalle als entkernte Hülle mit teuren Wohnungen und Geschäften »…

Pierre Ravarin
11. Mai 2019 - 21.42

An denen Überbleibsel ist leider nichts mehr erhaltenswert! Völklingen war seinerseits schon besser, weil das Werk als Ganzes erhalten blieb. Nicht in herausgeriseenen Teilen! Schade für eine weitere verpasste Gelegenheit! Und wieder ein Schritt zur Auslöschung der Geschichte, der Vergangenheit.

RapZodi
11. Mai 2019 - 16.00

Den Här Scuto soll sech mol berouegen. Net alles wat der Gesellschaft Geld kascht ass och neideg respektiv ubrued.

René Charles
11. Mai 2019 - 14.33

Se kënnen maachen wat se wëllen: am Saarland gesäit een do op de Siten vun den alen Schmelzen an Walzwierker Meeschterstécker wéi een eppes sou hikritt. Dat wat mir wëlles hun dréit näischt Wesentleches zur Kulturhaptstat bäi. Wien an Esch mam Auto AN OCH mam Velo ënnerwee as spiert un de Stroossen, dass mol kee Wärt op eng angenehm Wohnkultur geluecht gët.

Nomi
11. Mai 2019 - 13.43

Firwaat get so'u Eppes waehrend 30 Johr vergammelen gelooss, an dono ass et net mei' ze retten ! Schappech Politik oder ass daat eso'u am Viraus geplangt ??