Ein Gespräch: Nando Pasqualoni ist als Atheist den Jakobsweg gegangen – schon drei Mal

Ein Gespräch: Nando Pasqualoni ist als Atheist den Jakobsweg gegangen – schon drei Mal

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Mittagszeit in einem bekannten Café-Restaurant in Esch. Ein Song von Falco ist über die Lautsprecheranlage zu hören. Das Essen mundet und Nando Pasqualoni, unser Tischnachbar, hat eine Menge zu erzählen. Der 67-Jährige, der einst Zentralausschuss-Präsident bei ArcelorMittal war und auch letzter Präsident der Arbeiterkammer, hat den Jakobsweg nun bereits zum dritten Mal zurückgelegt.

Tageblatt: Wie kam es, dass Sie den Jakobsweg gegangen sind?
Nando Pasqualoni: Vor einigen Jahren habe ich das Buch von Paulo Coelho „Auf dem Jakobsweg: Tagebuch einer Pilgerreise nach Santiago de Compostela“ gelesen. Das war Mitte der 90er. Seitdem stand für mich fest, dass ich den Jakobsweg unbedingt mal gehen muss. Aus Zeitgründen kam dies damals aber nicht zustande. Und nun habe ich ihn bereits drei Mal bewältigt und bin in der Hinsicht bereits ein alter Hase.

Wann waren Sie das erste Mal unterwegs?
2014, von September bis Oktober. Dann 2016 von April bis Ende Mai. In diesem Jahr war ich auch um diese Jahreszeit unterwegs, habe aber dann nach der Ankunft in Compostela noch ein Stück Weg drangehängt.

Wie viele Kilometer waren es denn diesmal insgesamt?
Zwischen 1.230 und 1.250 Kilometer. Insgesamt war ich 44 Tage unterwegs. Einige Etappen waren bis zu 40 Kilometer lang. Die waren dann sehr flach. Zehn oder zwölf Stunden marschieren. Man hat ja dann nichts anderes vor. Allerdings muss man das auch mental erst mal bewältigen.

Sie sind ein alter Hase, haben Sie eingangs gesagt …
Man wird schnell ein alter Hase, wenn die Füße schmerzen und die Gelenke krachen. (lacht) Die Erfahrungen aus den ersten beiden Wallfahrten haben mir geholfen. Das Wetter kann beispielsweise äußerst problematisch sein. Beim zweiten Mal hat es 26 Tage am Stück geregnet. Diesmal gab es drei Regentage zu Beginn und drei zum Schluss. Da hilft dann auch die beste Pelerine nichts. Nach kurzer Zeit ist man völlig durchnässt.

Sind Sie den Weg alleine gegangen?
Ich habe 85 Prozent des Weges alleine zurückgelegt. Allerdings kommt man täglich mit anderen Wanderern in Kontakt und auch ins Gespräch. Man lernt interessante Menschen kennen. Eines der Themen ist aber immer das gleiche: die Motivation. Warum tut man sich den „Camino“ an? Es gibt viele, die es aus religiösen Gründen machen. Die echten Pilger halt. Ich dagegen bin Atheist.

Was sind Ihre Beweggründe?
Das innere Gleichgewicht finden. Im Einklang sein mit sich selbst. Wandern gibt mir sehr viel. Den Körper auspowern und bis an seine Grenzen gehen. Psychisch und physisch. Wandern ist für mich wie ein Ritual geworden. Ich bin jede Woche gleich ein paar Mal unterwegs. Zwischen 20 und 25 Kilometer. Mal im Süden oder mal im Norden Luxemburgs.

Dann war da auch der Zeitpunkt, an dem ich in Rente gegangen bin. Man arbeitet sein Leben lang und dann ist irgendwann Schluss. Damit muss man erst einmal klarkommen. Die ersten zwei Monate waren wie Urlaub, dann aber wurde es problematisch. Es geht um den Selbstwert. Ich hatte das Gefühl, aus der neuen Situation mal raus zu müssen. Um über mich selbst nachzudenken.

Zurück zum „Camino“. Wen haben Sie denn da alles so getroffen?
Wie so oft, wenn man in der Welt unterwegs ist, trifft man gleich auf Luxemburger. Zwei Nonnen. Die wollten aber nicht groß etwas sagen. Sie waren eher abweisend. Zwei Brüder aus Düdelingen waren auch unterwegs. Wir haben dann gemeinsam eine Strecke zurückgelegt. Man benötigt im Übrigen immer ein paar Etappen, bevor man „reinkommt“ und sich der Körper an die Strapazen gewöhnt und den Rhythmus gefunden hat.

Was gab es sonst noch für Anekdoten?
Auf der sechsten oder siebten Etappe habe ich unterwegs eine Pause auf einer Terrasse eingelegt. Dort saßen Deutsche. Die Abteilung eines Betriebes. Der „Camino“ war Teil einer Teambuilding-Maßnahme. Die machten alle missmutige Gesichter und schauten ziemlich unglücklich drein.

Und dann?
Der Teamleiter fragte mich, wie ich den Jakobsweg denn finden würde. Ich sagte spaßeshalber: „Hart, aber nicht so hart wie Stalingrad.“ Die Wanderer blickten auf und lächelten gequält. Also als Teambuilding-Maßnahme taugt der Jakobsweg nicht. Man muss ihn planen und gezielt angehen. Ich habe in Pensionen übernachtet, in Klöstern und Hotels. Ich habe nie etwas dem Zufall überlassen. Ich wusste stets, wo ich übernachten würde. Auch beim dritten Mal, obwohl sich da schon reichlich Routine entwickelt hat. Sonst geht es einem wie den Deutschen aus der Firma. Das war Stress pur bei denen. Von Glücksgefühlen keine Spur. Die waren total unzufrieden, da sie völlig unvorbereitet einen Teil des Weges auf sich genommen hatten.

Kommen denn solche Glücksgefühle auf?
Und ob die aufkommen! Glücksgefühle und Erleichterung. Als ich das erste Mal in Santiago ankam, habe ich mich vor der Kathedrale auf eine Bank gesetzt und es einfach mal genossen. Es war ein tolles Gefühl und gleichzeitig auch Dekompression. Ein Gefühl, es geschafft zu haben, aber auch ein Gefühl, dass das Kapitel eines Buches zu Ende ging. Zu dem Zeitpunkt wusste ich ja noch nicht, dass es mich noch zwei weitere Male dorthin ziehen würde. Und es gibt in der Tat auch diese Phasen, in denen man sich irgendwie selbst überholt und echte High-Gefühle wie beim Marathon laufen entwickelt.

Und die anderen Phasen?
Die gibt es natürlich auch. Einmal, nach einer Etappe von 40 Kilometern, war ich derart am Ende. Ich habe einen Freund angerufen und ihm gesagt, dass ich aufhören würde. Da hat er gesagt, Nando, stellt dich mal unter die Dusche für eine halbe Stunde, dann trinkst du einen Aperitif und isst ein paar Oliven … Er sollte recht behalten. Zwei Stunde später hegte ich keinen Gedanken mehr ans Aufhören. Die Euphorie war zurück und ich freute mich auf den nächsten Tag. Ich habe folgende Lehre aus dem Jakobsweg gezogen: Du wirst unterwegs stets mit dir selber konfrontiert und musst dich immer wieder infrage stellen. Das ist für mich der „Spirit“.

Apropos Oliven. Wie sieht es mit der Verpflegung aus?
Nach der Dusche und dem täglichen Wäschemachen steht das Abendessen an, das je nach Region völlig unterschiedlich ist. Sehr nahrhaft ist es immer. Es besteht aus einer Vorspeise, einem Hauptgericht und einem Dessert. Speziell in Klostern isst man hervorragend. Mit dem Wein habe ich immer langsam gemacht. Höchstens ein haltes Glas, sonst war ich morgens platt. Mit Pilgern aus Südkorea, die sehr katholisch sind, ist es einmal sehr lustig gewesen. Je mehr sie tranken, desto lockerer wurden ihre Zungen. Später hatten sie dann alle ihre „Charge“. Zwischen 10 bis 15 Prozent der Wanderer bzw. Pilger sind im Übrigen Asiaten. Ansonsten trifft man auf Menschen aus aller Herren Länder. Darunter viele Studenten, die vorm Start ins Berufsleben noch die nötige Zeit finden für dieses Abenteuer. Aber auch viele in meinem Alter.

Wie viele Kilos verliert man eigentlich unterwegs?
Das ist individuell, aber abnehmen tut jeder, deshalb ist die Ernährung so wichtig. Es gibt eine Faustregel, die besagt, dass man das an Gewicht abnimmt, das man im Rucksack hat.

Haben Sie auch religiöse Fanatiker unterwegs getroffen?
Solche Geschichten erlebt man jeden Tag. Es galt einmal, einen Berg zu bezwingen, den „Cuesta de Matamulos“, da, wo die Esel hochgehen und draufgehen, wenn man es übersetzt. Da geht es steil hoch und auch wieder runter. Oben stand ein Amerikaner, der jeden dazu aufforderte, sich zu bekreuzigen, als hätte man den Berg nur mit Gottes Hilfe geschaffen. Dann habe sich da noch einen Theologieprofessor von der Uni aus Bologna kennengelernt. Sein Vorname war Fabrizio. Wir hatten uns verlaufen und legten den Weg dann gemeinsam zurück. Er konnte sich nicht vorstellen, dass man als Atheist auf dem Jakobsweg pilgert. Das Gespräch ging um Glaube, um den Sinn des Lebens. Ich hielt forsch dagegen und er kam immer mehr in die Defensive. Ich zählte die Sünden der katholischen Kirche auf, von denen es ja einige gibt: ihre Rolle unter Mussolini in Italien, während der Nazi-Zeit in Deutschland, dann die ganzen sexuellen Übergriffe der Würdenträger an Minderjährige.

Wie ging das Gespräch dann weiter?
Er geriet immer mehr in die Defensive und sagte irgendwann, dass die Gnade Gottes wohl längst noch nicht bei jedem Kirchengänger richtig angekommen sei. Als wir uns dann voneinander verabschiedeten, sagte er, dass er erstaunt darüber sei, dass es auch „gute“ Atheisten gäbe. Das wäre für ihn denn auch ein Gottesbeweis. Ich fand selber, dass das aber ein starkes Stück war …

Jacques Zeyen
18. September 2018 - 23.22

Lieber Herr Ujheen, da wir ,sobald wir die Augen öffnen oder kurz danach,zum Christentum,Islam oder Judentum verurteilt sind,ohne daß man unser Einverständnis einholte hat seinen besonderen Grund. Ich glaube auch nicht,dass am Stammtisch viel über die Geschichte des Christentums geredet wird,auch das hat seinen besonderen Grund. Menschen wurden und werden noch immer von Politik regiert. Und die Politik machten und machen die weltliche und die geistliche Macht. Bildung,Demokratie und Äusserungsfreiheit sind die Feinde der Ausbeuter die bisher, und in vielen Ländern noch immer, das Volk ausbluten lassen. Also Herr Ujheen,lesen sie Deschner (Opus Diaboli) oder Bertrand Russell ( Why I'm not a Christian ) usw. Da werden sie sehen,dass der Vergleich mit Cholera und Pest noch gelinde ausgedrückt ist.

Ujheen
18. September 2018 - 12.13

@DanV Merci fir Aeren dach net oninterressante Beitrag. Dass ech awer net mat dem Här Zeyen an Aerem Discours averstaane sinn waert Där als Atheist acceptéieren, do sinn ech mer sécher. Atheiste mussen dach méi tolerant sinn wéi déi « Gleeweg ». Daat schreiwen se sech jo mool op hiere Fändel. Recherchéieet emool nach e besselche méi wäit wéi Äer geschichtlech an exegetesch Ausflich an d’Bibel a schloot Bicher iwwer Astrophysik a Quantemechanik op a setzt daat an de Kontext vun Allem waat ass. Daat deet esou gudd! Gleewt mer. Ah nee pardon, Där gleewt jo net ;-)

DanV
17. September 2018 - 12.44

"dass er erstaunt darüber sei, dass es auch „gute“ Atheisten gäbe" Hatte so was Ähnliches auch mal bei einem Dialog mit einer Verwandten. Ihre Feststellung: "Ich hätte nicht gedacht, dass man eine solch intelligente Diskussion mit einer Person führen kann, die aus der Kirche ausgetreten ist." Dass man nicht einfach so zum Atheisten oder Agnostiker wird, scheint den meisten "Gläubigen" nicht in den Sinn zu kommen. Es braucht viel Nachdenken, alles, d.h. die Welt und Gott und auch sich selbst in Frage zu stellen, viel Gewissenserforschung, Geschichtsforschung und Ehrlichkeit zu sich selbst. Denn am Anfang jedes Kirchenaustritts steht die Frage: "Wieso fühle ich mich nicht mehr wohl mit dem, was die erzählen" oder "Wieso bin ich so misstrauisch". Aber niemand tritt aus, weil er die Fragen gestellt hat. Die Fragen müssen erst beantwortet werden. Also analysiert man, was man im Religionsunterricht gelernt hat. Zwangsläufig fängt man an, nachzulesen und dann fallen einem all die Ungereimtheiten auf, die man bisher für selbstverständlich gehalten hat: - das Verbot der Erkenntnis im Garten Eden - die Anstiftung zum Mord an Isaak - Hiobs ruiniertes Leben - Liliths ermordete Kinder (das findet man erst später heraus) - das Leiden Jesu (handelt so ein "Vater"?) - die Evangelien, die gestrichen wurden - die, wie es scheint, verfälschte Geschichte von Maria Magdalena usw. All das und vieles mehr, wie z.B. die frauenfeindliche Haltung der katholischen Kirche, führen dann dazu, dass man mit der ganzen Geschichte nichts mehr zu tun haben will. Aber man hat viel nachgedacht und nachgeforscht und kennt sich gut aus - bevor man sich abwendet.

DanV
17. September 2018 - 12.01

@Ujheen Manchmal braucht es Klichees, um etwas zu beschreiben. Herr Zeyen hat absolut recht.

HeWhoCannotBeNamed
16. September 2018 - 21.24

Religiosität äußert sich bei weitem nicht nur in Kniefall, Unterwerfung und Gewalt gegen Anders- oder Nichtgläubige - auch "Bewunderung" für die Natur hat eine "numinose", also sakrale Seite. Sie benutzen, vielleicht ohne es zu merken, bereits religiöses Vokabular in diesen Zeilen. Und : wenn der Atheismus die Vorstellungen und Symbole der gläubigen Menschen als Fabelwesen abtut, maßt er sich genauso an, etwas über die "großen Fragen" des Lebens zu wissen - und dann wird auch er sich gut als Leitfaden zum Kampf anbieten. Der Atheismus kann nur dann eine brauchbare Alternative zu religiösen Auffassungen bieten, wenn er die Frage nach dem übernatürlichen nicht verneint, sondern sich einen Dreck drum schert.

Ujheen
16. September 2018 - 21.16

Oh Här Zeyen...Méi Stammdëschméisseg wéi mat Äerer Rajoute iwwert d’Christentum an dem Verglach mat der Cholera an der Pescht geet kaum nach...Hätt ech net vun Iech geduecht.

Jacques Zeyen
16. September 2018 - 16.56

Ist Christentum wirklich gut? Nein. Es hat mehr Tote generiert als Pest und Cholera zusammen. Siehe Geschichte.

Jacques Zeyen ( Atheist )
16. September 2018 - 10.41

Dazu ein Satz von St.Weinberg : " Es gibt gute Menschen die Gutes tun und es gibt böse Menschen die tun Böses.Aber damit ein guter Mensch Böses tut,dazu braucht es die Religion." Wenn Religiosität die Bewunderung und den Respekt der Natur darstellt,dann braucht es den Begriff"Atheist "gar nicht. Wenn sie aber die Bewunderung eines Fabelwesens mit den dazugehörigen Dogmen und Schweinereien die ihre ganze Geschichte ausmacht darstellt,dann braucht es den Begriff "Gott" gar nicht. Man sollte sich nicht schämen sich gut zu fühlen und das Leben zu geniessen,ohne dafür täglich auf die Knie zu fallen und Dank zu sagen.Dazu sind Knie nicht da. Bravo Nando,trotzdem.Ich schlage dir den GR20 auf Korsika vor. Da wird nicht gebetet und ich bin nie einem Theologen begegnet.

roger wohlfart
16. September 2018 - 10.23

Es gibt keinen Unterschied zwischen unserem spirituellen Leben und unserem normalen Leben. Viele Atheisten sind die besseren Christen!

HeWhoCannotBeNamed
15. September 2018 - 18.41

"Das innere Gleichgewicht finden" und "im Einklang mit sich selbst sein" sind genauso religiöse Beweggründe wie jene eines "guten Christen". Die Menschen in Europa sind nicht, wie viele meinen, weniger religiös geworden - sondern die Formen der Religiosität haben sich verändert : individualistische Vorstellungen, in Bezug auf ein unpersönliches "Göttliches", usw. Interessant zu dem Punkt die Thesen vieler Soziologen, die sich dem Thema gewidmet haben (Thomas Luckmann, Danièle Hervieu-Léger, etc). Damit will ich diese Beweggründe nicht abwerten, im Gegenteil - aber sie sind nicht mehr oder minder "gültig" oder religiös als die eines Gläubigen. Atheismus ist in dem Sinne auch nicht das Gegenteil von Religiosität, sondern eine mögliche Form derselben.