Ein Foto findet nach Hause – Wie eine 74-Jährige ihre Mutter auf einem alten Tageblatt-Foto entdeckte

Ein Foto findet nach Hause – Wie eine 74-Jährige ihre Mutter auf einem alten Tageblatt-Foto entdeckte

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Als sich Jean-Pierre Reckinger am 10. September wie üblich beim Frühstück der Lektüre des Tageblatt widmen will, bleibt sein Blick an einem Foto hängen. Dieses illustriert einen Artikel über die Befreiung Eschs vom Nazijoch und die Geschichte des ersten US-Soldaten auf Luxemburger Territorium. „Schau doch mal“, sagt er zu seiner Frau. „Hier auf diesem Foto von 1944 sieht man unsere Häuser im Hintergrund.“ Jeanny Reckinger-Erpelding horcht auf und betrachtet das Bild. Was sie sieht, verschlägt ihr den Atem.

Von Christiane Wagner 

Vorne im Bild, genau unter der „Welcome to our Liberators“-Banderole, entdeckt sie ihre Mutter auf einem Fahrrad. „Ich traute meinen Augen nicht, schaute ein zweites Mal hin, hielt das Bild näher ran und nahm ein Vergrößerungsglas zur Hilfe“, verrät Jeanny Reckinger-Erpelding uns. „Es war zweifellos meine Mutter, Bebby Koster, verheiratete Erpelding, im Alter von 30 Jahren.“

Die Frau auf dem Fahrrad rechts im Bild ist Jeanny Reckinger-Erpeldings Mutter

Größe, Statur und Haltung stimmen. Nach anfänglicher Skepsis und einem undefinierbaren Gefühl kommt Freude auf. Ihre geliebte Mutter ist seit 40 Jahren tot. „Das war wirklich eine Überraschung. Ich hatte keine Ahnung davon, dass meine Mutter am Tag der Befreiung in der Luxemburger Straße, nicht weit von ihrem Zuhause entfernt, abgelichtet worden war. Sie hat es vermutlich selbst nicht bemerkt, denn sie hat nie davon erzählt. Ich habe alle Fotoalben meiner Eltern sorgfältig aufbewahrt. Nun werden sie um dieses historische Foto reicher.“

Das Fahrrad als ständiger Begleiter

Nachdem sich Jeanny Reckinger-Erpelding mit der Bitte um das Originalfoto an das Tageblatt gewandt hat, besuchen wir sie zu Hause. Wir wollen mehr über diese ungewöhnliche Geschichte erfahren, die nun schon fast 75 Jahre zurückliegt. Als das Foto geschossen wurde, sei sie ein viermonatiges Baby gewesen. Vom Krieg habe man später nicht viel gesprochen. Damals galt es, den nicht immer einfachen Alltag mit einem Kleinkind zu meistern, erzählt sie uns.

Dennoch kann die aktive 74-Jährige so einiges erzählen. „Meine Eltern und die gesamte Familie warteten sehnsüchtig auf die Befreiung. Als dann erste Gerüchte aufkamen, die Franzosen seien im Anmarsch, begaben sich alle regelmäßig in die Jean-Pierre-Michels-Straße, wo diese angeblich gesichtet worden waren.“

Dann hieß es, Amerikaner seien gelandet. Es handelte sich dabei allerdings nur um eine Person: den Piloten George R. Brooking, dessen Kampfflugzeug über Ehleringen abgeschossen wurde.

Am 11. September begrüßten die Escher ihre Befreier

Am 10. September 1944 war es so weit. Die ersten amerikanischen Panzer rollten in Richtung Luxemburg und tags darauf, am Montag, 11. September, konnten auch die Escher die Befreier gebührend begrüßen. „Als es am 10. hieß, die Amerikaner seien da, fiel meinen Eltern ein Stein vom Herzen“, sagt Jeanny Reckinger-Erpelding. „Als im Laufe des Tages aber immer noch nichts von den GIs zu sehen war, fuhr meine Mutter mit dem Fahrrad ins Zentrum von Esch. Sie wollte erfahren, ob sich dort bereits etwas getan hätte. So muss dieses Bild entstanden sein.“

Die Familie Erpelding bestand aus alteingesessenen Eschern. Mutter Bebby Koster war vor ihrer Heirat für kurze Zeit auf ein Gehöft nach Angelsberg zwangsverpflichtet worden. Hier entstand mit der Bauernfamilie eine Freundschaft, die Jahrzehnte überdauern sollte. Noch heute erinnert sich Jeanny Reckinger-Erpelding gerne an die vielen sonntäglichen Ausflüge zu den Angelsbergern.

Bei ihrer Heirat zog die junge Bebby aus dem „Boltgen“, dem Stadkern, ins neu entstehende Viertel Lallingen zu ihrem Mann, Jang Erpelding. Das junge Paar arbeitete fleißig an seiner Zukunft, die beiden seien gute Luxemburger und ehrliche Patrioten gewesen.

Baby unter der Kellertreppe

Als dann 1944 Tochter Jeanny geboren wurde, war das Glück der kleinen Familie fast perfekt, wäre da nicht der Krieg gewesen. „Meine Mutter, aber auch meine Kusine Anita erzählten immer wieder, dass man mich, das kleine Baby, bei jedem Fliegeralarm unter der Kellertreppe in Sicherheit brachte. Angst bestimmte in dieser Zeit das tägliche Leben. Beim Anblick des Bildes im Tageblatt fühlte es sich so an, als hätte ich die damaligen Geschehnisse bewusst erlebt. Dies, obwohl ich noch nicht mal ein Jahr alt war. Alles, was ich aus den Erzählungen wusste, kam wieder hoch.“

So sei ihr ihre Mutter, deren ständiger Begleiter auch in späteren Jahren das Fahrrad war, gar nicht fremd und sehr nah gewesen. „Meine Gefühle sind schwer zu beschreiben“, sagt Jeanny Reckinger-Erpelding gerührt, als sie das Originalfoto, das ihr vom Tageblatt als Geschenk überreicht wurde, in den Händen hält. „Es freut mich sehr, dieses Foto meiner Mutter entdeckt zu haben und jetzt zu besitzen. Es wird einen Ehrenplatz in unserem Haus einnehmen.“