Ein Chefdiplomat und sein Outing – das Interview

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Der lettische Außenminister Edgars Rinkevics (44) hat sich 2014 als homosexuell geoutet. „Ich verkünde stolz, ich bin schwul“, schrieb Rinkevics damals im Kurznachrichtendienst Twitter.  Es war nicht weniger als eine kleine politische Revolution im Baltikum. Rinkevics ist der erste führende Politiker in dem baltischen Land, der sich offen zu seiner Homosexualität bekennt.

Selbst in Luxemburg tun sich konservative Geister mit homosexuellen Politikern wie Premier Xavier Bettel und Vizepremier Etienne Schneider schwer. Was es aber bedeutet, sich in einem noch konservativeren Land wie Lettland zu outen, verrät Edgars Rinkevics (44). Der lettische Außenminister erhielt für seinen Mut viel Lob. Er hat dem Tageblatt bei seiner Visite in Luxemburg ein Exklusiv-Interview gewährt.

Tageblatt: Sie haben sich 2014 geoutet. Dabei gilt Homosexualität bis heute in Lettland als Tabu-Thema. Wie gefährlich war dieser mutige Schritt?
Edgars Rinkevics: Ich lebe immer noch (lacht). Das ist die eine Sache. Es gibt natürlich unterschiedliche Meinungen zu dem Thema. Ab und zu sind Online-Kommentare wirklich realitätsfremd. Aber im Alltag habe ich auch ein wenig ein komisches Gefühl.

Weshalb?
Einerseits akzeptiert jeder meine Homosexualität. Es stört niemanden. Auf der anderen Seite haben wir noch einen sehr, sehr langen Weg vor uns. Einen sehr, sehr langen Weg (lacht).

Sie sind Außenminister, aber auch ein Mensch wie jeder andere auch. Wie lebt es sich als homosexueller Politiker in einem erzkonservativen Land wie Lettland?
Die Gesellschaft ist in Lettland sehr konservativ. Wir haben 1991 unsere Unabhängigkeit zurückgewonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt war Homosexualität noch strafbar. Homosexuelle Handlungen wurden in Lettland erst 1992 entkriminalisiert. Die erste „Baltic Pride“ gab es bei uns 2005. Sie wurde stark von der Polizei bewacht und es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die zweite „Pride“ war genau das gleiche Desaster. Und auch 2015 gab es eine „Pride“, die stark von der Polizei bewacht werden musste. Aber es gab zumindest keine Gegenproteste mehr.

Wieso tut sich Lettland mit dem gesellschaftlichen Wandel so schwer?
Ab und zu wandeln sich Gesellschaften schnell, ab und zu langsam. Ich glaube, dass Menschen einfach Zeit brauchen, um sich von einer Kultur und Gesellschaft zu trennen, die Homosexualität lange wie ein Verbrechen sah und behandelte. Bei uns gibt es immerhin diesen Fortschritt. Bei unseren Nachbarn ist das zum Teil nicht der Fall: Dort ist Homosexualität ein Tabuthema.

Wie gehen die jüngeren Generationen in Ihrem Land mit der Thematik um?
Ich glaube, dass sich die Einstellungen zu diesem Zeitpunkt verändern. Die jüngeren Generationen haben andere Meinungen. Außerdem passiert überhaupt nichts, wenn man nicht versucht, Homosexualität als Thema auf die öffentliche Tagesordnung zu setzen. Oder es wird sich nur langsam etwas verändern.

In Luxemburg bewegen sich viele Minister oft ohne Personenschutz. Haben Sie wegen Ihrer Lebenssituation Bodyguards?
Ich muss lachen und kann Ihnen folgendes sagen: Ich habe keine Bodyguards und kann mich in Lettland frei bewegen. Ich bin im Ausland besser beschützt als in Lettland. Da habe ich sehr viele Bodyguards (lacht). Aber nur, weil ich ein Außenminister bin, nicht wegen meiner Homosexualität.

Medien spielen oft eine Schlüsselrolle, wenn es um Gesellschaftspolitik geht. Wie gehen lettische Journalisten mit Homosexualität um?
Die Stimmung hat sich bei uns gedreht und auch die Presse berichtet anders über Homosexualität. Klar, es gibt immer intolerante Idioten. Aber ich befürchte, dass es diese Menschen nicht nur in Ost-, sondern auch in Westeuropa gibt. Sie versprühen ihr Gift überall in der Online-Welt. Die Zeit hat aber bewiesen, dass wir nicht so konservativ sind, wie wir im Ausland dargestellt und wahrgenommen werden. Allerdings ist der Weg noch lange, wenn es darum geht, die Mentalitäten tiefgreifend zu verändern und den Gesetzesrahmen anzupassen. Dennoch haben wir seit 2005 einen weiten Weg zurückgelegt.

Die letzten Wahlen zeigen, dass es in Europa einen politischen Rechtsruck gibt. Auch Ihre Regierung ist konservativ. Wie steht sie zu dem Thema?
Unsere eigene Regierung in Lettland ist eher konservativ. Dennoch würde sie nie diskriminierende Gesetze vorschlagen oder akzeptieren. Das ist absolut klar. Es wäre aber eine sehr unglückliche Entwicklung, wenn sich dies bei uns und in Europa ändern würde.
Natürlich gibt es Länder, in denen es immer wieder homophobe Wellen gibt. Es gibt Regierungen, die diskriminierende Gesetze einführen und die LGBT-Rechte einzuschränken versuchen.

Sie glauben also nicht, dass eine der nächsten lettischen Regierungen Menschen wie Sie wieder diskriminieren könnte?
Was ich herausgefunden habe und was für mich positiv ist: Unser Land kennt im Vergleich zu Russland keine homophobe Propaganda. Die Russen versuchen immer, Europa als dekadent zu verunglimpfen. Die Gesellschaftswerte der EU seien zu liberal, man solle zu traditionellen Werten zurückkehren. In Russland steht selbst „Propaganda für Homosexualität“ unter Strafe. Von so etwas sind wir meilenweit entfernt.

Es muss also nicht mehr gekämpft werden?
Doch! Es ist ein Kampf um die Herzen und Köpfe. Wir werden sicherlich morgen nicht Luxemburg sein. Aber wir sind weit vom östlichen Teil Eurasiens entfernt. Wir befinden uns in der Mitte dieser Transitionsphase. Aber es wäre sehr bedauernswert, wenn wir zurückgehen würden.

Lesen Sie das vollständige Interview in der Donnerstagausgabe des Tageblatts (20.10.2017)