„Eigentlich sollte es ihn hier nicht geben“ – Im Wald bei Wilwerwiltz wächst ein rätselhafter Pilz

„Eigentlich sollte es ihn hier nicht geben“ – Im Wald bei Wilwerwiltz wächst ein rätselhafter Pilz

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Waldbrände bedeuten nicht nur Zerstörung: Keine Nische bleibt in der Natur lange leer und so bietet auch die Asche oft nahrhaften Boden für neue Pflanzen und Pilze. Der Mykologe Ben Schultheis stellt einen ungewöhnlichen Opportunisten vor.

Von Misch Pautsch

„Eigentlich sollte es diesen Pilz hier gar nicht geben“, sagt Ben Schultheis. Mykologen befassen sich mit dem Reich der Pilze, die weder Pflanze noch Tier sind, eine riesige Vielfalt an Formen annehmen können und fast überall wohnhaft sind, ob Champignons, Schimmelpilze oder Sorten im Käse, in der Milch und sogar bei jedem gesunden Menschen im Blut.

Spezialisiert ist Ben Schultheis jedoch auf Nichtblätterpilze, ein Gebiet, das breit gefächert ist. Vor ihm steht eine Schale mit braunen, getrockneten Pilzen, die eben dieser Gruppe angehören. Kurz nach einem Waldbrand hat er sie in Schlindermanderscheid eingesammelt. „Normalerweise findet man diesen Pilz in Tunesien, Algerien, auch südlich in der Mittelmeerregion, aber so weit nördlich ist er noch nie festgestellt worden. Außer im Norden Luxemburgs“, erzählt Ben Schultheis.

Verwirrung in Pilzforscher-Kreisen

Zum ersten Mal wurde „Polyporus corylinus“ bereits 1998 in Donkols gefunden, wo er in Pilzforscher-Kreisen für Verwirrung sorgte. „Da ich meinen Augen nicht trauen konnte, schickte ich den Fund zu einem Kollegen, Herrn Niemelä in Finnland, zur genauen Bestimmung unterm Mikroskop. Dieser bestätigte meine Vermutung: Es handelte sich um den Hasel-Porling.“

Wie der Pilz hier auftauchen konnte, war ihm jedoch ein Rätsel. „Es gibt eine ganze Reihe an Pilzen, die spezifisch nach Waldbränden auftauchen, wo sie von der Nische, die entstanden ist, nachdem die Konkurrenz im Feuer verbrannt ist, profitieren. Tatsächlich gibt es einige Sorten, die ausschließlich an Brandorten wachsen, kurz nachdem das Feuer erlöscht ist. So auch ‚Polyporus corylinus‘.“ Der unauffällige Porling, der dieser Sorte angehört, weil er keine Lamellen, sondern – wie der Name verrät – Poren an der Unterseite aufweist, macht sich abgestorbenes, verbranntes Eichenholz zum Wohnort. In den Regionen, in denen der essbare Pilz häufig vorkommt, ist es Tradition, gezielt Waldbrände zu legen, um ihn zu züchten.

Experiment geglückt

„Erst 2007, also elf Jahre später, haben wir den Pilze wieder gefunden – in Wilwerwiltz. Die Umstände waren diesmal doppelt ungewöhnlich. Nicht nur sollte der Pilz überhaupt nicht in der Gegend existieren, es hatte hier auch noch keinen Waldbrand gegeben.

Interessanterweise wurden am Fundort einige Tage vorher Baggerarbeiten am Waldweg vorgenommen, wir gehen also davon aus, dass durch Reibung Hitze entstanden ist, die es dem Pilz ermöglichte, zu wachsen.“

Die Mykologen wollten es aber genauer wissen. Um das Vorkommen des unerwarteten Gastes zu verstehen, führten sie über Jahre hinweg eine Reihe Experimente durch. Kontrolliert brannten sie 2008, 2009, 2012, 2014 und 2018 kleine Waldparzellen in Wilwerwiltz ab. Dabei stellten sie jedes Mal fest, dass der Pilz, genau wie erwartet, etwa acht Tage nach dem Brand auftauchte. „Es ist immer noch ungewöhnlich, den Pilz hier zu sehen, aber mittlerweile besteht kein Zweifel mehr: ‚Polyporus corylinus‘ ist in Luxemburg zuverlässig vorzufinden“, sagt Schultheis. „Bisher gibt es noch keine Sichtungen des Pilzes in den anliegenden Ländern, aber es ist durchaus möglich, dass er auch im Umland auftauchen wird.“ Dennoch seien alle Pilzfreunden und -sammler daran erinnert, dass jede Art, solange sie nicht ausdrücklich zum Verzehr zugelassen ist, als nicht essbar gilt.

Zum ersten Mal wurde der Pilz 1998 in Donkols gesichtet.