Edel und wild

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Wer am Wochenende ordentlich feiern und mit den Luxemburger Schnöseln, die sich im „Hitch“ oder „Steiler“ überteuerte Cocktails reinziehen oder im VIP-Bereich eines der paar austauschbaren lokalen Clubs dem Luxemburger Image einer Nation von reichen Angebern frönen, nichts zu tun haben will, dem kann man den „Gudde Wëllen“ empfehlen.

Hier findet man fröhliche Kulturschaffende, unzählige Hipster, die präzis getrimmte Bärte oder Hemden mit exotischen Motiven tragen, einen zum Tanzen einladenden DJ, Getränke, die man sonst nur in deutschen Städten wie Berlin, Köln oder Hamburg findet (den berühmt-berüchtigten Mexikaner) und, vor allem, Konzerte und eine Vielzahl anderer kultureller Events.

Der untere Stock der Kneipe

Schaut man sich die Leute hinter dem Tresen an, wirkt der „Gudde Wëllen“ wie ein bunter Haufen sympathischer Chaoten, die munter und quasi willkürlich an der Konsolidierung des eigenen Mythos arbeiten – vor Kurzem zirkulierte auf dem „Food for Your Senses“-Festival ein (streng limitiertes) T-Shirt, auf dem sich eine Abbildung von Besitzer Ben Thommes und seinem Mitarbeiter Nordine Ries befand. Unter ihr prangte die Aufschrift „The Spruddlis“.

Nachfolger des D:qliq

Schaut man aber genauer hin, merkt man, wie sorgfältig die Planung der Events vorangeht, wie präzise eigentlich jedes Detail in der Organisation des „Gudde Wëllen“ sitzt. Dass da noch Energie zum Feiern übrigbleibt, ist bewundernswert.

„Übernommen haben wir das Café vor genau drei Jahren, im September 2014. Danach standen einige Renovierungsarbeiten an – besonders oben haben wir so einiges geändert –, bevor wir dann im Dezember 2014 eröffnen konnten“, so Ben Thommes, einer der drei Besitzer des „Gudde Wëllen“. Wie es dazu kam? Nun, man habe Luka Heindrichs und Jacques Hoffmann gefragt, ob sie keine Lust hätten, das Lokal zu übernehmen. Früher war da das „D:qliq“ drin, das eigentlich nach einem ähnlichen Prinzip funktionierte, die damaligen Leiter wollten aber irgendwann das Konzept umwälzen, das Café in eine Art hippe Cocktailbar verwandeln. Ein gescheitertes Experiment später fanden sich nun Ben Thommes, Luka Heindrichs und Jacques Hoffmann mit der Leitung der Bar betraut.

„De Gudde Wëllen“ – den Namen der Kneipe kann man getreu Jean-Jacques Rousseau mit „le bon sauvage“ übersetzen und mit dem Franzosen das Aufsuchen der Bar als eine Art Rückkehr zum Zustand des „Edlen Wilden“ sehen – laut Rousseau ist der Mensch von Natur aus gut und es ist die Zivilisation, die ihn verdirbt. Dass die Zivilisation etwas ist, das von Menschenhand erschaffen wurde, diese Antinomie hat Jean-Jacques wohl kaum in Betracht bezogen, aber was soll’s. Alle, die mit Jean-Jacques Rousseau nicht so viel am Hut haben, können den clever gewählten Namen auch mit „la bonne volonté“ übersetzen und so an Radioheads Verse aus „Optimistic“ denken: „You can try the best you can/The best you can is good enough.“

Mitgründer Ben Thommes im Interview mit dem Tageblatt

Onomastik und Konzept

Vor allem aber gilt: „De Gudde Wëllen“ war von Anfang an als kultureller Ort angelegt, hauptsächlich aber als Bar, in der Konzerte organisiert werden sollen. „Wir hatten alle bereits einige Erfahrung in diesem Bereich gesammelt – weil wir selbst Musik machen oder weil wir mit dem ‚Food For Your Senses‘ bereits organisatorische Erfahrungen gesammelt hatten“, erklärte Ben Thommes. „Natürlich hatten wir durch das ‚Food For Your Senses‘ bereits eine ganze Palette an Kontakten. Wir mussten nicht bei null anfangen, das war schon ein großer Vorteil.“

Wie sich „De Gudde Wëllen“ im Vergleich zu anderen Konzerthallen oder kulturaffinen Bars – von Mastodonten wie dem Atelier und der Rockhal mal abgesehen – sieht? „Da gibt es eigentlich jetzt keinerlei Konkurrenzdenken, da wir uns entweder in verschiedenen Größenordnungen – was die Aufnahmekapazität des Publikums anbelangt – befinden oder weil wir andere Genres abdecken. Am ehesten könnte sich unsere Programmierung mit den Rotondes überschneiden. Aber die Rotondes haben eine größere Halle und auch oft bekanntere Acts. Der ‚Konrad‘ und der ‚Rocas‘ sind beide kleiner und gehen in andere stilistische Richtungen – im ‚Konrad‘ gibt es z.B. verstärkt akustische Folk-Konzerte.“

Offen für alle Kunstformen

Und wie teilt sich die Programmierung zwischen lokalen und internationalen Acts auf? „Unsere Mittwochsreihe, die übrigens richtig erfolgreich ist und deren Programm jetzt bis November schon steht, bietet eigentlich hauptsächlich internationale Bands. Lokale Bands – da stößt man dann doch sehr oft auf die gleichen Acts, und wir möchten uns ungerne wiederholen. Als Support spielen allerdings viele luxemburgische Bands und wir freuen uns auch immer wieder, ihnen Zeitfenster an anderen Tagen zurechtzulegen.“

Mittlerweile gibt’s aber nicht bloß Musik im „Gudde Wëllen“. „Im Allgemeinen sind wir für alle Kunstformen offen, solange das Konzept uns irgendwie interessiert“, so Thommes. „Wir bieten ca. alle sechs Wochen Improvisationstheater, das von ‚La petite troupe d’à côté‘ organisiert wird, es gab Lesungen, das Musikquiz. Und im Rahmen des Theaterfestes werden wir auch wieder Lesungen anbieten.“

Beschränkt in der Kneipen-Auswahl

Beobachtet man die feierliche Wochenendstimmung in der Kneipe, könnte man behaupten, „De Gudde Wëllen“ würde eine hedonistische Hochburg darstellen. Aber ist in Zeiten politischer Unruhe und metaphysischen Sinnverlusts ein Ort des kulturellen Abfeierns nicht vielleicht genau das, was die Welt braucht?

„Ich würde mir schon wünschen, dass es noch mehr Kneipen wie den ‚Gudde Wëllen‘ geben würde“, so Thommes. „Am Wochenende ist man doch beschränkt in der Auswahl. Die „Rives de Clausen“, da geht niemand hin. Und die Lokale, die nach 1.00 Uhr noch geöffnet sind, sind doch sehr dünn gesät. Und jedes davon hat seine geschlossene Klientel. Es wäre doch toll, wenn du wie in anderen Städten einfach eine Straße mit vielen tollen Bars hättest. Damit die Leute eine größere Auswahl haben.“