„Die Sensibilität muss zunehmen“: Bayerns Antisemitismus-Beauftragter Ludwig Spaenle hat noch viel zu tun

„Die Sensibilität muss zunehmen“: Bayerns Antisemitismus-Beauftragter Ludwig Spaenle hat noch viel zu tun

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

In seinem Kampf gegen den Antisemitismus hat der Bayern-Beauftragte Ludwig Spaenle eine neue Strategie entwickelt. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Sensibilisierung der Gesellschaft.

Von unserem Korrespondenten Manfred Maurer, Wien

Tageblatt: Was hat Sie bewogen, sich dem Kampf gegen Antisemitismus zu verschreiben?

Ludwig Spaenle: Das eine ist die politische Entwicklung: Ich bin seit Beginn meiner politischen Tätigkeit im Bereich der Erinnerungskultur aktiv und insofern ist dann auch die Beschäftigung mit dem Phänomen der jüdischen Welt entstanden. Es ging aber schon im Studium der Theologie los und ich war auch als Redakteur beim Bayerischen Fernsehen für jüdische Themen zuständig.

Sie haben eine „neue Sensibilisierungswelle“ gegen den Antisemitismus angekündigt. Was geschieht da?

Ich habe mir gründlich überlegt: Was kann man tun, außer zu warten, ob was passiert. Man muss öffentliches Bewusstsein schaffen. Dafür habe ich eine Strategie entwickelt, die in der Bundesrepublik, aber auch europaweit so bisher nicht beschritten wurde.
Es gibt eine internationale Definition des Antisemitismusbegriffes von der International Holocaust Remembrance Alliance: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen und religiöse Einrichtungen.“ Diese Definition wurde vom Deutschen Bundestag angenommen.

Ich bin gerade im Gespräch mit den Fraktionen im Landtag, und es schaut so aus, dass das entsprechend Annahme findet. Auch den kommunalen Spitzenverbänden habe ich es vorgeschlagen und werde das nächste Woche in den Gremien diskutieren. Und der dritte in dieser Form wirkliche neue Schritt ist, dass ich an alle relevanten Gruppen der Zivilgesellschaft – Parteien, Kirchen, Gewerkschaften, Medien, Kulturverband bis hin zu Sport- und Trachtenverband – herantreten werde mit der Bitte, sich mit dieser Definition zu beschäftigen. Damit möchte ich unabhängig von negativen Einzelvorgängen eine gesellschaftliche Debatte über jüdisches Leben in unserer Mitte erreichen.

Wo orten Sie die Quellen des aktuellen Antisemitismus?

Antisemitismus gibt es, seit es Juden gibt. Und Antisemitismus gibt es völlig unabhängig davon, ob es Juden gibt. Wir haben natürlich den im christlichen Kontext entstandenen Antisemitismus, wir haben weit rechts den rassistischen Antisemitismus, der im rechtsextremen Milieu weiter existiert. Wir haben allerdings auch einen im linksradikalen Milieu fußenden Antisemitismus, der sich insbesondere mit Antizionismus und der Fundamentalkritik an Israel beschäftigt. Es gibt einen sekundären Antisemitismus, der zu der kruden Einschätzung kommt, dass durch Auschwitz das Schuldgefühl in Deutschland untermauert wird. Und wir haben natürlich auch einen im islamistischen Umfeld fußenden Antisemitismus. Es ist also ein äußerst komplexes Gebiet.

Täuscht der Eindruck, dass die Sensibilität für Antisemitismus christlich-abendländischer und muslimischer Provenienz unterschiedlich ausgeprägt ist?

Ich glaube, dass wir insgesamt daran arbeiten müssen, dass die Sensibilität noch zunimmt. Der Spruch „Das wird man ja noch sagen dürfen“ darf nicht gesellschaftlich geduldet werden. Auf der anderen Seite muss einer muslimisch fundierten Ablehnung jüdischen Lebens in welcher Form auch immer massiv entgegengetreten werden. Da sagen mir die Fachleute, dass wir natürlich durch die Veränderungen nach 2015 entsprechende Phänomene haben, wenn junge Menschen an unseren Schulen sind, denen seit der ersten Klasse eingetrichtert worden ist, dass Israel von der Landkarte getilgt werden muss. Und wenn mir Fachleute sagen, dass auch der türkisch-nationalistisch geprägte Antisemitismus zunimmt, dann sind das Phänomene, denen wir uns stellen müssen.

Wie gehen Sie damit um, dass islamische Gruppierungen wie Milli Görüs Antisemitismus in einem Atemzug mit Islamophobie nennen und sich damit auf eine Stufe mit Holocaust-Opfern stellen?

Das ist natürlich die instrumentelle Nutzung von Antisemitismus als politisches Instrument. Das muss man identifizieren und gegebenenfalls öffentlich benennen. Mir sagen Experten, dass insbesondere der türkisch-nationalistisch geprägte Antisemitismus deutlich zunimmt. Das eine ist das Erkennen, das andere das Beschreiben und das dritte ist, politisch zu handeln.

Und wo sehen Sie da Ihre Aufgabe?

Deutlich zu machen, welche Formen von Bildern und Sachverhalten antisemitisch begründet sind, und öffentlich darauf hinzuweisen, was im Einzelfall keine vergnügungssteuerpflichtige Aufgabe ist.

Gerade vergangene Woche haben Milli-Görüs-Vereine

europaweit den Antisemiten Necmettin Erbakan an dessen 8. Todestag als „großen Vordenker und Gelehrten“ gewürdigt. Es ist nicht bekannt, dass irgendwo dagegen vorgegangen wurde.

Das Phänomen ist auch mir nachrichtlich nicht zu Kenntnis gelangt.

Ist das nicht bezeichnend: Wenn aus der rechten Ecke ein bedenklicher Sager kommt, gibt es empörten Protest, islamistischer Antisemitismus wird nicht einmal wahrgenommen?

Wenn die Äußerung aus der rechten Ecke entsprechend ist, wird sie zu Recht öffentlich kritisiert. Auf der anderen Seite müssen solche Vorfälle im islamistischen Bereich genauso deutlich gemacht werden. Wenn Kräfte welcher Art auch immer sich hier in negativer Weise betätigen, muss das öffentlich benannt werden.

Auch die Muslimbruderschaft ist sehr aktiv und verfügt über antisemitische Wurzeln und Vordenker. In Frankfurt existiert seit Jahren das „Europäische Institut für Humanwissenschaften“ (EIHW), das der Muslimbruderschaft zugerechnet wird und weit über Deutschland hinaus wirkt. Gibt es da eine Handhabe?

Das ist Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Das ist keine Aufgabe, die der Antisemitismusbeauftragte zu bewältigen hat. Zu beobachten hat er es gleichwohl.

Wie wird sich das Holocaust-Gedenken ändern, wenn in absehbarer Zeit keine Zeitzeugen mehr am Leben sein werden?

Darauf müssen wir uns gut vorbereiten. Es geht nach wie vor darum, die Singularität der Schoah im Gedächtnis zu halten. Wir werden sicher über die Weiterentwicklung von Vermittlungsstrategien zu sprechen haben. Ich komme gerade aus Israel und habe dort in der Gedenkstätte Yad Vashem eine weitere Zusammenarbeit auch auf dieser Ebene vereinbart.