Die Saiten der Freiheit: Das „Waldeck Freakquenz“ ist ein kleines Juwel unter den Festivals

Die Saiten der Freiheit: Das „Waldeck Freakquenz“ ist ein kleines Juwel unter den Festivals

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Tief im Hunsrück, zwischen Koblenz und Simmern, liegt ein fast schon sagenumwobener Ort der deutschen Musikgeschichte: die Burg Waldeck. Hier fand 1964 das erste deutsche Open-Air-Festival statt, fünf Jahre vor Woodstock. Damals ein Chanson- und Liedermacherfest, nahmen hier die Karrieren von Reinhard Mey, Franz-Josef Degenhardt und Hannes Wader ihren Anfang. 1969 nahmen die politischen Streitigkeiten überhand, Künstler wurden von der Bühne gejagt, das Festival erwies sich als nicht mehr durchführbar. Die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck gibt es allerdings immer noch. Und seit 2011 gibt es auf dem alten Gelände ein neues Festival – das „Waldeck Freakquenz“.

Von Tom Haas

Als ich 2015 zum ersten Mal vom Freakquenz höre, bin ich skeptisch. Der Blick ins Line-up verrät mir, dass ich nicht einen einzigen der Künstler kenne. Meine (damals) neue Freundin war allerdings im Vorjahr dort gewesen und gerät ins Schwärmen, wenn sie davon erzählt. Ich kenne bis dahin die großen Festivals wie das Wacken Open Air oder das Rock-A-Field, mit Tausenden Besuchern und internationalen Bands.

Die Vorstellung, mit einer Handvoll Hippies im Wald um ein Lagerfeuer zu tanzen, löst angesichts dessen nicht unbedingt Schauer der Vorfreude bei mir aus. Aber es ist Sommer, ich bin jung, verliebt und habe ohnehin nichts Besseres zu tun. Mein Konto ist außerdem so leer wie die Luxemburger Innenstadt an einem regnerischen Montagabend.

Handgemaltes Schild zu einem Feldweg

Also leihe ich mir einen Pavillon, schnappe mir mein Balkonmobiliar und meine Freundin, stopfe alles in den klapperigen Peugeot 206 und fahre an einem Freitagnachmittag im August in den Hunsrück. Da wir beide kein Smartphone besitzen und das Navi den Geist aufgegeben hat, gestaltet sich die Suche nach dem Ort namens Dorweiler als kleine Odyssee.

Auch als wir ankommen, bin ich noch nicht ganz überzeugt – in der Ortsmitte weist ein handgemaltes Schild uns den Weg, der sich als Feldweg entpuppt. Weit und breit keine Menschenseele. Erst als der Wald in Sicht kommt, sehen wir die ersten Autos und Wohnwagen, die in den Schatten der Bäume auf den umliegenden Wiesen parken.

(Sorgen-)Frei

Einer der Festivalhelfer erklärt uns, dass wir nicht weiterfahren dürfen, also suchen wir uns einen Stellplatz, laden das Auto aus und ziehen zu Fuß weiter den Weg hinab, der durch den Wald auf das Gelände führt. Als wir die Lichtung betreten, lösen sich meine Zweifel mit einem Schlag im Nichts auf. Ich habe das Gefühl, ich bin nach Hause gekommen.

Es ist schwer zu beschreiben, was die Waldeck so einzigartig macht. Ich war seither auf vielen kleinen Festivals, aber keines davon hat einen derart nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen, keines hat diese Saiten namens Sorglosigkeit und Freiheit so tief in mir berührt wie das Freakquenz.

Vom Oldtimerbus zum Café

Es ist natürlich einerseits die Größe: Viel mehr als 500 Gäste dürften es nicht sein, man sieht sich wieder, kommt ins Gespräch, musiziert und trinkt zusammen. Andererseits ist es aber auch der Ort selbst: die Bühne an der Salamanderhütte direkt an einem steilen Pfad entlang der Klippe. Die große Bühne, umgeben von einem steinernen Amphitheater. Der zu einem Café umfunktionierte, stillgelegte Oldtimerbus, der seit Jahr und Tag dort steht. Der bunt beleuchtete Zauberwald mit seinen Klanginstallationen. Das Festival ist organisch, passt sich den Gegebenheiten an, spielt mit dem Ort und seiner Magie.

Ein kleiner Mikrokosmos

Einen Zaun oder gar ein Werbeplakat sucht man weit und breit vergebens. Dafür gibt es im Haupthaus den Traum eines jeden Nerds: ein Konsolen-Café, in dem auf sämtlichen Konsolen seit den späten Siebzigern die legendären Titel ihrer Generation gezockt werden können.

Die Veranstalter stammen dabei gar nicht aus der Gegend, sondern kennen sich durch die Arbeitsgemeinschaft Burg Waldeck, in der teilweise bereits die Elterngeneration mitgearbeitet hat. „Die Waldeck wird als kleiner Mikrokosmos wahrgenommen“, erklärt Marlene Görger, eine der Organisatorinnen. „Viele Leute aus den umliegenden Dörfern waren noch nie hier, weil sie es gar nicht als einen Ort wahrnehmen, an den sie hinkommen können.“

Positives Feedback von den Einwohnern

Trotzdem steht die lokale Bevölkerung dem jährlichen Treiben eher wohlgesonnen gegenüber und ist in den letzten Jahren neugieriger geworden. „Die Anwohner, bei denen es am lautesten ist, laden wir immer noch mal gesondert ein“, erklärt Hein Heppenheimer.
„Die Dorfjugend feiert das Festival natürlich und hat es sich in den letzten Jahren angewöhnt, sich an der Kasse vorbeizuschleichen, was ich als schöne Tradition empfinde.“

„Wir buchen, was wir gut finden“, erklärt Mathias Riediger auf die Nachfrage hin, wie das durchaus diverse Programm zustande kommt. Dadurch findet man sich als Gast in einem Soundgeflecht zwischen Stoner Rock, Singer-Songwriter-Folk, Blues und experimentellem Electro wieder, das trotz seiner Diversität niemals wahllos wirkt.

Eigenwilliges Line-up

Die verhältnismäßige Unbekanntheit der Künstler wird dabei zum Vorteil: Hier geht man auf musikalische Entdeckungsreise und lässt sich von den Darbietungen verzaubern, statt sehnsüchtig auf den einen Song der Lieblingsband zu warten, den sie am Ende natürlich nicht spielt.

Das Festival wirbt mit dem eigenwilligen Line-up und zieht damit auch eine ganz bestimmte Art von Gästen an: nämlich jene, die offen sind für neue Erfahrungen. Wer Überraschungen mag, wird auf dem Freakquenz leuchtende Augen bekommen, denn hier wartet eine solche garantiert hinter dem nächsten Baum. Auch dieses Jahr schmückt sich das Plakat mit Perlen wie Wight, The Barbers und dem Tamed Tiger Trio, die genauso großartig wie ungehört sind.

Inklusive des Campings kostet der ganze Spaß dabei nicht mehr als 35 Euro – für zwei Tage der schönsten Festivalerfahrung, die es in der näheren Umgebung mitzunehmen gibt. Wer also noch nicht weiß, wie er sein nächstes Wochenende verbringen soll, der sollte am 16. August den Weg in den Hunsrück auf sich nehmen. Es lohnt sich.