Die Kolumne von Petz Lahure: Rekorde sind zum Brechen da

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Am Freitag, den 16. August, wird der Luxemburger Rekord über 400 Meter von Mil Jung 50 Jahre alt. Die damals handgestoppte Zeit von 47″4 wurde seither nicht unterboten.

Von Petz Lahure

Es gibt Leichtathletik-Bestleistungen, die scheinen für die Ewigkeit zu sein. Im Laufbereich bleiben bei den Frauen die Weltrekorde der Tschechin Jarmila Kratochvilova (1’53″28 über 800 Meter am 26.7.1983 in München), der früheren DDR-Athletin Marita Koch (47″60 über 400 Meter am 6.10.1985 in Canberra) und der im Alter von nur 38 Jahren verstorbenen Amerikanerin Florence Griffith-Joyner (10″49 über 100 Meter am 16.7.1988 in Indianapolis; 21″34 über 200 Meter am 29.9.1988 in Seoul) unangetastet. Bei den Männern tut die Elite sich schwer, die 400-m-Hürden-Zeit des Amerikaners Kevin Young (46″78 am 6.8.1992 in Barcelona) zu brechen.

Uralt-Rekorde

Auch Luxemburg hat eine ganze Reihe Uralt-Rekorde. Roland Bombardellas Bestzeiten auf den Sprintstrecken (10″41 über 100 Meter – 2006 von Daniel Abenzoar egalisiert – und 20″77 über 200 Meter) datieren aus den Jahren 1978 und 1977, Justin Glodens Rekordflut (1.500 Meter, Meile, 2.000 Meter, 3.000 Meter, 5.000 Meter, 10.000 Meter, halbe Stunde, Stunde, 20.000 Meter, 25 Kilometer Straße, Semimarathon, Marathon) zog Ende der 70er- und in den 80er-Jahren übers Land. Dasselbe gilt für die Bestleistungen von Francis Hoeser über 3.000 Steeple und von Marc Agosta über 30 Kilometer auf der Straße (beide aus dem Jahr 1984).

Luxemburgs ältester Leichtathletikrekord im Freien aber besteht noch viel länger. Er wurde am 16. August 1969 von Mil Jung aufgestellt und macht in der nächsten Woche das halbe Jahrhundert voll. Der Spora-Athlet lief damals die 400 Meter in Font Romeu in handgestoppten 47″4, eine Zeit, die bis heute von keinem Luxemburger erreicht wurde.
Hier drängt sich eine kurze Erklärung auf. Die Regeln 260 bis 265 des Internationalen Leichtathletikverbandes schreiben die Bedingungen für die Anerkennung eines Weltrekords vor. So führt die IAAF in ihren Listen seit Januar 1977 nur noch elektronisch gestoppte Zeiten. Für die nationalen Rekorde aber sind laut Generalsekretär Mathis Mellina die respektiven Verbände zuständig. Artikel 13 des „Code d’athlétisme“ regelt die Anerkennung der Rekorde, Sonderbestimmungen gibt es keine. Besagter Artikel schreibt kurz und bündig vor, dass Rekorde nur von einem Athleten oder einer Athletin aufgestellt werden können, der/die im Besitz der Luxemburger Staatsangehörigkeit ist. Das wär’s auch schon.

Live am Schirm

Mit Uralt-Rekorden hat die Luxemburger Leichtathletik so ihre Erfahrung. Über 35 Jahre Bestand hatten François Merschs 10,6 Sekunden über 100 Meter, die er am 15.8.1939 in Straßburg lief. Mario Entringer stellte diese Bestleistung am 10.5.1964 ein, ehe Roger Martinelli am 22.9.1974 eine Zehntelsekunde schneller war (10,5 Sek.). Merschs „magische“ 7,44 Meter im Weitsprung vom 18.6.1938 gingen ins Guinness-Buch der Rekorde als „record national le plus longtemps invaincu“ ein, am Tresen fachsimpelte man einfach nur vom „längste Saz“. Erst 47 Jahre später (2.6.1985) verbesserte Marc Kemp den Rekord auf 7,47 m.

Die Bestleistung über ein halbes Jahrhundert zu halten, wie es Ende nächster Woche bei Mil Jung und seinen 400 Meter der Fall sein wird, ist schon was Außergewöhnliches. Niemand dachte damals auch nur im entferntesten daran, dass die 47″4 einmal Geschichte schreiben könnten. Es war an einem Samstagnachmittag, Ihr Kolumnist erinnert sich genau, er saß als junger Journalist wie viele Luxemburger Sportfans vor dem Fernseher, denn der damalige französische Sender ORTF („Office de radiodiffusion-télévision française“) übertrug das Leichtathletikmeeting aus Font Romeu live. Solche direkten Sportsendungen waren damals nicht gang und gäbe.

Dreimal verbessert

Ehe Mil Jung ins französische „Centre national d’entraînement en altitude“ reiste, das auf Initiative von Präsident Charles de Gaulle in Hinblick auf die Olympischen Spiele von Mexico 1968 errichtet wurde (Frankreich war 1964 von den Spielen aus Tokio mit nur einer Goldmedaille für den Springreiter Jonquères d’Oriola zurückgekehrt), hatte er den Landesrekord schon zweimal gebrochen. Am 2. Juni 1969 lief er die Stadionrunde in Turin in 48″1, am 22. Juli verbesserte er sich in Luxemburg auf 47″8. Font Romeu in den Pyrenäen, das auf 1.850 Meter liegt, schien der ideale Ort zu sein, um das vom Verband für die Europameisterschaft von Athen vorgeschriebene Minimum von 47″3 zu erreichen. Leider aber sollte es nicht klappen, denn die Stoppuhren blieben bei 47″4 stehen.

Der Luxemburger begann auf den ersten 100 Meter relativ vorsichtig, danach steigerte er sich und bog mit den anderen Konkurrenten auf die Gerade ein, wo er verbissen bis ins Ziel kämpfte. Hinter den Franzosen Carette (46″1), Berthould (46″2) und Nicolau (46″4), aber eine Brustbreite vor Brugier beendete Jung das Rennen auf dem vierten Platz und unterbot seinen Landesrekord um 4 Zehntelsekunden. Drei der damaligen Exponenten der Leichtathletikszene, Jemp Hoffmann, Gérard Rasquin und Emile Thoma (alle drei verstorben), hatten den Lauf des Spora-Athleten in Luxemburg zusammen vor dem Fernseher verfolgt. Jeder der drei stoppte eine andere Zeit, der erste 47″1, der zweite 47″2 und der dritte 47″3. Obwohl Jung in 47″4 das vorgeschriebene Minimum für Athen um eine Zehntelsekunde verpasste, wurde er für die einen Monat später stattfindenden Europameisterschaften nominiert. Bei den Titelkämpfen kam er im zweiten Vorlauf in 48″6 nicht über den fünften Platz hinaus – hinter dem Franzosen Jean-Claude Nallet, dem späteren polnischen Europameister Jan Werner, dem Briten John Robertson (alle 47″8) und dem Spanier Manuel Gayoso (48″1).

Rekord der Rekorde

50 Jahre sind inzwischen ins Land gezogen, und noch immer stehen die 47″4 vom 16. August 1969 in den Rekordlisten der FLA. Einen Moment schien es (und das hatte sich Mil Jung sogar gewünscht), als könnte David Fiegen die Bestleistung auslöschen. Er lief am 26. August 2006 in La Chaux-de-Fonds die 400 Meter in elektronisch gestoppten 47″76, was allerdings nicht ausreichte, um den Verband zu veranlassen, eine Korrektur in den Rekordlisten vorzunehmen. In diesen Listen wird Mil Jung auch als Bester über die selten gelaufene Distanz von 500 Meter geführt (1’03″2 am 10.5.1969 in Luxemburg). An den ältesten Luxemburger Rekord aller Zeiten, den Josy Barthel in der Halle aufstellte und der mittlerweile schon 65 Jahre auf dem Buckel hat (1 Meile in 4’07″05 am 6.2.1954 in New York), aber kommt so schnell keiner heran.

Mil Jung ging nach seiner Sportler-Karriere zum Leichtathletikverband. Er war erst 29 Jahre alt, als die Vertreter der Vereine ihn zum Präsidenten der FLA wählten. Dieses Amt übte er während fast elf Jahren aus. Beruflich schlug der inzwischen 70-Jährige (geb. am 21.6.1949) die Staatsbeamten-Laufbahn ein, wo er als Direktor des „Service information et presse“ in Rente ging.

trotinette josy
7. August 2019 - 19.43

Klar, dass Rekorde zum Brechen da sind, dass aber ein Rekord ein halbes Jahrhundert Bestand hat, ist schon irgendwie bedenklich. Höchste Zeit, dass diese, von Mil Jung aufgestellte Bestzeit über eine Stadionrunde endlich geknackt wird! Das war damals, 1969, eine bemerkenswerte Zeit, verglichen mit dem Weltrekord von 44"1, gelaufen ein Jahr zuvor. Heute sind 400 m Chronos von 44" ( elektronisch gestoppt ) bei jedem grösseren Meeting regelmässig auf der Tagesordnung. Um international mithalten zu können, müsste ein Luxemburger 400m Spezialist demzufolge mindestens 45" gegenüber dem aktuellen WR von 43"03 hinlegen müssen. Man kann sich nur fragen, wieso dies unter den heutigen Verhältnissen und Möglichkeiten nicht drin ist. Hut ab, noch im Nachhinein, vor Jungs Mil Leistung!