Die illiberale Allianz – Falter-Chef Florian Klenk über Österreich als Versuchsstation Europas

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Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter, analysiert die Zustände in seinem Land ein knappes Jahr, nachdem eine konservativ-rechtsextreme Regierung in Österreich an die Macht gekommen ist. Der Text entstand im Rahmen des von Florian Klenk und dem Schriftsteller Doron Rabinovici geschriebenen Polittheaterstücks „Alles kann passieren!“. Dieses wurde vergangene Woche im Akademietheater in Wien im Beisein von Jean Asselborn uraufgeführt. Der Luxemburger Außenminister hatte mit seinem „Merde alors“ einen Anstoß zur Entstehung des Stücks gegeben. 

Lesen Sie zum Thema auch unseren Bericht über das Theaterstück „Alles kann passieren“, das Interview mit Florian Klenk sowie den Kommentar unseres Redakteurs Armand Back. 

Ein Gastbeitrag von Florian Klenk

Österreich verändert sich. Europa verändert sich. Wir erleben den „Systemwechsel“, wie es der junge konservative Bundeskanzler Sebastian Kurz nennt. An allen Ecken und Enden kommt eine prosperierende Konsensdemokratie, ein starker Sozialstaat, eine weltoffene europäische Gesellschaft mit ihren Freiheitsrechten unter Druck.

In Gefahr ist auch die gemeinsame Sprache Europas. Die Juristen nennen diese Sprache den Acquis, das bezeichnet den gemeinsamen Bestand an europäischen Rechten und Pflichten. Europa entwickelte den Acquis nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts. Er umfasst nicht nur wirtschaftliche Freiheiten, sondern auch die menschenrechtlichen Abwehrrechte gegenüber dem Staat sowie die Freizügigkeit der Person und das Recht, aufgrund seiner Herkunft nicht diskriminiert zu werden. Der Acquis, den jedes EU-Mitgliedsland zu übernehmen hat, wenn es EU-Mitglied werden will, definiert das bürgerlich-liberale Europa. Der Acquis hat aus kommunistischen Diktaturen auch juristisch westliche, liberale Gesellschaften gemacht. Und nun auf einmal steht er zur Disposition. In Italien, Ungarn, Polen, Tschechien, Großbritannien, Rumänien, ja sogar im spanischen Katalonien sind Nationalisten am Wort. An ihrer Sprache kann man sie erkennen.

An ihrer Sprache kann man sie erkennen

Österreichs Regierungsparteien, einmal die ÖVP, dann wieder die FPÖ, umarmen diese Kräfte in ganz Europa: den Lega-Politiker Matteo Salvini in Italien; in Ungarn den Fidesz-Autokraten Viktor Orban; in Frankreich Marine Le Pen vom Front national (heute Rassemblement national); und in Deutschland die radikale AfD oder den am rechten Rand polternden Horst Seehofer. Sogar Donald Trump bewundern die Freiheitlichen als Mann des Volkes.

„Alles kann passieren!“ – Theaterstück bringt die Worte von Europas Rechtspopulisten auf die Bühne

Russlands Präsident Wladimir Putin beobachtet all das mit Wohlwollen. Er ist ein gern gesehener, geschätzter Gast, nicht nur auf der privaten Hochzeit der österreichischen Außenministerin in der Südsteiermark, wo er, umschwärmt und von Ministern bewundert, das bizarre Trachtenspektakel und den Knicks der Ministerin filmen und in Moskau propagandistisch ausschlachten ließ. Österreich, das Trojanische Pferd Putins, wie der britische Guardian spottete. Die Regierung als Steigbügelhalter der Illiberalen.

Starke Institutionen

Muss man panisch werden? Nein. Europas Institutionen sind stark. Die Zivilgesellschaft ist wach. Noch. Aber den illiberalen Kräften beim Sprechen zuzuhören, ist das Gebot der Stunde. Deshalb kam mir die Idee, ihre Reden auf die Bühne zu bringen, um die Sprache dieser autoritären Politik zu verdeutlichen. Nicht irgendeine Bühne, sondern die Bühne des Akademietheaters, wo das Ensemble des Burgtheaters spielt. Der Schriftsteller Doron Rabinovici fügte die Reden zu einem Theaterstück zusammen, die Direktorin Karin Bergmann öffnete ihr Haus.

Rabinovicis Montage zeigt: Das rechte Gerede hat etwas gemeinsam. Es sind verführerische Worte, verlockend, betörend sogar, mitunter sogar humorvoll. Sie beschwören eine nationale Vergangenheit, die vor den Wogen der Globalisierung bewahren soll.

Die, die da sprechen, tun so, als ob sie das Volk vor der gehässigen Welt draußen schützen wollten. Einerseits. Und dann ist, andererseits, der blanke Hass zu hören. Gemeinheiten werden salonfähig. Der Zynismus gegenüber jenen ganz unten wird zum Parteiprogramm. Die Rechten treten nach unten. Gewaltbereitschaft gegenüber Minderheiten und die Verachtung gegenüber jenen, die anders denken, werden geschürt. Selbst das Bierzelt wird gegen die „Horden“ verteidigt, wie wir aus einer besonders dreisten Rede des österreichischen Innenministers erfahren dürfen.

Wien, die Hauptstadt der Rechten

Mit diesem Stück wollen wir die Wörter dokumentieren, die wieder ausgesprochen werden dürfen. Und es ist auch wichtig, die Dinge und Tatsachen einzuordnen, die in den vergangenen Monaten in Wien, der Hauptstadt der Rechten, zu sehen waren.

Hier präsentiert sich die Regierung des europäischen „Rockstars“ Sebastian Kurz – so nannte ihn Richard Grenell, Donald Trumps US-Botschafter in Berlin – als freundliches Role Model der Rechten. Kurz und seine Regierungspartner von der FPÖ inszenieren in der Migrationspolitik den Ausnahmezustand. Die europäische Solidarität, die Kooperation der Staaten, das Mitgefühl mit den Schwachen, eine der Grundlagen von Europas friedlicher Entwicklung nach 1945, stehen nun auf einmal zur Disposition.

Nationalisten brauchen den Feind von außen

Genau das ist das Ziel von Europas Nationalisten, die nie an einem Strang gezogen haben, eben weil sie die nationale Auseinandersetzung brauchen, die Emotion, die Angst und die Unsicherheit. Sie brauchen den Feind von außen, sonst ergeben Grenzen und Beschwörungen des Nationalen keinen Sinn. Sie müssen die EU als einen korrupten und gierigen Moloch darstellen, überfordert von den Gefahren der Migration.

Weil reale Gefahren fehlen, werden diese buchstäblich inszeniert, mit öffentlichen Mitteln. Österreichs Innenminister Herbert Kickl, einst Propagandist von Jörg Haiders FPÖ („Daham statt Islam“), hält Grenzübungen mit Hunderten Soldaten und Polizeischülern ab, so wie es schon Ungarns Premier Viktor Orban 2016 getan hat.

Wie ein Feldherr blickt Kickl aus dem Hubschrauber hinab auf das selbst geschaffene Szenario einwandernder und die Fäuste schwingender „Horden“, die in Wahrheit doch nur Polizeischüler sind. Auch die Journalisten werden zu Statisten von freiheitlichen Parteimedien.

Der Fremde wird als Barbar dargestellt

Österreichs Vizekanzler Heinz-Christian Strache, in Jugendtagen unterwegs mit Neonazis, umarmt derweil Italiens Neofaschisten Matteo Salvini für ein Selfie. Salvini ist der Mann, der 2015 via Twitter Prügel für stehlende Roma forderte und das Europäische Parlament verhöhnt. Er will die Straßen säubern, wie er erklärte. Wer es nicht glaubt, kann das auf Youtube und Twitter anhören. Auf der Straße und am Strand bejubeln ihn die Leute wie einen Befreier. Beim vertraulichen Innenminister-Treffen filmt er heimlich seinen von ihm provozierten Kollegen aus Luxemburg, um ihn bloßzustellen, als er „Scheiße nochmal!“ flucht. Salvini hält sich an nichts.

Die rechten Agitatoren insinuieren, es breche ein „Einwanderungstsunami“ über uns herein, deshalb weisen sie Schiffe mit Flüchtlingen an den Häfen ab. Das Recht, in Europa Asyl zu beantragen, will unsere Regierung abschaffen, die Europäische Menschenrechtskonvention stellen sie infrage, ausgerechnet in Nordafrika wollen sie Lager errichten. Ein freiheitlicher Wehrsprecher fantasierte gar von „Besetzung auf Zeit“.

Jeder 18. Flüchtling ertrinkt im Meer

Die Wahrheit: Haben im Krisenjahr 2015 noch 88.000 Menschen in Österreich und 746.000 in Deutschland einen Asylantrag gestellt, waren es laut österreichischem Innenministerium 2018 bis September nur mehr rund 10.000 in Österreich beziehungsweise 140.000 in Deutschland. Die Außengrenzen sind durch einen Wassergraben namens Mittelmeer gesichert, der die Leute dennoch nicht abhält. Jeder 18. Flüchtling ertrinkt im Mittelmeer.

s wären noch viel mehr, gäbe es keine Rettungsschiffe jener NGOs, die der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz neuerdings als Komplizen der Schlepper diskreditiert.
Dass die Integration der Fremden erstaunlich gut funktioniert, kommunizieren die Rechten nicht, es würde ihre Geschäftsgrundlage zerstören. 30 Prozent der Flüchtlinge, die 2015 gekommen sind, haben bereits einen Job. Die Kriminalitäts- und Arbeitslosenrate sinkt, auf dem Land gibt es Hunderte beherzte Initiativen, die Flüchtlingen helfen.

Wo Europas Staatenlenker Augenmaß bewahren müssen, so wie es Deutschlands bürgerliche Kanzlerin Angela Merkel am Höhepunkt der „Asylkrise“ im Herbst 2015 tat, sammeln die Rechten „Likes“ für das Schüren von Emotion. Die integrative Ansprache wird ersetzt durch eitles und polarisierendes Geschwätz, das die Lehren des 20. Jahrhunderts verkennt. Die Provokation ersetzt die Politik: Salvini erklärt den „Illegalen“, dass das schöne Leben vorbei sei und sie die Koffer packen müssten. In Ungarn schwärmt die Parteijugend des Fidesz aus und klebt rote Aufkleber an die Türen von Universitätsinstituten, wenn diese „illegale Migration“ fördern.

Kurz hat kein Interesse an Integration

Auch Kanzler Kurz hat kein Interesse an der Integration der bereits hier lebenden Migranten. Deshalb kürzt er die Integrationsbudgets, deshalb diskreditiert er islamische Kindergärten mit frisierten Studien als Brutstätten des Dschihadismus. Deshalb streicht er die Mittel für die Sprachkurse. Deshalb setzt er die Mindestsicherung für „subsidiär Schutzberechtigte“ auf null. Deshalb kürzt er die Familienbeihilfe für EU-Bürger, wenn deren Kinder im Ausland wohnen. Deshalb stachelt die mit ihm regierende FPÖ im Netz mit perfiden Pamphleten den Hass gegen „Erntearbeiter“ an, weil die kein Schweinefleisch essen dürfen; deswegen agitieren sie auf Memes gegen „Kopftuchmädchen“, die während des Ramadan fasten und angeblich nichts lernen wollen. Deshalb erleben wir immer heftigere staatliche Angriffe auf jene muslimische Mittelschicht, die lernen, arbeiten und Unternehmen aufbauen will. Als „Erd- und Höhlenmenschen“ bezeichnete ein FPÖ-Mandatar Flüchtlinge. Er sitzt immer noch im Parlament. Mit Bildern süßer Lämmchen agitieren die Rechten gegen das Schächten. Der Fremde ist ein Barbar.

Wie Asselborns „Merde alors“ in Wien ein Theaterstück inspiriert

Mit bürokratischen Schikanen will man derzeit auch Zehntausenden Österreichern die Staatsbürgerschaft entziehen, weil sie in der Türkei auf Erdogans Wahllisten stehen. Anstatt das Problem human zu lösen (mittels Strafen und einer Aufforderung, sich zu einem Staat zu bekennen), werden die Österreicher zu Staatenlosen erklärt. Gespalten wird das Volk auch in Südtirol. Den „deutschen“ Italienern, und nur ihnen und den ladinischen Südtirolern, werden österreichischen Pässe aufgedrängt, alte Gräben aufgerissen.
Die öffentliche Rede wird derweil durch Propaganda ersetzt. In ganz Europa schaffen sich Rechtspopulisten ihre Medienimperien. Sie bombardieren die sozialen Netzwerke mit erfundenen Nachrichten, Trollarmeen posten Horrorbilder einwandernder „Horden“, verzerren die Wahrheit bis zur Unkenntlichkeit, bedrohen Journalistinnen und Journalisten mit dem Tod. Die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten, die diese Echokammern durch objektive Nachrichten aufbrechen, werden entweder unter politischen Druck gesetzt oder – siehe Ungarn und Polen – von kritischen Geistern gesäubert.

Mit Steuergeldern betriebene Propaganda

Mit Steuergeldern wird mittlerweile Propaganda betrieben. FPÖ-Innenminister Herbert Kickl beschäftigt 21 Beamte für seine Social-Media-Kanäle. Den Chefredakteur der blauen Hetzplattform unzensuriert.at ernannte er zum Chef der Stabsstelle „strategische Kommunikation“ im Polizeiministerium, dort macht er Stimmung gegen Fremde und kennt theoretisch jeden Akt.

Langsam, aber doch zieht sich das Bürgertum aus dem öffentlichen Diskurs zurück. Die Beamtenschaft, Rückgrat der Demokratie, wird durch politische Generalsekretäre dirigiert. Der Verfassungsdienst wurde zum Schweigen gebracht, der Verfassungsgerichtshof mit einem Korporierten unterwandert, der den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in einem Aufsatz als verantwortlich für die „multikriminelle Gesellschaft“ bezeichnete. Immer öfter profitieren Burschenschafter, die ihre Pöstchen nur deshalb bekommen haben, weil sie das gleiche Couleurband tragen wie der Minister. In ihren Kellern beschlagnahmt der Verfassungsschutz Liederbücher, in denen der Holocaust verherrlicht wird. Ehemalige Neonazis wurden zu Kabinettschefs.

Diese Regierung, die im zweiten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft innehatte, nimmt die Medien an die Kandare, zumindest versucht sie es. Durch Attacken, Drohungen, aber vor allem durch Schmeichelei und Inseratenkorruption. Journalisten und prominente Moderatoren werden entweder attackiert oder mit Pöstchen milde gestimmt.
Ganz langsam baut die Regierung den Druck auf. FP-Vizekanzler Strache pöbelt einen prominenten TV-Journalisten an, zeiht ihn der Lüge. Der Aufsichtsratschef des ORF fordert die Absetzung unbotmäßiger Auslandskorrespondenten, die über Viktor Orban kritisch berichten. Das Innenministerium befiehlt allen Polizisten, dass drei kritische Medien boykottiert werden sollen. Für die Boulevard- und Krawallpresse gibt es hingegen „Zuckerl“. Per Facebook-Pingpong verschaffen sich Rechte und der Boulevard Klicks mit erfundenen Geschichten, der Unterhaltungskapitalismus gedeiht.

Was in Österreich droht, ist andernorts Realität

Was hierzulande droht, ist in Ungarn und Polen längst Realität. Viktor Orban hat in einem ersten Schritt die Regionalmedien ausgeschaltet, dann den Rundfunk zum Staatsfunk gemacht und durch Mittelsmänner kritische Medien schließen lassen. Intellektuelle verlassen das Land, die von George Soros gegründete Uni wandert ab nach Wien und Berlin. In Polen steht die Justiz unter Beschuss. In Italien droht der Innenminister einem berühmten Anti-Mafia-Journalisten mit dem Entzug des Polizeischutzes.

Das ist die Kulisse, vor der wir die Reden der Herrschaften Matteo Salvini, Viktor Orban, Heinz-Christian Strache, Herbert Kickl, Jaroslaw Kaczynski hören. Es ist die Kulisse, die nun auch Donald Trumps Wahlstratege, der Rechtsextremist Steve Bannon, betritt. Der ehemalige Chef des weit rechts stehenden Nachrichtenportals Breitbart und Ex-Strategiechef von Präsident Trump will die Rechten Europas einen, die EU schwächen. Mit Orbán und Salvini führte er Gespräche. Österreichs Rechten ist er noch suspekt, die Frage ist, wie lange noch.

Muss man Angst haben? Während Europa im Jahr 2000, beim ersten Regierungseintritt eines Rechtspopulisten, noch mittels Sanktionen einen demokratiepolitischen Seuchenteppich um Österreich legte, werden das Land und seine Regierung nun bewundert. Alles kann passieren.

Das Buch zum Theaterstück

Florian Klenk, Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter, hatte die Idee. Schriftsteller Doron Rabinovici hat den Text zum Stück geschrieben. Oder besser gesagt: Rabiniovici hat Reden von Europas Rechtspopulisten und Rechtsextremen genommen und sie in einen Spannungsbogen gepresst. Literarisch hat er die Reden nicht bearbeitet. Sie wurden höchstens gekürzt. Herausgekommen ist ein „Mosaik der Grausamkeit“, wie Klenk es nennt. Rabinovici spricht von einem „Stimmenorkan gegen die offene Gesellschaft“. Das Theaterstück wurde am 21. November im Beisein von Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn und vom Altbundespräsidenten Österreichs Heinz Fischer am Wiener Akademietheater uraufgeführt. Karin Bergmann, Direktorin des Burgtheaters, von dem die Akademie eine Schaubühne ist, bringt „Alles kann passieren!“ im Januar auch an die viel größere Burg. Gelesen wurde das Stück von den vier Schauspielerinnen Andrea Clausen, Stefanie Dvorak, Petra Morzé und Christiane von Poelnitz. Zum Nachlesen gibt es das Stück auch als Buch zum Preis von 10 Euro im Zsolnay Verlag. Die ISBN-Nummer lautet 978-3-552-05943-6.