Die Flucht der Rohingya

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An einem paradiesischen Strand auf der Insel Shah Porir im Süden Bangladeschs klettern in der Dunkelheit der Nacht Dutzende Menschen aus Booten. Sie haben schreiende Kinder auf dem Arm und tragen in Plastiktaschen die wenigen Habseligkeiten, die ihnen bleiben. Klitschnass setzen sich die Rohingya-Flüchtlinge in den Sand und warten auf den Sonnenaufgang, um ihre Reise in die weiter nördlich gelegenen Flüchtlingslager fortzusetzen.

Vor der Gewalt in ihrer Heimat Myanmar sind die Angehörigen der muslimischen Minderheit hier, auf bangladeschischer Seite des Grenzflusses Naf, sicher. Im riesigen Lager Kutupalong und den umliegenden behelfsmäßigen Camps erwarten sie aber andere Gefahren. Es fehlt am Nötigsten, und es droht der Ausbruch von Krankheiten wie Cholera. Für die dringend nötige Versorgung der Rohingya werden rund 370 Millionen Euro gebraucht, bisher ist aber nicht annähernd so viel zusammengekommen. Am Montag findet in Genf eine Geberkonferenz statt.

Frauen wurden gefoltert und getötet

Zu den Neuankömmlingen zwischen Palmen und bunten Booten am Strand von Shah Porir gehören heute die 35-jährige Noor Fatima und ihre drei Kinder. Fatima erzählt vom Tag, an dem ihre Flucht begann: Als die Dämmerung über den Dschungel zog, seien Schüsse durch ihr Dorf gehallt. Daraufhin habe sie die draußen spielenden Kinder ins Haus gerufen und das Feuer, auf dem Reis kochte, gelöscht.

Durch ein glasloses Fenster habe sie das andere Ufer des kleinen Kanals sehen können, der das Dorf in zwei Teile trennte. „Soldaten stürmten in die Häuser und begannen, Frauen und Mädchen nacheinander herauszuziehen und ihnen die Kleider vom Leib zu reißen“, schildert Fatima mit trüber Stimme die Massenvergewaltigung.

„Die Frauen wurden gefoltert und anschießend mit Messern und Waffen getötet. Manche wurden von den Soldaten verschleppt. Ich sah meine Nachbarn vor meinen Augen sterben.“ Dass ihre Familie auf der anderen Seite des Kanals lebte, habe ihr das Leben gerettet, meint Fatima.

„Räumungsoperation“

Innerhalb von weniger als zwei Monaten sind nach UN-Angaben mehr als 580 000 Rohingya vor Gewalt in Myanmars westlichem Bundesstaat Rakhine geflohen – die Mehrheit sind Kinder. Am 25. August hatte eine Rohingya-Miliz 30 Posten der Sicherheitskräfte angegriffen. Die Armee reagierte darauf nach eigenen Worten mit einer „Räumungsoperation“ in den Dörfern der rund eine Million Rohingya, die in Rakhine lebten.

Den Geschichten der Flüchtlinge zufolge bestand die Operation aus Brandstiftung, Mord und Vergewaltigung. Menschenrechtler sprechen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und von einer „ethnischen Säuberung“. Nach Angaben der Organisation Human Rights Watch zeigen Satellitenbilder, dass mindestens 288 Rohingya-Dörfer in Rakhine niedergebrannt wurden. Unabhängig überprüfen lassen sich die Berichte nicht, weil Myanmar den Zugang zur betroffenen Region verwehrt.

Teure Überfahrten

Die Gesamtzahl der Todesopfer ist unbekannt. Allerdings sind etwa 200 Rohingya seit Ende August bei dem Versuch ertrunken, den Naf zu überqueren. Bei Monsunwetter kentern die überfüllten, kleinen Fischerboote immer wieder. Wer es bis zur drei Kilometer breiten Mündung des Flusses in den Golf von Bengalen schafft, hat einen tagelangen Fußmarsch über Berge und durch tiefen Dschungel hinter sich – oft ohne Essen. Nach Angaben von Amnesty International müssen die Flüchtlinge „erpresserische Summen“ für die Überfahrt bezahlen.

In den Morgenstunden überqueren Noor Fatima und ihre Kinder Shah Porir, um auf der anderen Seite der Insel ein weiteres Boot zum Festland zu nehmen. Darin sitzen Dutzende Rohingya-Flüchtlinge, darunter Mohammed Hussein und sein Sohn Artan. In Kutupalong hoffen sie, Husseins Eltern zu finden, die seit Wochen dort leben.

UN-Offizielle wird ersetzt

„Ich hatte keine Möglichkeit, mit meiner Familie zu sprechen, denn wir haben kein Telefon“, sagt der Vater, dessen verbrannte Hand mit einem schmutzigen Verband umwickelt ist. Soldaten hätten seine Frau erschossen, erzählt er. „Nach Myanmar wollen wir nie wieder zurück.“

Kritiker sagen, die Vereinten Nationen hätten die Rohingya im Stich gelassen, um in Myanmar den Übergang von der jahrzehntelangen Militärdiktatur zur Demokratie nicht zu gefährden. Die Junta-Generäle hatte den Rohingya im Jahr 1982 die Staatsbürgerschaft aberkannt. Aber auch die neue Regierung unter Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, seit 2015 im Amt, macht keine Anstalten, die lange andauernde Diskriminierung der Rohingya zu stoppen.

Der höchsten UN-Offiziellen in Myanmar, Renata Lok-Dessallien, werfen Kritiker vor, Versuche unterlaufen zu haben, den Rohingya öffentlich beizustehen. Die Koordinatorin für Wohnraum und humanitäre Hilfe soll nun versetzt werden – offiziell im Rahmen eines geplanten „Nachfolgeprozesses“. Durch einen Bericht der britischen Zeitung „The Guardian“ kam zudem kürzlich ans Licht, dass das Welternährungsprogramm (WFP), eine UN-Behörde, auf Geheiß von Myanmar einen Bericht über hungernde Kinder in Rhakine zurückgezogen hatte.

Kilometerweites Flüchtlingslager

In Haria Khali, wo die zweite Bootsfahrt der Flüchtlinge endet, ist das Chaos groß. Hunderte Rohingya drängen sich in ein Zelt, in dem ihre Namen aufgenommen werden. Es ist nicht einmal zehn Uhr, und fast siebzig Familien – Hunderte Menschen also – wurden heute schon registriert. „An manchen Tagen sind es sogar noch viele mehr“, sagt Mohammed Elias, der für die Registrierung zuständig ist.

Es folgt für die Rohingya die vorerst letzte Etappe ihrer Flucht. Lastwagen mit offener Ladefläche bringen sie in das knapp zwei Stunden weiter nördlich gelegene Kutupalong, das Hilfsorganisationen zufolge bald das weltgrößte Flüchtlingslager sein wird. Es erstreckt sich kilometerweit zwischen braunen Hügeln und grünen Reisfeldern. Inklusive der mehr als 300 000 Flüchtlinge, die schon vor dem jüngsten Gewaltausbruch kamen, nähert sich die Zahl der Rohingya im Bezirk Cox’s Bazar der Eine-Million-Marke.

Die Zustände sind verheerend: Neuankömmlinge schlafen in Behausungen aus Bambusstöcken und Plastikplanen, die kaum Schutz vor Monsunregen und sengender Sonne bieten. Aus Mangel an Toiletten verrichten viele ihr Geschäft im Freien. Es fehlt an sauberem Wasser, Essen, Unterkünften und medizinischer Versorgung. Hilfsorganisationen warnen seit Wochen vor einer sich entwickelnden humanitären Katastrophe. Amnesty Internationals Vize-Südasien-Direktor, Omar Waraich, sagt in einer Mitteilung: „Bangladesch, ein armes Land, das außerordentliche Großzügigkeit gezeigt hat, darf nicht mit dieser Situation alleingelassen werden.“

Mensch
23. Oktober 2017 - 8.10

"Aber auch die neue Regierung unter Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi, seit 2015 im Amt, macht keine Anstalten, die lange andauernde Diskriminierung der Rohingya zu stoppen." Solch einer Kreatur, um die die männlichen EU Würdenträger vor ein paar Jahren noch herumkreisten wie die Fliegen um den D.... gehört dieser Preis ohne Diskussion wieder abgenommen. Dazu kommt die Schande der UN die quasi nicht unternimmt um diese Volksvertreibung von Menschen zu unterbinden, keine Sanktionen, kein Militärschlag gegen Myanmar, nichts. Das nennt man dann wohl Zivilisation. Man stelle sich einmal vor, es wären Muslime die Buddhisten vertreiben würden, die Welt würde Kopf stehen vor einer solchen "Barbarei".