Deutschland geht es gut: Von einer Krise kann keine Rede mehr sein

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Den Deutschen geht es so gut wie seit der Finanzkrise 2007/2008 und der Wirtschaftskrise des Jahres 2009 nicht mehr. Es ist die Rede von einem goldenen Jahrzehnt.

Wenn nicht der Auftragseingang der deutschen Industrie wäre, der derzeit schwächelt, dann gäbe es aktuell in Deutschland wirtschaftlich nicht den Hauch einer Wolke am Himmel. Alle ökonomischen Daten stehen auf leuchtend grün. Fast drei Jahre hintereinander ist die deutsche Wirtschaftsleistung gewachsen, um bis zu zwei Prozent im Jahr – ein Wert, der 2018 aber wohl nicht mehr erreicht wird. Das vergleicht sich nicht mit der in Luxemburg üblichen Wachstumsrate von vier Prozent, ist in einem Land mit 83 Millionen Einwohnern aber von ganz anderer Bedeutung.

Wirtschaftswachstum bedeutet insgesamt mehr Steuern. Wirtschaftswachstum von zwei Prozent bedeutet aber auch mehr Arbeit. Musste die Wirtschaft in Ländern wie Deutschland oder Frankreich vor der Finanz- und Wirtschaftskrise noch um mindestens drei Prozent wachsen, damit die Arbeitslosigkeit sinken sollte, so reichen heutzutage 1,8 bis zwei Prozent aus. In Deutschland hat als Folge der beiden kurzen, aber heftigen Krisen mit langen Nachwehen ein ebenso heftiger politischer wie auch wirtschaftlicher Strukturwandel stattgefunden. Mitten in der Wirtschaftskrise hat der Deutsche Bundestag 2009 beschlossen, dass öffentliche Haushalte nicht mehr durch eine Neuverschuldung ausgeglichen werden dürfen. Alle Bundesländer und auch die Gemeinden zogen nach. In Deutschland zog eine Finanzdisziplin der öffentlichen Hand ein, die sich jetzt auszahlt.

Während in Frankreich die Verschuldung ansteigt und mit 2,5 Billionen Euro 98 Prozent der Wirtschaftsleistung erreicht, sinken die Schulden jenseits des Rheins seit 2013 auf mittlerweile 1,9 Billionen Euro und erreichten einen Verschuldungsgrad der Wirtschaftsleistung von 60 Prozent. Deutschland erfüllt damit das zweite Kriterium zur Stabilität des Euro. Im Maastricht-Vertrag sind nicht nur ein Budgetdefizit von drei Prozent vereinbart, sondern auch eine Schuldengrenze von 60 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung.

Hohe Verschuldungen in Ländern wie Frankreich und Italien lassen die Deutschen daher auch immer dann misstrauisch werden, wenn von Vergemeinschaftung die Rede ist. Sie befürchten, dass Länder, die weniger diszipliniert mit ihren Finanzen umgehen, nun auf Deutschland schielen, um sich von dort Hilfe mit den Geldern des deutschen Steuerzahlers zu holen. Die Forderung der deutschen Kanzlerin, dass Länder wie Frankreich oder Italien ihre „Hausaufgaben“ machen sollten, kommt dort nicht gut an, weil sie schlechtes Gewissen weckt. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron hat alle Schwierigkeiten der Welt, weil er sparen muss. Aber wo auch immer er ansetzt, erhebt sich ein Sturm der Entrüstung im Land.

Mehr Konsum

Im Juli 2018 waren in Deutschland 44,7 Millionen Menschen – über die Hälfte der Bevölkerung – beschäftigt und verdienten Geld. Die Zahl der Arbeitslosen sank um 200.000 auf 2,3 Millionen. Der hohe Beschäftigungsgrad sichert den Konsum und damit die Binnenkonjunktur. Denn: Abzüglich der Teuerungen verfügen die Deutschen über einen Kaufkraftgewinn von zehn Prozent gegenüber 2008/2009. Der Durchschnittslohn lag vor zehn Jahren laut Statistischem Bundesamt bei 1.540 Euro. Für das vergangene Jahr beziffert das Amt den Durchschnittslohn in Deutschland mit 1.893 Euro monatlich. Der hohe Beschäftigungsgrad findet den wesentlichen Grund in der Exportwirtschaft. Deutschland und China sind wechselweise Exportweltmeister. Ein zweifelhafter Titel.

Deutschland wird häufig vorgeworfen, mit den Exporten Länder wirtschaftlich zu schwächen, weil sie die deutschen Waren bezahlen müssen. Deutschland verweist darauf, dass Export und Import sich bedingen. Die Außenhandelsquote der deutschen Wirtschaft liegt bei 68,8 Prozent. Im vergangenen Jahr exportierte Deutschland Waren im Wert von 1.279 Milliarden Euro. Da das Land allerdings nicht über Rohstoffe verfügt, bedingt der Export eine hohe Importquote von Grundstoffen und Komponenten, die zur Herstellung der Güter benötigt werden. Der Import lag im vergangenen Jahr bei 1.034 Milliarden Euro. Der Saldo von plus 245 Millionen Euro führt bei internationalen Organisationen und auch Staaten mit einer verkürzten Argumentation wie dem IWF oder den USA zu Kritik an Deutschland. Als offene Wirtschaft gehört Deutschland zu den handelsintensivsten Ländern in der Welt. Ein Abbau des Exportes hätte eine Verringerung der Importe automatisch zur Folge.

Die gute Entwicklung der wirtschaftlichen Situation kam in den vergangenen Jahren den Rentnern wieder zugute. Seit 2008 stiegen die Renten um 20 Prozent an. Die Überschüsse in der Rentenkasse führten vor zwei Jahren zu Erhöhungen von 4,25 Prozent, im vergangenen und in diesem Jahr zu jeweils 2,5 Prozent. Zum Vergleich: In Frankreich steigen die Renten um 0,3 Prozent. In Deutschland waren die Erhöhungen kurzsichtige politische Entscheidungen, denn jetzt einigten sich Christ- und Sozialdemokraten auf Renten-Reparaturen, die zu Erhöhungen der Beiträge um bis zu 20 Prozent führen werden.

Deutschland mag es zwar „Gold gehen“, aber es ist nicht alles Gold. Nach wie vor gibt es einen Niedriglohnsektor, in dem die Menschen nicht von einem Job leben können und in der Folge gleich mehrere Jobs ausüben müssen. Der Mindestlohn liegt mit 1.498 Euro nach Abzug von Steuern, Miete, Energiekosten in einem Bereich, von dem man nur schwierig leben kann. Der französische Mindestlohn liegt übrigens um nur 47 Cent höher als der deutsche. Das Verteilungsproblem des Reichtums ist nicht gelöst. Die Lücke zwischen Arm und Reich wächst. Eine Reichensteuer – wie die Sozialdemokraten (SPD) sie verlangen – wird immer wieder diskutiert, ist mit den Christdemokraten (CDU) aber nicht umsetzbar.

Garde-fou
13. September 2018 - 13.40

Merci @GuyT fir déi détailléiert Zuelen. Och den Satz "Für das vergangene Jahr beziffert das Amt den Durchschnittslohn in Deutschland mit 1.893 Euro monatlich." seet naischt aus, well et wuel an all den industrialiséierten Länner esou ass, dass den Loun, iwwer 10 Joer gekuckt, an d'Lut gangen ass. Schued dass den opmierksamen Lecteur esou Sachen muss erfierhiewen, an net den Jurnalist deen den investigativen Artikel schreift (oder handelt et sech hei just em eng Weidergab vunn offiziellen Zuelen déi net an Fro gestallt goufen?).

Guyt
13. September 2018 - 5.30

Unterschlagen wird, dass Deutschlands Arbeitnehmer und Rentner im Europavegleich extrem niedrige Nettoreinkünfte haben, dies gilt seit Jahren. So sind die privatvermögen der deutschen im Median fast die niedrigsten in Europa un liegen z.B. weit hinter denen Griechenlands. Reiches Land ja, aber nur für einige wenigen. Zudem sind die Infrastrukturen marode und die Aemter und Schulen unterbesetzt und der Wohnraum verknappt sich. Nicht umsonst stürzt die SPD dramatisch ab.

Grober J-P.
12. September 2018 - 10.17

1,8 Milliarden für Hartz IV, ist kein Pappenstiel, müssen mal gestemmt werden, ist aber ein Knacks bei 245 Milliarden Überschuss. Versteht man warum es dann immer mehr Leute gibt die den rechten Arm in die Höhe strecken?

Grober J-P.
12. September 2018 - 0.20

Deutschland würde es noch besser ergehen wenn alle Hartz IV kriegen würden. Wäre doch auch was für Luxemburg nicht wahr. :-(

roger wohlfart
11. September 2018 - 18.23

In Deutschland ist es wie in allen andern Ländern auch. Den einen geht es gut, den andern besser und wieder andern schlechter. Wenn die Wirtschaft boomt, heisst das noch lange nicht, dass alle Teile der Bevölkerung im gleichen Masse oder überhaupt davon profitieren.