Deutsche Linken-Fraktionschefin Wagenknecht: SPD-Spitze darf Debatte nicht dem Juso-Chef überlassen

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Mit seinen Sozialismus-Thesen hat Juso-Chef Kevin Kühnert eine breite Debatte ausgelöst. Sind die Chancen für Rot-Rot-Grün jetzt gestiegen? Darüber sprach unser Berliner Korrespondent Stefan Vetter mit der Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht.

Tageblatt: Frau Wagenknecht, was halten Sie von dem Vorstoß?

Sahra Wagenknecht: Wir haben schon lange gefordert, dass der Wirtschaftsfeudalismus überwunden werden muss, der darin besteht, dass viele trotz harter Arbeit nicht mehr zu wirklichem Wohlstand kommen, während andere dank ererbter Aktienpakete leistungslos Millioneneinkommen beziehen. Die Geschwister Klatten und Quandt, größte Eigner von BMW, bekommen pro Tag rund drei Millionen Euro Dividenden überwiesen. Das ist mehr als die meisten Menschen im Leben verdienen.

Aber gerade BMW gilt als Musterbeispiel für gute Verdienste, Gewinnbeteiligung und Mitbestimmung der Belegschaft. Ignorieren Sie das?

Das ist kein Gnadenakt der Eigentümer, sondern von starken Gewerkschaften erkämpft worden. Und es gilt nur für die Stammbelegschaft. Auch bei BMW werden viele Leiharbeiter eingesetzt, die schlecht verdienen. Noch schlimmer geht es in Unternehmen zu, die von Finanzinvestoren übernommen werden und in denen nur noch die kurzfristige Rendite zählt. Schlechte Löhne und prekäre Jobs sind letztlich eine Enteignung der Arbeitnehmer.

Dann ist es für Sie auch der „Optimalfall“, wenn es keine privaten Vermietungen mehr gäbe, wie es Kühnert ebenfalls vorschwebt?

Natürlich muss man unterscheiden zwischen dem, was große Immobilienkonzerne anrichten und der Tatsache, dass etwa Selbstständige zur Alterssicherung Wohneigentum gekauft haben, weil es auf der Bank keine Zinsen mehr gibt. Um dieses Eigentum geht es nicht. Aber Wohnen darf kein Spekulationsobjekt sein und nicht hemmungslosen Renditejägern überlassen werden.

Macht Kühnert Hoffnung auf Rot-Rot-Grün?

Hoffnung darauf kann man erst haben, wenn es dafür wieder Mehrheiten gibt. Dazu muss vor allem die SPD wieder eine glaubwürdige sozialdemokratische Partei werden. Aktuell steht sie bei 15 Prozent …

Das war nach dem Kühnert-Vorstoß. Gibt Ihnen das nicht zu denken?

Für den Absturz der SPD ist nicht Kühnert verantwortlich, sondern die Politik gegen ihre eigenen Wähler, die sie seit Jahren macht. Was Kühnert angesprochen hat, war nun wirklich nichts Neues. Dass Produktiveigentum denen gehören sollte, die es erarbeiten, und nicht Hedgefonds oder Erbendynastien, ist eine alte sozialdemokratische Position, die früher sogar von vielen Liberalen geteilt wurde. Schauen Sie mal ins Freiburger Programm der FDP. Ich würde mir wünschen, dass die SPD-Spitze solche Debatten nicht ihrem Juso-Chef überlässt. Die Diskussion darüber, welche Wirtschaftsverfassung wir brauchen, um das Wohlstandsversprechen der sozialen Marktwirtschaft wieder einzulösen, gehört auf die Tagesordnung.

Vor der letzten Bundestagswahl gab es einen Gesprächskreis von Vertretern aus SPD, Grünen und Linken, um Chancen für ein gemeinsames Regierungsbündnis auszuloten. Sollte dieser Dialog jetzt wieder intensiviert werden?

Gespräche sind immer sinnvoll, deshalb ist es gut, wenn sie wieder beginnen. Die Grünen sind ja inzwischen komplett beliebig geworden, aber die SPD sollte sich entscheiden: Will sie wieder sozialdemokratische Politik machen, den Sozialstaat wiederherstellen und die Fehlentscheidungen der letzten Jahre korrigieren, dann hat sie uns als Partner. Oder ist es wieder nur Wahlkampfgetöse, wenn sie Hartz IV kritisiert oder einen Mindestlohn von zwölf Euro fordert? Dann hat Rot-Rot-Grün keinen Sinn.