Der Mechaniker und seine Partei

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Als Generalsekretär ist Yves Cruchten der Mechaniker seiner Partei. Er weiß, wie sich das Räderwerk der LSAP dreht, hört genau hin, wenn das Parteigetriebe ächzt. Ein Gespräch über die jüngsten Rebellionen und die Profilfrage.

Tageblatt: Sie sind seit 2010 Generalsekretär der LSAP, seit 2013 Abgeordneter. Sie haben demnach das Auf und Ab der LSAP in den letzten Jahren hautnah miterlebt. Beunruhigt Sie der aktuelle Zustand Ihrer Partei?

Yves Cruchten: Ich kenne diese Partei eigentlich nicht anders. Als Generalsekretär werde ich mich auch weiterhin dafür einsetzen, dass man in dieser Partei wird diskutieren können. Auch kontrovers. Dazu bieten wir viel Raum. Ich bin zuversichtlich, dass wir alle an einem Strang ziehen, um diese Partei nach vorne zu bringen. Das beruhigt mich. Ich stelle seit einigen Wochen eine positive Dynamik fest, die ich im letzten Jahr so nicht erlebt habe. Wenn es uns gelingt, diese positive Energie zu kanalisieren, können wir etwas erreichen. Ich meine das durchaus ehrlich. Wir bekommen neue Mitglieder. Das Durchschnittsalter unserer Partei sinkt, was wir seit längerem nicht mehr hatten.

Was sind Ihre Erklärungen dafür?

Verschiedene Themen, die wir besetzen, etwa in der Außenpolitik, ich denke da an Fragen der Demokratie, der Menschenrechte, der Flüchtlinge, im Wirtschaftsbereich an neue Entwicklungsszenarien für das Land, aber auch an kühnere Projekte wie Investitionen in neue Technologien und Space Mining. Das sind Themen, die junge Menschen begeistern. Ich glaube auch, dass junge Menschen weit politisierter sind, als allgemein angenommen wird. Junge Menschen sagten mir, sie würden sich engagieren aus Angst, dass andere sich am rechten Rand betätigen. Das ist keine Generationsfrage. Was Jean Asselborn und Etienne Schneider tun, spricht junge Menschen an.

Der rezente offene Brief junger Sozialisten, dann die Stellungnahme älterer Parteimitglieder – das erinnert an Hilfeschreie auf der Titanic. Ist Panik an Bord ausgebrochen?

Ich habe mit all diesen Parteimitgliedern gesprochen. Dabei habe ich ihnen gesagt, wir haben so viele Möglichkeiten, um miteinander zu reden. Das muss nicht draußen geschehen. Euch müsste bewusst sein, welches Bild das abgeben könnte. Wobei ich davon ausgehe, dass insbesondere die jungen Briefschreiber beabsichtigten, sich ernsthaft Gedanken über die Ursachen für die aktuelle Lage der Sozialdemokratie zu machen. Es sollte motivierend sein. Nach außen sah es nach Rebellion aus, was es aber nicht war. Über unsere Partei soll in der Partei diskutiert werden, nicht in einem Fernseh- oder Radiostudio.

Derlei „Rebellionen“ sind aber bei der LSAP nicht neu. Bedeutet das nicht, dass die parteiinterne Demokratie mangelhaft ist, es an geeigneten Plattformen fehlt?

Wir haben uns im letzten Jahr neue Statuten gegeben, um diese Situation zu verbessern. Im vergangenen Jahr lag der Fokus hauptsächlich bei den Gemeindewahlen. Wir haben dabei bewusst darauf verzichtet, neue Diskussionsplattformen einzurichten. Das werden wir aber nun tun. Wir haben eine Online-Befragung durchgeführt und die Mitglieder aufgerufen, sich einzubringen. 180 Personen haben sich für eine Mitarbeit in den bestehenden Arbeitsgruppen gemeldet, zusätzlich zu den bereits teilnehmenden Personen. In unserem neu geschaffenen Forum sollen die Parteimitglieder zwanglos zusammen diskutieren können. Diese Plattform wird nicht nur Mandatsträgern und Delegierten vorbehalten sein.

Derlei Forum kam bisher noch nicht zusammen.

Nein. Das Forum wird erstmals bei der Diskussion über einzelne strittige Fragen des Wahlprogramms zusammenkommen. Nur die Parteimitglieder werden bei den Diskussionen anwesend sein. Die Presse wird nicht zugelassen. Das unterscheidet das Forum vom Kongress. Manchmal scheuen sich einzelne Mitglieder, sich vor laufender Kamera zu äußern, andere fühlen sich dazu ermuntert.

Diskussionsmöglichkeiten bestanden in der LSAP in Form von Arbeitskreisen. Von denen hat man schon längere Zeit nichts mehr gehört. Ist das so gewollt?

Die Arbeitsgruppen sind auch für Nichtmitglieder zugänglich. Deren Aufgabe ist es, Arbeitspapiere für die Parteiführung zu erstellen. Die entscheidet dann darüber, was damit geschieht. Vergangene Woche hat das zu einer Pressekonferenz über Medienerziehung geführt. Derzeit lautet der Auftrag, Ideen zu sammeln für das Wahlprogramm.
Diese Arbeitsgruppen sind natürlich in Oppositionszeiten aktiver. Bei einer Regierungsbeteiligung kommen Initiativen meist von Regierungsmitgliedern.

Der LSAP wird oft mangelndes Profil vorgeworfen. Wir haben aber eher den Eindruck, dass es einzelnen LSAP-Deputierten an Ecken und Kanten fehlt. Man kann sie kaum mit einem konkreten Projekt identifizieren. Teilen Sie diese Ansicht?

(Denkt nach) Ich gebe Ihnen nicht ganz unrecht. Individuell strengen wir uns tatsächlich nicht genügend an. Ich weiß aber nicht, ob das die Frage nach dem Profil der Partei beantwortet.

Parteien sind abstrakte Gebilde. Man wählt Köpfe.

Als Deputierte werden wir nicht wahrgenommen, wenn wir nicht gegen die Regierung oder die Partei reden. Wenn wir sagen, was diese Koalition an Positivem macht, interessiert das die Medien nur bedingt.
Ich gebe Ihnen ein Beispiel: In zwei Wochen findet im Parlament eine Debatte über Wohnungsbau statt. Da redet der Minister, dann der Präsident des zuständigen Parlamentsausschusses, die Opposition, die ein bisschen provozieren wird. Damit ich wahrgenommen werde, muss ich den dicken Hammer nehmen.

Apropos Wohnungsbau. Bei einer rezenten Sitzung der LSAP-Gemeinderäte haben Sie über Wohnungsbau geredet und die Ausarbeitung von Vorschlägen für das nächste Wahlprogramm angekündigt. Warum haben Sie das nicht in den letzten Jahren getan?

Es kommen ja noch weitere fünf Jahre. Und man darf nicht so tun, als sei in diesem Bereich nichts erfolgt. Man kann aber von keiner Regierung erwarten, dieses größte sozialpolitische Problem mit einer Zauberformel zu lösen. Wir haben uns aber vorgenommen, in dieser Frage mutiger zu werden. In der letzten Nummer des Lëtzebuerger Land habe ich daran erinnert, dass man als Besitzer nicht bis in alle Ewigkeit Grundstücke zum Nachteil der Gesellschaft beanspruchen kann. Es kommt der Zeitpunkt, wo man als Großgrundbesitzer eine Verantwortung übernehmen muss. Dafür werden wir im Parlament kaum Mehrheiten finden. Es gibt aber nicht viele andere Möglichkeiten.

Das wäre ja das Thema, mit dem man sich als Abgeordneter profilieren könnte. Nicht nur mit einer Rede im Parlamentsplenum.

Das stimmt. Andererseits ist es in Oppositionszeiten leichter, sich zu profilieren. Jeder Abgeordnete denkt ständig an die Zahl 32 (Zahl der Parlamentsmehrheit). Doch das schweißt diese Koalition auch zusammen. Ohne diesen Zusammenhalt wären die realisierten Reformen, die das Land ja aber vorwärts gebracht haben, nicht möglich gewesen.

Ich habe die vorige Regierung (CSV-LSAP) nur aus den Kulissen heraus miterlebt. Ich habe aber etwa während Fraktionssitzungen, an denen ich teilnehmen konnte, ständig ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem Koalitionspartner gespürt. Das ist hier nicht der Fall. Es gab manchmal Ausrutscher, dennoch hat man sich immer wieder zusammengerauft. Man muss einander vertrauen, auch wenn man manchmal anderer Meinung ist.

Was sind Ihrer Ansicht nach die herausragenden Leistungen dieser Regierung?

Gesellschaftspolitische Reformen, Steuerreform, Reform der Familienbeihilfen …
… die Konsolidierung der Staatsfinanzen, eine gemeinsame Leistung der Regierung und des Landes insgesamt. Jeder hat seinen Beitrag dazu geleistet.

Die CSV wirft der Koalition vor, Schulden angehäuft statt abgebaut zu haben.

Das ist Quatsch. Wir investieren. Eine Regierung, die heute nicht investieren würde, müsste man aus dem Amt jagen. Wer heute die Investitionsbremse ziehen will, verschläft die Zukunft des Landes. Ohne Investitionen können wir keine neuen Straßen, Bahnstrecken bauen. Wir müssen investieren. Wir leiden heute darunter, dass in der Vergangenheit nicht genug investiert wurde.

Was hätte diese Regierung noch besser machen können?

Als diese Regierung 2013 antrat, ging es nicht um die große Umverteilung im Lande. Das will heute niemand hören, aber damals sprach man von Horrorszenarien, darüber, dass drastisch gespart werden müsste. Diese Regierung hat die fünf Jahre genutzt, um aus dem Loch herauszufinden und das Land auf die Zukunft vorzubereiten. Die nächste Regierung muss für eine gerechte Umverteilung sorgen. Wenn ich höre, dass wir vier bis fünf Prozent Wirtschaftswachstum haben, die Löhne aber nur um 1,1 Prozent klettern, glaube ich, dass wir kurzfristig Ungerechtigkeiten schaffen. Da steht noch viel Arbeit an, auch für meine Partei.