Der Luxemburger Guy Christen wandert 4.300 Kilometer – für den guten Zweck

Der Luxemburger Guy Christen wandert 4.300 Kilometer – für den guten Zweck

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Es gibt viele Synonyme von verrückt – und die meisten davon hat der Eischener Guy Christen schon zu hören bekommen, wenn er von seinem Vorhaben erzählt hat. Er will im März den Pacific Crest Trail, einen 4.300 Kilometer langen Wanderweg durch die USA, schaffen. Für jeden Kilometer sammelt er Geld, das er bei seiner Rückkehr an die „Fondatioun Kriibskrank Kanner“ spenden wird.

Als der 41-Jährige sein Projekt im vergangenen Herbst den Verantwortlichen der „Fondatioun Kriibskrank Kanner“ vorgestellt hatte, wussten die erst gar nicht, was der Pacific Crest Trail (PCT) überhaupt ist. „Daraufhin hat Guy Christen voller Motivation seine Karten ausgepackt und uns alles genau gezeigt“, erzählt Anne Goerens, die Direktorin der gemeinnützigen Organisation. „Als wir gesehen haben, dass es sich um einen Fernwanderweg durch Amerika von der mexikanischen an die kanadische Grenze handelt, fanden wir das schon verrückt.“

Aber es ist nicht zum ersten Mal, dass jemand mit einer verrückten Idee bei der „Fondatioun“ anklopft. „Meistens sind es die unscheinbarsten Menschen, die uns am meisten überraschen“, sagt Goerens, die auf zwölf Jahre Erfahrung als Direktorin zurückblicken kann.

Guy Christen ist ein erfahrener Hiker. Die Liebe zu dem Sport stammt noch aus seiner Kindheit, als er bei den Pfadfindern in Mamer war. „Mit Mitte 20 habe ich ihn für mich wiederentdeckt.“ Seitdem nutzt er so viele freie Tage wie möglich, um nur mit Rucksack und Zelt in die Natur zu ziehen.

Die längste Zeit, die er bisher am Stück unterwegs war, waren drei Wochen. „Ich war immer an meine Urlaube gebunden“, erklärt der Polizist, der sich nun ein Jahr unbezahlten Urlaub genommen hat. Den PCT will er in sechs bis acht Monaten schaffen. „Die meisten brauchen sechs Monate. Aber wenn es mir irgendwo besonders gut gefällt, will ich etwas länger dort bleiben.“

Aber wieso gerade jetzt?

Vom PCT hat Christen zum ersten Mal gehört, als er auf einem anderen Trail in Mallorca unterwegs war. „Dort habe ich zwei Engländer kennengelernt, die davon geschwärmt haben. Die Passion, mit der sie davon erzählt haben, hat mich neugierig gemacht.“
Zu Hause informierte sich Christen gleich über den Fernwanderweg. „Da habe ich erste Eindrücke bekommen und gesehen, dass die Wanderung durch die Wüste, Berge, Wälder und Schnee führt.“ Eine Herausforderung, der er sich „irgendwann einmal“ annehmen wollte.

Irgendwann kommt schneller als geplant. Am 14. April 2018 musste ein Polizist im Dienst bei einem schweren Autounfall in Lausdorn sein Leben lassen – nur drei Tage nach Christens Rückkehr aus Mallorca.

„Ich kannte den Mann. Wir waren zusammen in der Armee und haben die Polizeischule gemeinsam absolviert“, erinnert sich der 41-Jährige. Sein Blick weicht aus, als er davon erzählt. „Das war der Trigger. Ich habe mir gesagt, ich bin fit, alleinstehend und habe keine Kinder. Ich muss niemandem Rechenschaft ablegen. Und alles kann so verdammt schnell vorbei sein.“

Drei Tage später reichte er den Antrag auf unbezahlten Urlaub ein. Ein Risiko, denn zu dem Zeitpunkt wusste er noch nicht, ob er einen der heiß begehrten Pässe für den PCT ergattern kann. Aus Umweltschutzgründen darf nur eine begrenzte Anzahl von Wanderern zu einem bestimmten Zeitpunkt starten.

Am 14. November versammelte Christen sechs Freunde mit sechs Laptops bei sich zu Hause. Als der Countdown für die Freischaltung der Tickets abgelaufen war, drückten die sechs gleichzeitig auf die Enter-Taste. „Ich war der Schnellste, aber trotzdem nur auf Platz 1.300. Eine Freundin war sogar erst auf Platz 5.000, obwohl sie nur Millisekunden später gedrückt hat – so viele haben sich gleichzeitig dort angemeldet.“

Guy Christen hatte Glück und bekam seinen Pass. Einen Plan B hat er nicht. „Alles oder nichts, das beschreibt eigentlich ganz gut, wie ich bin.“

Bären und Klapperschlangen

Bei Internet-Recherchen zum PCT liest man schnell von gefährlichen Tieren, die einem unterwegs begegnen können. Vor Bären und Klapperschlangen hat Christen allerdings keine Angst. Bären ist er sogar schon einmal bei einem Hike in Schweden über den Weg gelaufen. „Da habe ich mich ganz schön erschrocken.“ Damals hatte er noch nicht recherchiert, wie er sich in einem solchen Fall verhalten sollte, tat aber instinktiv das Richtige: „Ich bin ganz ruhig zurückgegangen.“

Up to date

Wer wissen will, wo Guy Christen gerade steckt und wie es ihm geht, kann ihm auf seiner Facebook-Seite „A journey on the ‚Pacific Crest Trail’“ folgen. Dort postet er regelmäßig Fotos, Updates und Standorte. Hier finden Sie auch alle Informationen dazu, wie sie Christen und die „Fondatioun Kriibskrank Kanner“ mit einer Spende unterstützen können.

In Amerika wird er besser vorbereitet sein. „Ich werde Bärenspray mitnehmen. Das ist wie Pfefferspray, nur stärker. Wenn Bären damit in Kontakt kommen laufen sie in jedem Fall weg.“ Auch wichtig: Unterwegs wird Christen nie Musik hören, sonst könnte er eine Klapperschlange überhören.

„Das Gefährlichste bei solch einem Trip ist die Selbstüberschätzung“, sagt er, glaubt aber, den eigenen Körper gut einschätzen zu können. Guy Christen macht schon sein Leben lang Sport, ist ein erfahrener Hiker. Heikle Situationen hat er schon durchgemacht.
„In Schweden habe ich mir unterwegs so schlimm den Fuß verstaucht, dass es richtig gekracht hat“, erinnert er sich. Er musste um jeden Preis verhindern, dass sein Fuß anschwoll und band seinen Schuh, so fest es ging. Dann setzte er die Wanderung fort. „Mein Fuß war bei der Ankunft zwar blau – aber immerhin bin ich angekommen.“

Auf die Ruhe freut sich Christen am meisten. Am liebsten ist er Off-the-grid, wie Hiker es nennen – also dort, wo es keinen Handyempfang mehr gibt. „Die Ruhe, die wieder in einen einkehrt, ist unbeschreiblich. Auch wenn ich abends kaputt bin und die Füße schmerzen, spüre ich förmlich, wie sich die Batterien wieder aufladen.“ Die Perspektive verändert sich, einfache Dinge gewinnen an Wert, andere verlieren ihn komplett.

Anne Goerens freut es besonders, dass die „Fondatioun Kriibskrank Kanner“ Guy Christen einen Sinn mit auf den Weg geben kann. „Ich habe ihm gesagt: Wenn du einmal kurz davor bist, aufzugeben, dann denk daran, dass es Menschen gibt, die keine Wahl haben. Sie gehen auch einen Weg, der steinig und voller Hindernisse ist, der bergauf und bergab geht. Sie müssen auch durchhalten. Geh für sie weiter!“

Worte, die sich Christen zu Herzen nimmt: „Ich gehe nicht los, um nicht anzukommen.“ Er wünscht sich, dass er mit Fotos und Facebook-Posts von seinem Abenteuer den Menschen, denen es nicht gut geht, für kurze Zeit aus ihrem Alltag heraushelfen kann.

Ob er aufgeregt ist? „Ich bin vor einigen Tagen nachts mit Herzklopfen aufgewacht. Ich hatte geträumt, ich hätte mein Zelt unterwegs verloren. Beantwortet das die Frage?“ Dabei lacht der Abenteurer, seine hellblauen Augen strahlen wie die eines Kindes, das sich auf den Nikolaus freut.