Der Baustellenblues eines CFL-Kunden: Wie kommt man von Ulflingen nach Ettelbrück?

Der Baustellenblues eines CFL-Kunden: Wie kommt man von Ulflingen nach Ettelbrück?

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Am Wochenende vom 15. auf den 16. Juni führte die CFL Arbeiten an den Oberleitungen zwischen Ulflingen und Ettelbrück durch. Deshalb war dieser Abschnitt der Nordstrecke für den Zugverkehr gesperrt. Das „Geenzefest“ Pfingstmontag in Wiltz war nicht per Schiene zu erreichen. Shuttle-Busse bedienten die Bahnhöfe. Die in diesem Bericht geschilderten Erfahrungen aus Sicht eines Bahnkunden treffen ebenso auf all die anderen Streckensperrungen im CFL-Netz zu und berühren somit ein leidiges Thema. Ein Text von unserem Korrespondenten Marcel Gillander.

Samstag, 15. Juni 2019, Ulflingen: Wie ein verwundeter Drache verschnauft der eben aus Lüttich angekommene Schnellzug am Bahnsteig. Seine mit Graffiti verzierten Waggons bringen einen Hauch von Bronx in das schöne Ösling und lassen mich an ein Lied von Robert Gollo Steffen denken: „Amerika läit direkt hanner Ëlwen“ … Wegen der Bauarbeiten hat der Ardennen-Express seine provisorische Endstation in Ulflingen, ein Charterbus bringt die Passagiere nach Ettelbrück, wo sie dann wieder in einen Zug Richtung Luxemburg-Stadt umsteigen: Eine Zumutung für Reisende mit Gepäck, Fahrrädern oder Rollstühlen, ein Leidensweg für Menschen mit Gehbehinderungen. Und eine aufwändige und kostenintensive Lösung für die CFL.

Es rächt sich, dass das auf dieser Verbindung eingesetzte Material museumsreife Technik ist: Die Lok fährt immer in Fahrtrichtung voraus, muss die Wagen also ziehen und deshalb im Endbahnhof abgekuppelt werden, um sich an das andere Ende des Zuges zu setzen. Sie „wendet“, wie das in der Eisenbahnerfachsprache heißt. Für dieses Ritual, das sich nun alle zwei Stunden in Ulflingen wiederholt, muss eigens ein Rangierer vor Ort sein. Während der Streckensperrung verkehren die CFL-Lokomotiven der Serie 3000 nur auf SNCB-Gleisen. Im „Inselbetrieb“ und abgeschnitten von ihrem Heimatnetz können sie die CFL-Ateliers nicht für Wartungsarbeiten oder Reparaturen im Pannenfall erreichen.
Erinnerungen

Ratlose Reisende

Zwei jugendliche Reisende aus dem Morgenland irren ratlos über den verwaisten Bahnsteig. Sie suchen Auskunft, die es leider nicht gibt: Der Schalter ist am Wochenende geschlossen. Ich kann mich gut in sie hineinversetzen und erinnere mich an eine Reise mit meiner Frau vor vielen Jahren durch Ägypten, damals, als man dieses Land noch auf eigene Faust per Drahtesel und Eisenbahn erkunden konnte. In Assuan stiegen wir in einen wartenden Zug in der Meinung, er würde uns nach Kairo bringen. Er tat das auch, allerdings mit einem Umweg über den Rangierbahnhof von Wadi Halfa, wo die Waggons längere Zeit im Dunkeln abgestellt blieben. Draußen patrouillierten Maschinengewehr-bewaffnete Soldaten. Wir verbrachten unangenehme Augenblicke, bevor die Garnitur endlich wieder nach Assuan zurückrollte, um die Reise nach Kairo zu beginnen …

So kann es einem ergehen in einem fremden Land mit einer Sprache, die man nicht versteht, und einer Schrift, die man nicht lesen kann … und ganz besonders dann, wenn auf der großen Info-Tafel am Bahnsteig falsche Angaben stehen: Bus de substitution, Direction Gouvy, Départ Gare routière … Nun, es fährt kein Ersatzbus nach Gouvy. Dieser Halt wird von dem Express nach Lüttich mitbedient …

Derweil macht sich vor dem Bahnhof eine geisterhafte Busflotte auf den Weg. Sie soll eigentlich die Anschlussreisenden aus Luxemburg-Stadt in die umliegenden Dörfer verteilen. Leider ist ihr Fahrplan nicht an die veränderten, längeren Zeiten der Ersatzbusse Ettelbrück-Ulflingen angepasst worden. Die Verbindung erreicht den Bahnhof erst, nachdem ihr Anschluss bereits seit zehn Minuten abgefahren ist. Für die Passagiere bedeutet das eine Wartezeit von beinahe einer Stunde auf den nächsten Anschluss. Als ambulantes Beispiel schlechter Koordinierung rollen die Busse sinnlos durch die Gegend.

Durchbrochene Kette

Der öffentliche Transport funktioniert als zusammenhängende Kette von Umsteigeverbindungen. Selbst eine kleine Veränderung in diesem System, wie der Ersatz von Zügen durch langsamere Busse, unterbricht diese Kette. Die Kunden verlieren gleich zweimal: Sie sind länger in den Ersatzbussen unterwegs und verpassen an den Umsteigepunkten („pôles d’échanges“) auch noch ihre Anschlüsse.

Dieses Ärgernis vervielfältigt sich dann für all jene, deren Ziel nicht Luxemburg-Stadt heißt, sondern die in eine andere Gegend des Landes wollen: Von Esch nach Wiltz, von Clerf nach Wasserbillig, von Düdelingen nach Capellen … Mit etwas Pech berührt ihre Route noch eine zweite oder dritte Streckensperrung. Tatsächlich muss man ein Organisationstalent sein, um seine Reise nicht gerade an einem jener 125 Tage im Jahr anzutreten, an denen irgendwo im CFL-Netz wieder eine Sperrung wegen eines „Chantier“ angesagt ist. Immerhin bleibt der schwache Trost, dass die Bahn die übrigen 240 Tage voll funktionsfähig ist: Eine sehr ernüchternde Feststellung!

Traurige Hitparade

Die Nordstrecke führt diese traurige Hitparade an und wird im Jahr 2019 an 82 Tagen auf Teilabschnitten gesperrt sein, gefolgt von den Verbindungen nach Trier (59 Tage) und Bettemburg (38 Tage). Über Bettemburg sind Diedenhofen, Metz und Nancy genauso abgehängt wie Esch, Schifflingen und Düdelingen. Stark betroffen sind ebenfalls die neuen CFL-Durchmesserlinien 10-60 (Rodange-Ulflingen), 30-60 (Wasserbillig-Rodange) und 10-70 (Mersch-Longwy).

Sonntag, 16. Juni: Mit dem Ersatzbus um 11.15 Uhr von Ulflingen nach Ettelbrück und wieder zurück … In Ulflingen verladen zwei junge Damen ihre Velos in den Bus. Sie sind in Etappen von Aachen über den Venn-Radweg gekommen und setzen in Ettelbrück ihre Pedaltour nach Petingen fort. Zwei Fahrräder passen gerade noch so in den Bus hinein, für mehr, oder für Reisende mit Kinderwagen, Rollstühlen oder großen Koffern, wäre kein Platz mehr. Die beiden Damen haben Glück: Der Bus ist beinahe leer, und das ändert sich auch nicht in Clerf, dem einzigen Zwischenhalt. An der Monsterbaustelle der Industriezone Fridhaff, blutende Wunde in der Natur und Monument einer widersprüchlichen Landesplanung, erreichen wir pünktlich Ettelbrück.

Ein CFL-Bediensteter empfängt die Reisenden dort am provisorischen Bussteig und gibt Auskunft über die nächsten Anschlüsse nach Luxemburg. In seiner orangefarbenen Sicherheitsweste mit der Aufschrift „Informations Clients“ ist er nicht zu übersehen: Eine sympathische und kundenfreundliche Maßnahme der CFL! Doch beim besten Willen können die Anlagen in Ettelbrück nicht als angenehm oder umsteigefreundlich bezeichnet werden, ganz davon abgesehen, dass sie abgrundtief hässlich und lieblos sind. Und von Reisen während Streckensperrungen in Großbritannien weiß ich, dass es auch bessere Lösungen gibt: Dann steht Bahnpersonal an den Umsteigepunkten bereit und hilft den Passagieren, schwere oder sperrige Gegenstände zu transportieren und zu verladen.

Der Bahnhof Ettelbrück ist gegenwärtig eine riesige Baustelle, ein Wirrwarr von Absperrungen, Zäunen, provisorisch verlegten Gleisen, offen liegenden Unterführungen, Behelfsbahnsteigen. Dass der regelmäßige Zugbetrieb inmitten dieses Chaos überhaupt noch fahrplanmäßig und weitgehend zuverlässig abgewickelt werden kann, ist eine logistische Meisterleistung, für die der CFL Lob und Respekt gebührt.

Corporate-Speak

„Stets bemüht, die Unannehmlichkeiten für ihre Kunden so gering wie möglich zu halten“, wie das in bestem Corporate-Speak so schön heißt, setzt die CFL während der Bauarbeiten gleich vier direkte Buslinien ein. Sie verbinden Ettelbrück mit Wiltz, Kautenbach, Drauffelt und Ulflingen und verkehren am Wochenende im Stundentakt, an Werktagen alle 30 Minuten. Dafür werden am Wochenende mindestens zehn Fahrzeuge benötigt und an Werktagen mehr als 20, und das von 4.00 Uhr morgens bis nach Mitternacht – eine äußerst kostenintensive Lösung.

Und wenn im Sommer zwischen Mitte August und Mitte September gleichzeitig zwei Strecken (Bettemburg-Luxemburg und Ulflingen-Ettelbrück) während drei Wochen stillgelegt sind und wieder Charterbusse pendeln, vervielfältigt sich dieser Aufwand ganz erheblich: Die Kosten für diese „mesures de substitution“ genannten Maßnahmen gehen im Rahmen des „contrat de service public“ zulasten der CFL. Ein Bonanza für die privaten Busunternehmen, die ihre Fahrzeuge und Personal ja nicht gratis zur Verfügung stellen und die als Mitbewerber und Konkurrenten der CFL ebenfalls im öffentlichen Transportmarkt tätig sind?

Tagelang kein Zug

Und was an Wochenenden vielleicht noch mit dem Reiz des Ungewohnten entschädigt, artet an Werktagen für Pendler zu einem Martyrium aus. Der Arbeitsweg verlängert sich erheblich – und das ganz besonders für jene, die auf Zubringerbusse von und zum nächsten Bahnhof angewiesen sind. Aus verständlichen Gründen greifen viele dann wieder auf ihr Auto zurück oder verschieben ihr Reiseprojekt.

Dabei sind Totalsperrungen von Eisenbahnstrecken wegen „Chantiers“ eigentlich ein neues Phänomen. Einst, als die Bahn für den Güterverkehr von und zu den Schmelzen lebenswichtig war und internationale Fernzüge das Land durchquerten, wurden Gleisarbeiten anders abgewickelt und der Zugbetrieb lief weiter, wenn auch vielleicht mit eingeschränktem Fahrplan. Dass Züge tagelang gar nicht fuhren, war undenkbar.

Als Laie stelle ich mir die Frage, weshalb das jetzt anders gehandhabt wird – trotz Fortschritt und modernster Technik. Liegt es daran, dass die CFL diese Arbeiten gemäß den Vorschriften des Gesetzes zur Vergabe von öffentlichen Ausschreibungen an spezialisierte Unternehmen vergibt – von denen es nur eine Handvoll in Europa gibt –, ein „Outsourcing“ also, und über nicht mehr genügend eigenes Fachpersonal verfügt? Tatsache allerdings ist auch, dass die Zugfolge auf einigen Strecken zu dicht geworden ist, um überhaupt noch routinemäßige Wartungen bei laufendem Betrieb durchführen zu können.

Ein Dilemma

Die CFL befindet sich in einem schwer zu lösenden Dilemma: Das Eisenbahnnetz ist jahrzehntelang von der Politik als Auslaufmodell betrachtet und vernachlässigt worden. Nur die notwendigsten Arbeiten wurden in dieser Optik des „managed declines“ (kontrollierten Rückbaus) noch verrichtet.

In der Zwischenzeit haben sich die Voraussetzungen grundlegend geändert: Verkehrskollaps und Nachhaltigkeit erzwingen einen neuen Ansatz und andere transportpolitische Akzente. Die Zahl der Reisenden und der Taktfrequenzen (Zugfolge) ist in den letzten zehn Jahren dramatisch gestiegen und überfordern die Kapazitäten eines vor mehr als 150 Jahren für andere Aufgaben konzipierten Eisenbahnnetzes. Die CFL befindet sich gleichzeitig in einer Aufholjagd und einer Zwickmühle. Die Praxis der zeitweiligen Streckensperrungen bietet die beste und einfachste Lösung, die Arbeiten so schnell wie möglich durchzuführen. Das ist auch im Interesse des Kunden.

Die andere Alternative wäre, die Modernisierung über einen längeren Zeitraum zu strecken, mit nicht enden wollenden Baustellen und Einschränkungen. Licht in den Pendlertunnel bringt vielleicht ein Blick auf die Linie 70 (Luxemburg-Petingen), auf der es seit Abschluss der umfassenden Modernisierung jetzt nur noch wenige Sperrungen gibt. Die CFL sollte dies besser kommunizieren. Denn irgendwann wird der Geduldsvorrat der reisenden Kundschaft angesichts dieses Baustellenblues erschöpft sein und diese dann möglicherweise dauerhaft auf andere Alternativen umgestiegen sein. Auch aus einem strategischen Blickwinkel betrachtet sind die Streckensperrungen ein zweischneidiges Schwert. Denn langfristig stellen sie den Nutzen des Systems Eisenbahn infrage.

de Bop
26. Juni 2019 - 17.54

Die Bahn rennt der Entwicklung immer hinterher! Das waren noch Zeiten, mit dem " Feierwon ". Sind leider längst vorbei.

marc wollwert
24. Juni 2019 - 22.13

wie im artikel richtig beschrieben waeren diese zustaende zu zeiten eines florierenden,also wichtigen schienengueterverkehrs nicht durchsetzbar gewesen.wuerden die eliten das personenzugangebot intensiv nutzen wuerde es diese zustaende auch nicht geben.aber die heutigen zugbenutzer haben keine lobby mehr.im fazit kann man sagen dass das klassische system eisenbahn fuer den personenverkehr in luxemburg,zumindest im sueden,ungeeignet ist weil es unmengen an oeffentlichen geldern verschlingt die nur einige privatunternehmen reich machen.und falls die arbeiten jemals abgeschlossen sein werden wird alles wieder von vorne beginnen weil die betriebsanforderungen schon wieder ueberholt sein werden.nur eins ist sicher:der rubel wird weiter in die richtigen taschen fliessen.

Dingo
24. Juni 2019 - 19.10

Aber in Puncto Windmühlen haben Sie uns nicht vergessen, damit sind wir reichlich gesegnet.

de Schéifermisch
24. Juni 2019 - 16.03

Bald wird wohl der Norden des Landes, unser schönes Ösling, hermetisch vom Rest des Grossherzogtums abgeriegelt werden. Der Anfang ist bereits gemacht! Aufgepasst, dass der " Knëppelkrich " nicht wieder aufflackert. Und nicht zu Unrecht.

es fährt kein Zug...
24. Juni 2019 - 15.52

...nach nirgendwo, und wenn dann ist der Anschluss ? weg, und die zuständige Obrigkeit hat Immer eine Ausrede bereit. Und nimmst du dann mal das Auto weil du irgendwann Nachhause willst, dann hetzt dieselbe Obrigkeit dir ihre Wegelagerer hinterher.

Sehr vielen Jahre schon...
24. Juni 2019 - 14.31

...fährt Wochenends, in den Schulferien oder Feiertags auf der Bahnlinie 10 nichts. Ob Schobermesse, oder sonst ein Fest, während der Freien sowie an Wochenenden kommt niemand in die Stadt, oder ins Ösling zum Wandern. Komisch nur das während der Octav eine Ausnahme gemacht wird. Und trau sich bloß keiner mit dem Auto, das wollen die anselber Stelle zuständigen auch nicht!

titi
24. Juni 2019 - 14.02

Sommerzeit, Touristenzeit! Die Strassen werden aufgerissen, instandgesetzt, Umleitungen für die sowieso schon gestressten Autofahrer, und dann noch Züge die nicht fahren oder aussteigen, umsteigen, im Bus gut durchegerüttelt werden und dann erneut aussteigen und umsteigen. Aber wer will sich beschweren, der öffentliche Transport ist ja gratis oder jedenfalls bald.