„Den Europaspielen einen Sinn geben“: Marc Theisen ist Mitglied der Koordinationskommission

„Den Europaspielen einen Sinn geben“: Marc Theisen ist Mitglied der Koordinationskommission

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Der ehemalige COSL-Präsident und Anwalt Marc Theisen ist Mitglied der Koordinationskommission der Europaspiele von Minsk. Der 64-Jährige weiß, dass das 2015 neu geschaffene Multisport-Event noch lange nicht perfekt läuft. Weder sportlich noch finanziell. Für Theisen besitzen die European Games aber eine Zukunft – vielleicht sogar in Luxemburg.

Tageblatt: Die European-Games-Gesellschaft hat seit 2013 ihren Sitz in Luxemburg. Was sind die Gründe dafür?

Marc Theisen: Dafür gibt es zwei Gründe. Einer ist, dass das EOC (Europäisches Olympisches Komitee, d.Red.) damals Rom verlassen wollte. Brüssel, Lausanne und Luxemburg kamen als neuer Standort infrage. Ich habe mich damals im EOC-Rat dafür eingesetzt und auch die Unterstützung des damaligen Sportministers Romain Schneider bekommen. Die Italiener zeigten zu dem Zeitpunkt wenig Interesse; als sie jedoch erfuhren, dass das EOC wegziehen könnte, haben sie wieder Anstrengungen unternommen. Die „European Games Asbl.“ wurde aber trotzdem in Luxemburg angemeldet. Zypern war auch ein Kandidat für den Sitz. Heute können wir froh sein, dass sie diesen nicht bekommen haben, denn kurz nach der Gründung der Gesellschaft sind in Zypern die Banken zusammengebrochen und dann wäre all unser Geld weg gewesen.

Und was ist die zweite Ursache?

Diese hat einen finanziellen Hintergrund. Die eingetragenen Vereine sowie die Sportverbände müssen in Luxemburg keine Steuern zahlen. In anderen Ländern ist das anders. Dort fallen bei Merchandising und Werbeeinnahmen Steuern an. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die European Games in Zukunft in Rom angemeldet werden. Die Koordination zwischen dem IOC und dieser Gesellschaft wird dadurch vereinfacht.

Und wie kamen Sie in die „Coordination Commission“ der European Games?

Den ersten Fuß hatte ich drin, weil der Sitz eben hier in Luxemburg ist und ich das Ganze beaufsichtigen sollte. Zudem bin ich Jurist und es gab auch keinen anderen Kandidaten, der sich mit Sportrecht auskennt.

Was sind Ihre Aufgaben?

Es geht in der Kommission darum, einen Ausrichter der Spiele zu finden. Danach schauen wir uns vor Ort um, treffen uns mit dem Sportminister und anderen verantwortlichen Personen. Die Kommission ist die Verbindung zwischen den lokalen Organisatoren, dem EOC und den Verbänden. Zudem kommt uns eine kritische Rolle zu. Wir müssen darauf achten, dass die Ausgaben nicht zu hoch sind und die Einnahmen stimmen. Baku 2015 hat beispielsweise die Rechte an den Spielen für 25 Millionen Euro gekauft. Weißrussland hat uns diesmal keinen Cent gegeben. Sie wollten nur Organisator sein. Das ist ein zweischneidiges Schwert. Wenn es zum Defizit kommt, muss dieser geteilt werden. Das ist nicht ideal, wurde aber so gestimmt.

Was kostet die Veranstaltung der European Games?

Die Spiele in Baku haben anscheinend mit rund vier Milliarden Euro zu Buche geschlagen. Das konnte uns aber egal sein, weil wir die Rechte ja verkauft hatten. Diesmal ist das Ganze intransparenter. Wir wissen nicht genau, was es kostet und welche Einnahmen dabei rauskommen können. Das ist risikoreich und ich habe immer Bedenken, wenn man keinen Einblick hat. Weißrussland hat uns jedoch mehrmals versichert, dass es zu keinen finanziellen Problemen kommen wird. Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob wir nachher wissen, ob die Europaspiele Profit gemacht haben. Der Vertrag an sich ist transparent, die Umsetzung aber nicht.

Verhindert es das politische System Weißrusslands, dass mit Zahlen transparent umgegangen wird?

Ich denke schon. Das sieht man bereits am Entscheidungsprozess. Sachen, die bei uns auf drei Ebenen ablaufen, laufen in Weißrussland auf zehn Ebenen ab. Ein Chef einer Abteilung hat immer noch drei Chefs über sich und deshalb zieht sich eine Entscheidung oft sehr lange hin. Das hat mit Sicherheit seinen Ursprung im politischen System des Landes. Aber wir hatten keine große Wahl. Nachdem Amsterdam abgesprungen ist, mussten wir uns schnell entscheiden – und Minsk war der einzige Kandidat und hat zudem gute Sportinfrastruktur.

Welchen Einfluss haben diese Spiele auf die Finanzen der European-Games-Gesellschaft?

Nach den Spielen in Minsk haben wir voraussichtlich nicht mehr genug Geld, um die nächste Ausgabe zu decken. Wir zahlen Transporte und stellen Preisgelder zur Verfügung. Insgesamt sind das zwischen zehn und elf Millionen Euro. In der Kasse sind nach den Spielen nur noch rund sechs bis sieben Millionen Euro. Es fehlt also fast die Hälfte. Einnahmen können nur durch einen Domino-Effekt zustande kommen. Durch gute Athleten kommen mehr Zuschauer und dadurch wird die Veranstaltung attraktiver für die Sponsoren und TV-Anstalten. Internationale Sponsoren gibt es in diesem Jahr nicht. Die Spiele in Minsk werden ausschließlich durch nationale Geldgeber finanziert.

Nach Baku 2015 wurden die Spiele reduziert, diesmal werden weniger Sportarten angeboten. Ist das eine erste Niederlage für die European Games?

Nein, das würde ich nicht sagen. Manchmal sieht man zu Beginn zu groß. Wenn man das jedoch erkannt hat, kann man Veränderungen vornehmen. Baku wollte ein Event organisieren, das an die Olympischen Spiele erinnert. Minsk hat sofort gesagt, dass man dazu nicht in der Lage ist, und wollte daher, dass diese Spiele kleiner ausfallen. Auch verschiedene Verbände wollten die Wettbewerbe etwas reduzieren. Künftig müssen die Qualität und die Quantität der Wettbewerbe gestrafft werden, um die Zukunft der European Games zu garantieren.

Ein großes Manko der Spiele ist, dass die sogenannten Core-Sportarten wie Leichtathletik oder Schwimmen teilweise oder ganz fehlen …

Die ersten European Games kamen zu früh. Besser wäre es gewesen, erst 2017 die Premiere zu feiern. Das hätte uns die Möglichkeit gegeben, uns besser an den Wettkampfplan der Schwimmer oder Leichtathleten anzupassen. Damals wurde den Spielen eine schlechte Basis gegeben und wir haben diese Core-Sportarten teilweise ausgeschlossen. Die Nachwehen bekommen wir noch heute zu spüren. Mittelfristig müssen diese Sportarten mit ins Boot genommen werden. Aber jeder Anfang ist schwer. Die Panamerika- und Asien-Spiele waren auch nicht von Anfang an von Erfolg gekrönt. Heute sind das Organisations-Maschinen, denen es gelingt, viele Zuschauer anzulocken. Es ist eine positive Idee, an der aber noch sehr viel gearbeitet werden muss. Wir müssen den Spielen einen Sinn geben, einen roten Faden.

Wie kann dieser aussehen?

Für kleinere Nationen sind diese Spiele bereits sehr interessant, weil sich die Sportler auf einem internationalen Niveau messen können. Aber die Qualität muss noch einmal gehoben werden. Es müssen noch mehr Quotenplätze für die Olympischen Spiele angeboten werden. Dadurch kommen dann auch die Top-Athleten. Eine andere Möglichkeit wäre, die Privatveranstalter von Sportevents mit ins Boot zu nehmen. Das entspricht zwar nicht dem Olympischen Gedanken, aber manchmal muss man einfach neue Wege gehen, damit eine Veranstaltung an Attraktivität gewinnt. Insgesamt muss es zu einem Umdenken kommen. Aktuell wird auf einem Amateur-Level organisiert. Beim IOC ist beispielsweise nur eine Person zuständig für die European Games. Dabei bräuchte man eine ganze Mannschaft.

In der Vergangenheit hat es immer wieder Probleme bei der Suche nach einem Organisator gegeben. Warum?

Krakau wird die Spiele 2023 organisieren und wollte die Spiele unbedingt. Die westlichen Länder sehen in den European Games zu viel Arbeit für zu wenig Ertrag. Es kann auch für Großregionen eine Chance sein, mal ein Turnier zu organisieren. Warum sollte es nicht möglich sein, dass Wallonien, Südholland, Rheinland-Pfalz und Luxemburg gemeinsam die Europaspiele organisieren?

Die Diktatoren llham Aliyev aus Aserbaidschan und Aleksandr Lukaschenko aus Weißrussland nutzten bisher die European Games, um ihr Image aufzupolieren. Ist das umgekehrt nicht auch imageschädigend für die Europaspiele?

Vor einigen Tagen habe ich eine Einladung der Handelskammer in Luxemburg bekommen, um an einer „Journée d’opportunités d’affaires“ in Weißrussland teilzunehmen. Daran stört sich aber kein Mensch. Es geht nicht um Ausschluss, sondern darum, Alternativen zu finden. Wir müssen es hinbekommen, dass Veranstaltungen in Ländern stattfinden können, in denen die Werte, die uns wichtig sind, vertreten und Menschenrechte respektiert werden.


110 Millionen Euro

Das Budget für die Organisation der European Games soll laut verschiedenen Medienberichten bei rund 110 Millionen Euro liegen. Die weißrussischen Veranstalter waren zu Beginn von 50 bis 60 Millionen Euro ausgegangen. Die Spiele 2015 in Baku hatten rund vier Milliarden Euro gekostet. Im Gegensatz zu Baku musste Minsk jedoch keine neue Sportinfrastruktur bauen und verzichtete auf Prunk- und Prestigebauten. Viel Geld hat allerdings die Eröffnungszeremonie am Freitag verschlungen. Allein elf Millionen Euro wurden in die dreistündige Show investiert. Zum Vergleich: Die Eröffnungszeremonie der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro 2016 hatte rund 20 Millionen Euro gekostet.