Das Experten-Interview: „Wenn Italien seinen Haushalt durchzieht, wird es auch für die EU gefährlich“

Das Experten-Interview: „Wenn Italien seinen Haushalt durchzieht, wird es auch für die EU gefährlich“
"Wenn die Italiener sich Schaden zufügen wollen, dann bleibt das kein lokales Phänomen", meint Juergen B. Donges zum Haushaltsplan von Luigi Di Maio, Giuseppe Conte und Matteo Salvini [v.l.n.r.]

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Der Kölner Professor für Wirtschaftspolitik Juergen B. Donges gehörte von 1992 bis 2002 dem sogenannten Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung an. Dieses auch als die Fünf Wirtschaftsweisen bekannte Gremium berät die deutsche Regierung in Wirtschaftsfragen. Am Rande eines Vortragsabends sprachen wir mit Juergen B. Donges über die Stabilität der Eurozone und die Vertiefung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion. 

Tageblatt: Wie stabil ist die Eurozone derzeit?

Juergen B. Donges hält nichts von einem Budget oder einem Finanzminister für den Euroraum

Juergen B. Donges: Sie ist stabiler, als sie es vor zehn Jahren war, als die große Krise mit Griechenland begann. Seitdem ist die institutionelle Architektur der europäischen Währungsunion gestärkt worden. Wir haben den Europäischen Stabilitätsmechanismus und die europäische Bankenunion auf den Weg gebracht, auch wenn da noch einiges fehlt. Die Europäische Zentralbank ist als Retter aufgetreten. Und die einzelnen Mitgliedsländer haben dann doch, wenn auch mit Schwierigkeiten, versucht, ihre hohen Haushaltsdefizite unter Kontrolle zu bringen. In diesem Jahr werden wir zum ersten Mal kein Land mehr im Defizitverfahren haben. Was nicht so schön ist: Die Staatsschulden sind immer noch sehr hoch in einer ganzen Reihe von Ländern.

Also alles in Ordnung?

Alles in allem würde ich sagen, die Währungsunion ist stabiler, aber sie ist nicht stabil genug. Wenn es wieder zu einer Krise kommt, und irgendwann gibt es wieder eine Krise, dann muss man wirklich richtig resistent sein. Und da muss noch einiges geschehen.

Was muss denn getan werden, um den Euroraum krisenfester zu machen?

Es werden zwei Modelle diskutiert: eines von der Europäischen Kommission, das von einigen Regierungen geteilt wird und auf eine Fiskalunion hinausläuft. Die Fiskalpolitik ist ganz entscheidend, denn läuft diese aus dem Ruder, dann läuft alles aus dem Ruder. Das Problem mit diesem Modell ist, dass wir das eigentlich nicht implementieren können, weil es bedeutet, dass die einzelnen Mitgliedsländer auf ihre Königsdisziplin, nämlich das Haushaltsrecht, verzichten. Und ich sehe kein einziges Land, das dazu bereit ist. Ich bin kein Anhänger von diesem Modell.

Sondern?

Die andere Option ist, dass wir die Länder stärker in die Eigenverantwortung nehmen. Mit dem Maastricht-Vertrag haben wir einige wichtige Regeln gesetzt. Die Bindungswirkung war bisher nicht stark. Die Kommission hat in keinem einzigen Fall ein Sanktionsverfahren durchgeführt. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wurde einmal gefragt, warum er so viel Nachsicht mit Frankreich zeige, das dauernd die Defizitregeln verletzte. Da war seine entwaffnende Antwort: „Weil es Frankreich ist“. Das geht natürlich nicht, weil andere Länder das zum Vorwand nehmen, auch die Regeln zu verletzen.

Was wäre Ihr Vorschlag?

Ich wünsche mir, dass man die Länder stärker in die Eigenverantwortung nimmt. In der Wirtschaft gibt es den Grundsatz von Kompetenz und Haftung. Das möchte ich auch in der Politik angewandt wissen, doch die will davon nichts hören. Deshalb brauchen wir eine stärkere Überwachung der Haushaltspolitik. Aber nicht durch die Europäische Kommission, denn die steht immer wieder unter politischem Druck. Es sollte eine unabhängige Behörde sein. Für mich bietet sich der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) an. Der ist politisch unabhängig. Der könnte dafür sorgen, dass die Länder ihre Aufgaben machen, und wenn nicht, dass sie dann sanktioniert werden und dafür bezahlen.

Ist es nicht widersinnig, einem Land, das ohnehin viele Schulden hat, Geldstrafen aufzuerlegen?

Das Ziel ist ja nicht, die Länder zu bestrafen, sondern dass die Regierungen selber einen Anreiz haben, es erst gar nicht so weit kommen zu lassen. Es sollen keine Sanktionen gezahlt werden.

Ich bin ein Anhänger der Automatik. Über die Sanktionen bestimmen die Finanzminister. Da entscheiden Sünder über ihre eigenen Sünden. Das geht nicht. Wenn eine unabhängige Behörde feststellt, Land X hat ein zu hohes Haushaltsdefizit, dann wird auf den Knopf gedrückt und die Sanktion ist fällig. Wenn etwas automatisch passiert, dann passen die Leute auf. Das ist wie im Straßenverkehr mit dem Radar.

Ist es nicht fahrlässig, die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion weiter hinauszuschieben?

Fahrlässig würde ich nicht sagen. Wenn man die Währungsunion vertieft, muss man es sehr sorgfältig machen. Am Beispiel der europäischen Einlagensicherung in der Bankenunion, die wir brauchen: Bevor wir das einführen, müssen wir das Problem der Altlasten lösen. Die Einlagensicherung ist wie eine Risikoversicherung. Wenn sie eine solche abschließen, wird die Versicherung keinen Schaden der Vergangenheit abdecken. Es wäre kontraproduktiv, die Einlagensicherung einzuführen, und viele Banken, die da mitmachen, hätten noch viele faule Kredite. Es ist nicht solidarisch, wenn Länder, die ein fragiles Bankensystem haben, anderen Ländern in die Tasche langen wollen.
Bevor wir die Einlagensicherung einführen, müssen wir zweitens lernen, dass Staatsanleihen ein Risiko haben. Denn spätestens seit der Griechenland-Krise wissen wir, dass sie doch mit Risiken behaftet sein können. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass die Banken auch für Staatsanleihen Eigenkapital vorhalten.

Reicht das?

Wir brauchen auch eine Insolvenzordnung für Staaten. Für Unternehmen kennen wir das. Bei Griechenland haben wir gesehen, wie schwierig es ist, Lösungen zu finden. Wir müssen ein Regelwerk aufstellen, wie man verfährt, wenn ein Staat in eine Krise gerät. Es geht darum, Wege aufzuzeigen, damit es in einer Krise nicht wieder zu einem politischen Hickhack kommt. Wenn ein Land sich für insolvent erklärt, sollte eine Kommission zusammenkommen, die dann überlegt, was getan werden soll, mit dem Haushalt, mit dem Arbeitsmarkt, usw. Wichtig aber ist, dass von vornherein klar ist, dass die Gläubiger mit von der Partie sind.

Das heißt, im Falle Griechenlands hätten die deutschen Banken kein Geld mehr zurückbekommen?

Nein.

Was halten Sie von einem europäischen Finanzminister?

Dazu müsste erst einmal die Bereitschaft der Parlamente bestehen, das zu machen. Die sehe ich nicht. Doch es gibt auch eine Reihe praktischer Probleme: Wer ernennt diesen Finanzminister, wer kontrolliert ihn demokratisch? Hat er die Möglichkeit, wirklich in die Haushaltspolitik der Länder einzugreifen? Für mich ergibt ein EU-Finanzminister nur Sinn, wenn ich eine europäische politische Union habe. In einem Konstrukt, in der es eine Union und souveräne Staaten gibt, halte ich das für sehr schwierig. Diesen Finanzminister würde ich schon gar nicht bei der EU-Kommission ansiedeln.

Braucht die Eurozone ein eigenes Budget, oder, wie es Jean-Claude Juncker vorgeschlagen hat, eine Budgetlinie im EU-Haushalt?

Nein, da bin ich absolut dagegen. Das brauchen wir nicht. Das ist die Europäische Kommission, immer wieder neue Geldtöpfe … Warum brauchen wir das nicht? Wenn wir die Länder so weit haben, dass sie eine solide Haushaltspolitik machen und den Haushalt über einen Konjunkturzyklus ausgeglichen haben, dann bedeutet das, dass wenn eine Rezession kommt, man nur die sogenannten automatischen Stabilisatoren wirken lassen muss. Bei einem ausgeglichenen Haushalt kann man ein Defizit hinnehmen, da ist dann Spielraum genug. Wenn wir wieder Geldtöpfe einführen, beginnt in den Hauptstädten das Spielchen: Soll doch Brüssel das Problem lösen.

Beunruhigt Sie, was gerade in Italien haushaltspolitisch vor sich geht?

Das macht mir große Sorgen. Es war ja bekannt, dass diese beiden Parteien nicht an den Fiskalregeln interessiert sind. Wenn die Italiener sich Schaden zufügen wollen, dann bleibt das kein lokales Phänomen, wenn die Wirtschaft weniger wächst. Das hat einen Ansteckungseffekt, die Finanzmärkte werden nervös und dann kann auch die EZB nicht mehr viel tun. Wenn es zu einem Konflikt kommen sollte mit der Kommission, dann erwarte ich, dass die Finanzmärkte sofort die Risikoprämien erhöhen. Dann haben wir ein echtes Problem. Das wird gefährlich.

Der niedrige Zinssatz, ist der gut für die ganze Währungsunion oder nur für Italien?

Der niedrige Zinssatz ist für niemanden gut, auch nicht für Italien. Es ist ein abnormal niedriger Zinssatz, da es nicht der „richtige“ Zins ist, der zur Konjunktur und zur Inflation passt. Er müsste bei 2,5 Prozent liegen, ist aber bei null. Der niedrige Zins ist nicht gut, da der Zinsmechanismus keine Lenkungsfunktion mehr hat. Das Kapital wird in unproduktive Verwendungen gelenkt. Der Zinsmechanismus jedoch hat die Aufgabe, das Kapital in produktive Verwendungen zu lenken, d.h. den Unternehmer dazu zu zwingen, ein genaues Kalkül zu machen, ob sich eine Investition lohnt oder nicht. Wenn aber alles zum Nulltarif zu haben ist, wird dieses Kalkül nicht angestellt. Dass man in einer Krise Zinsen senken muss, ist klar. Es hat aber keinen Sinn, jetzt einen niedrigeren Zinssatz zu haben als in den Krisenjahren.

Ist es richtig, wenn der EU-Kommissionspräsident darauf drängt, noch weitere Staaten in die Eurozone aufzunehmen?

Da bin ich absolut dagegen. Ich fand auch die jetzige Eurozone, als sie gegründet wurde, zu groß. Ein Gebilde mit einer gemeinsamen Währung und souveränen Staaten kann nur wirklich funktionieren, wenn die realwirtschaftlichen Bedingungen mehr oder weniger die gleichen sind. Das wurde nicht gemacht, bis hinunter nach Griechenland. Die Idee, die einige hatten, dass sich in der europäischen Währungsunion eine realwirtschaftliche Konvergenz einstellen würde, hat sich nicht erfüllt. Wenn jetzt Länder kommen sollen, die weiter hinter der wirtschaftlichen Entwicklung der Euroländer liegen, wie soll man das in den Griff bekommen? Das wird nicht funktionieren. Bei Griechenland haben wir das deutlich gesehen.