Das Erbe von Angela Merkel: Die Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz im Überblick

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Am Freitag wählt die CDU einen neuen Parteivorsitzenden. Angela Merkel hat beschlossen, sich nach 18 Jahren zurückzuziehen. Die drei Kandidaten im Überblick. 

Von unseren Korrespondenten Werner Kolhoff und Hagen Strauß

Annegret Kramp-Karrenbauer 

Ihr größtes Handicap ist Annegret Kramp-Karrenbauer in den letzten Wochen nie losgeworden: dass sie eine enge Vertraute von Kanzlerin Angela Merkel ist, die „die Annegret“ sogar duzt. Merkel machte die Saarländerin zur Generalsekretärin, um sie als ihre Nachfolgerin aufzubauen, das ist ein offenes Geheimnis. Das Problem: Viele in der Partei wollen sich von der Überkanzlerin emanzipieren. Und sie in der Flüchtlings- politik sogar korrigieren. Merkel-Getreue sind gerade nicht besonders in. AKK hat sich mit zwei Strategien aus dem Dilemma zu retten versucht. Zum einen hat sie gar nicht bestritten, dass sie Merkel viel verdankt. „Ich werde mich auch nicht künstlich von ihr abgrenzen.“ Das sei eine Frage der „Haltung“.

Zum anderen setzte sie gerade in der Flüchtlingspolitik trotzdem eigene Akzente. Schließlich war sie die erste weibliche Innenministerin eines Bundeslandes in Deutschland. Also redete sie oft über das Vollzugsdefizit bei Abschiebungen, das gelöst werden müsse. Und gab sich als Hardlinerin, bis hin zu dem Vorschlag, kriminelle Asylbewerber sogar wieder nach Syrien zu schicken. Selbst Horst Seehofer (CSU) ging da nicht mit. Im Frühjahr werde sie in der Partei bei einem Werkstattgespräch über die Flüchtlingspolitik diskutieren lassen, auch über mögliche Fehler, versprach sie. Man solle das nicht so lang mit sich herumschleppen „wie die SPD Hartz IV“.

Außer vielleicht im heimischen Idar-Oberstein ist Kramp-Karrenbauer nie als Siegerin aus den acht Regionalkonferenzen hervorgegangen. Spahn und vor allem Merz können besser reden. Dafür hat die 56-Jährige versucht, eher die subtilen Punkte zu setzen. Zum Beispiel mit ihren stetigen Hinweisen darauf, dass sie ihre Wahlen bisher alle gewonnen hat, zuletzt die so wichtige im Frühjahr 2017, als sie im Saarland den scheinbar unaufhaltsamen Schulz-Zug stoppte. Und dass sie langjährige Regierungserfahrung hat. Beides können ihre Kontrahenten nicht vorweisen.

Zudem betont die noch amtierende Generalsekretärin immer wieder, wie sehr sie die Partei kennt und wie sehr diese in ihr verankert ist. Oft erzählt sie von der „Zuhör“-Tour, die sie im Sommer unternommen hat. Ihre Botschaft: Mit ihr als Vorsitzender kann die Basis weiter mitreden. Die offene Unterstützung der Frauen-Union hat sie, überwiegend auch die des Sozialflügels. Die Ministerpräsidenten Daniel Günther (Schleswig-Holstein) und Tobias Hans (Saarland) sprachen sich für sie aus und in Umfragen lag sie unter den CDU-Anhängern meist vor ihren Mitbewerbern.

Vielleicht weil sie das Versprechen gab, dass es mit ihr als Parteivorsitzende keine großen Friktionen und auch keine vorgezogenen Neuwahlen geben werde. „Meine Aufgabe als Parteivorsitzende wird es sein, mit dafür zu sorgen, dass diese Regierung mit Angela Merkel bis zum Ende der Legislaturperiode ihre Arbeit machen kann.“ AKK, ein modifiziertes „Weiter so“. Das ist ihre Stärke – und zugleich ihr größter Angriffspunkt.

Friedrich Merz

Friedrich Merz hat seit dem Start des Bewerberrennens als Einziger der drei wirklich schwere Fehler gemacht – und seine Kandidatur gleichzeitig trotzdem stabilisieren können. Dieses Paradoxon lässt sich nur damit erklären, dass seine Anhänger in- und außerhalb der CDU ihm sehr viel durchgehen lassen, weil sie ihn als Hoffnungsträger sehen. Merz ist eine Projektionsfläche, vor allem für die konservativen Sehnsüchte in der Union.

Dass er nur zögernd sein Millioneneinkommen zugab und sich dann auch noch als „gehobene Mittelschicht“ einordnete, zog dem 63-jährigen Rechtsanwalt und Selfmade-Manager den Spott vor allem der Linken und in den Medien zu. Es war zudem einigermaßen unprofessionell und wies auf seine lange Auszeit aus der Politik hin, dass er sich auf diese Frage offenbar nicht vorbereitet hatte. Innerparteilich ist seine Einkommensklasse aber weniger problematisch. Hier hat man allerdings Angst, dass in den vielen Wirtschaftsaktivitäten der letzten 14 Jahre Skandale lauern könnten, die mit Merz dann die ganze CDU ins Gerede bringen würden. Insbesondere beim Anlagefonds Blackrock, für den Merz arbeitet, ist man sich nicht sicher, was da lauert.

Merz gilt nicht gerade als Teamplayer; seine Versuche, sich auf den Regionalkonferenzen als solcher zu stilisieren, wirkten sehr gekünstelt. In der CDU fürchten auch nach den acht Auftritten viele, mit ihm als Parteichef werde der erreichte Stand der parteiinternen Mitbestimmung noch unter das Niveau Merkel fallen, und schon da war es knapp über Normalnull. Als Beispiel gilt sein kurzzeitiger Vorstoß gegen das Asylrecht, angeblich ein Missverständnis. Oder sein Vorschlag, die private Altersversorgung über eine steuerliche Besserstellung von Aktienbesitz zu stärken, der bei den Sozialpolitikern nicht gerade gut ankam. Das alles erinnerte zudem an den alten neoliberalen Merz aus der Jahrtausendwende. Nicht beseitigen konnte Merz zudem die Angst, dass eine Arbeitsteilung zwischen ihm als Parteichef und Kanzlerin Merkel nicht lange funktionieren werde. Neuwahlen aber wollen zum Beispiel viele CDU-Bundestagsabgeordnete um jeden Preis vermeiden. Und von denen sind etliche Delegierte.

Einerseits. Andererseits hat Merz mächtige und lautstarke Unterstützer. Allen voran Wolfgang Schäuble, den populären Wolfgang Bosbach und EU-Kommissar Günther Oettinger. Überhaupt die Südwest-CDU und den Wirtschaftsflügel. Außerdem war der Sauerländer bei den Regionalkonferenzen der Einzige, der die Säle wirklich packen konnte. Er ist eine Mischung aus Klartextredner und Macher, vor allem in der Migrationsfrage. Ein Mann mit Charisma, Erfahrung und Autorität. Das begeisterte viele. Merz, schrieben selbst linke Kritiker wie Peter Grottian, verbreitet „die Aura der überlegenen Urteilskraft“ und der Entscheidungsstärke. Er ist der Anti-Merkel schlechthin. Damit trifft er die verbreitete Sehnsucht nach neuer konservativer Identität. Er verspricht aus Sicht vieler Parteimitglieder am glaubhaftesten, die AfD wieder kleinzukriegen. Ein ideales „Schlachtross“ für den Wahlkampf. Aber auch ein Integrator und Motivator der Partei?

Jens Spahn

Die Frage ist Jens Spahn zuletzt häufig gestellt worden: „Warum geben Sie nicht auf?“ Für jemanden, der vor 20 Jahren in der Abizeitung als Berufswunsch „Bundeskanzler“ angegeben hat, ist aufgeben keine Option. Trotzdem hat Spahn die Frage immer brav beantwortet: Er gebe nichts auf Umfragen, denn entscheiden würden die 1.001 Delegierten auf dem Parteitag. „Das Rennen ist offen.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ob Spahn tatsächlich noch an ein „Wunder von Hamburg“ glaubt, sei dahingestellt. Aber der 38-Jährige ist ein Kämpfer. Er kann einen Saal rocken. Bei den acht Regionalkonferenzen hat der Gesundheitsminister als einziger der drei Anwärter immer frei auf der Bühne gestanden und gesprochen; er hat sich nicht hinter das Rednerpult geklammert. So sollte der „#Neustart“, für den Spahn vor allem mit peppigen Videos auf Youtube und Twitter warb, für die Basis erlebbar sein. Spahn hat meist als Erster die Stimmungen hinter den Fragen gewittert und mit einfachen Sätzen darauf reagiert. Das hat ihm viel Applaus eingebracht. Gerade beim Thema Flüchtlinge und Sicherheit. Nur einer lag beim Beifall oft vor ihm: Friedrich Merz.

Dessen Kandidatur hat Spahn kalt erwischt. Aus dem von ihm erhofften Zweikampf mit Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer, der Merkel-Vertrauten, wurde überraschend ein Dreikampf. Bis zur Merz-Kandidatur galt Spahn als Hoffnungsträger der Konservativen, des Wirtschaftsflügels und der Jungen in der CDU. Denn Spahn hatte Angela Merkel ein ums andere Mal in der Zuwanderungsfrage Paroli geboten, zuletzt beim UN-Migrationspakt. Er werde als Erstes nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden in die AfD-Hochburgen gehen, „um möglichst viele Bürger für die CDU zurückzugewinnen“, so Spahn kess. Wenn es mal so einfach wäre.

Doch kaum war Merz auf der Bühne, wendeten sich fast alle Unterstützer ab. Merz schien ihnen dann doch die sicherere Bank dafür zu sein, dass die Union wieder so wird, wie sie mal war: mit klarem Kurs und den alten Markenkernen. Die Zahl derer, die sich nun noch öffentlich zu Spahn bekennen, ist überschaubar geworden. Sogar Wolfgang Schäuble, ein Förderer Spahns, hat sich auf die Seite von Friedrich Merz geschlagen.

Spahn will eine andere CDU. Eine, in der die Debatte wieder großgeschrieben wird. „Viele Mitglieder haben die letzten Jahre als bleiern empfunden, weil wichtige Fragen nicht richtig ausdiskutiert wurden“, betonte er. Was anfänglich wie ein frischer Wind daherkam, entpuppte sich freilich im Laufe der Bewerbung als Manko. Viele fragten Spahn nach seiner eigenen Haltung, wie beim Migrationspakt, ja oder nein? Die Antwort blieb aus. Womit sich die Frage nach den Führungsqualitäten stellte. Nun heißt es, Spahn sei noch jung. Er habe noch Zeit. Für jemanden wie ihn ist das allerdings nur ein schwacher Trost.