Das Anti-Kaczynski-Begräbnis: Trauer, Tränen und kämpferische Töne bei Adamowicz-Beisetzung

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Als über Danzig laut und drohend die Sirenen ertönen, strömen aus allen Richtungen noch immer Tauende zusammen. Viele tragen die rote Stadtfahne mit dem schwarzen Trauerflor mit sich, polnische Flaggen sind dagegen kaum zu sehen. Die Danziger wollen auf dem historischen „Langen Markt“ in der Innenstadt zumindest vor einem der dort aufgestellten Großbildschirme dem Begräbnis-Gottesdienst für ihren vor Wochenfrist ermordeten Oberbürgermeister Pawel Adamowicz beiwohnen.

Von unserem Korrespondenten Paul Flückiger, Danzig

Viele wischen sich eine Träne aus den Augen, als der zelebrierende Danziger Erzbischof Slawoj Leszek Glodz an Adamowiczs Einsatz für Freiheit und Solidarität und seine Hilfe für Flüchtlinge aus Osteuropa und Syrien erinnert. Auch am sechsten Tag nach der schauerlichen Mordtat ist die Betroffenheit noch immer mit Händen zu greifen. „Der Hass ist schuld, die vergiftete politische Stimmung hat diesen Mord herbeigeführt“, erklärt ein bärtiger Student im Gespräch. Die meisten Trauernden enthalten sich jedoch klarer Schuldzuweisungen, denn die Trauerfamilie hatte sich ein unpolitisches Begräbnis gewünscht.

Dieses fand in der Marien-Kathedrale statt und jeder, der früh genug da war, konnte daran teilnehmen. Einladungen seien bewusst keine ausgestellt worden, hieß es dazu im Rathaus, denn auch für Adamowicz seien alle Bürger gleich gewesen.

VIPs hatten sich dennoch angekündigt. Neben vier Ex-Präsidenten, darunter Lech Walesa, und dem ehemaligen deutschen Bundespräsidenten Joachim Gauck nimmt auch der EU-Ratsvorsitzende Donald Tusk, wie Adamowicz ein Einheimischer, teil. Auch die rechtsnationale Kaczynski-Regierung will sich eine späte Ehrerweisung nicht entgehen lassen. Dies mutet umso seltsamer an, als sie Adamowicz seit ihrer Machtübernahme im Herbst 2015, wo immer sie konnte, auch juristisch zugesetzt und ihn politisch total geschnitten hatte. Am Samstag aber reisten Premier Mateusz Morawiecki, ein Vizepremier und der Gesundheitsminister wie auch der eng mit der PiS verbundene Staatspräsident Andrzej Duda nach Danzig. Dem Begräbnis ostentativ fern blieb allerdings Jaroslaw Kaczynski, Polens starker Mann.

Adamowicz war am vergangenen Sonntagabend auf einer Freiluftbühne bei einer von der Regierung als oppositionell eingestuften Spendenveranstaltung niedergestochen worden. Nach der Bluttat veranstaltete der 27-jährige Mörder einen Freudentanz und gab der liberalen Bürgerplattform (PO) die Schuld für seine Mordtat. „Die PO hat mich ins Gefängnis geworfen und gefoltert, deshalb musste Adamowicz sterben“, schrie er in ein an sich gerissenes Mikrofon.

Die Ermordung des Danziger Stadtpräsidenten hat die seit über zehn Jahren bitter verfeindeten politischen Eliten in Polen in den letzten Tagen etwas zur Besinnung gebracht. Denn die Bluttat hatte die Polen zutiefst erschüttert. Im ganzen Land wurden Dutzende von Schweigemärschen gegen Hass und Gewalt veranstaltet.

Im Herbst sind Wahlen, da wird mitgetrauert

Teile der liberalen Opposition werfen der Regierung jedoch vor, angesichts der großen Betroffenheit im Lande nur zum Schein nun wieder Kreide zu fressen. Die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) wolle ihre Chancen bei den Parlamentswahlen vom Herbst nicht unnötig senken, deshalb trete sie nun plötzlich gegen jenen politischen Hass auf, den sie zuvor selbst angefacht habe, hieß es.

Am Danziger Begräbnis-Gottesdienst forderten gleich mehrere Redner, darunter Bischof Glodz und die Ehefrau des Ermordeten, eine Überwindung des politischen Hasses in Polen. „Dieser Hass tötet unsere Vaterlandsliebe“, ermahnte Glodz. Minutenlanges Klatschen in der Kathedrale erntete jedoch jener geistliche Freund des Ermordeten, der den Mitschuldigen unmissverständlich benannte: „Wer seine politische Karriere auf Lügen aufbaut, darf keine wichtige Rolle in diesem Land spielen“, sagte Pater Ludwik Wisnewski – und jeder wusste, dass die Rede von Kaczynski war, der 2015 die Wahlen mit der Behauptung gewonnen hatte, Polen drohe eine Flüchtlingswelle und der Danziger Freiheitsheld Lech Walesa sein ein kommunistischer Geheimdienst-IM gewesen. Kaczynskis Premier und Staatspräsident Duda schauten derweil betreten auf den vor dem Altar drapierten Sarg.

Ob damit der politische Hass wirklich überwunden werden kann, muss sich erst zeigen. Während sich Regierungsvertreter gestern eher zurückhaltend gaben, ging das Gezeter in den rechtsnationalen, regierungsfreundlichen Onlineportalen wieder los, als sei niemand gerade Opfer solcher Hassreden geworden.

Allerdings gossen auch liberale Hitzköpfe gleich wieder Öl ins Feuer. Im Mai stehen die Europa- und im Herbst dann die entscheidenden Parlamentswahlen an. In der Woche des Mordes an Adamowicz führte die Kaczynski-Partei in den Umfragen ungebrochen mit 39 Prozent so gut wie bereits seit Monaten. Die oppositionelle PO lag mit 22 Prozent abgeschlagen auf dem zweiten Platz und die Bauernpartei PSL, die einzige politische Kraft in Polen, die nicht polarisiert, lag bei schlechten sechs Prozent. Ein schwerer Dämpfer für alle, die auf einen raschen Neuanfang gehofft hatten.