Charles Muller, der scheidende Direktor des Escher Theaters: „Events sind die kulturelle Geißel unserer Zeit“

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Die Programmvorstellung der Saison 2018/19 nutzte der scheidende Direktor Charles Muller zu einer „Abschiedsrede“ der besonderen Art und sagte offen, wo der Schuh des Theaters drückt.

14 Jahre lang stand Charles Muller an der Spitze des Escher Theaterhauses, eine Zeit, in der das Schauspielhaus viele große Momente aufzuweisen hatte. Er wollte keine klassische Abschiedsrede halten, sondern lediglich seine letzte als Direktor des Theaters. Nur Menschen änderten sich, das Theater überdauere, sinnierte er. Es war ein Rückblick auf seine Tätigkeit, gespickt mit einigen Wahrheiten über die Kultur- und insbesondere die Theaterszene.

Doch als Erstes teilte er gegen die Presse aus. Den anwesenden Journalisten sagte er, sie würden vergeblich auf pikante Details aus dem Innenleben des Theaters warten. Das verbiete eine Klausel in seinem Arbeitsvertrag.

Als er 2004 den Direktorposten in Esch übernahm, habe er nicht gewusst, in welches Minenfeld er sich begeben würde. „Sehr schnell erfuhr ich, dass das Théâtre d’Esch auch ein Kulturzentrum, ein Konferenzraum, ein von Amateurtruppen begehrter Ort, eine Mischung aus professionellen, semiprofessionellen und ehrenamtlichen Strukturen, ein heterogener Gemeinschaftsbasar ist. Ich erkannte auch sehr schnell, dass jeder ethische Ansatz zur professionellen künstlerischen Gestaltung, wie ich ihn im Ausland gelernt hatte, ein hochsensibles Minenfeld war.“

Ein Grund für das bunt zusammengewürfelte Programm damals sei auch die Verwirrung, was die Bedeutung der Begriffe Kunst und Kultur betreffe. „Kultur umfasst neben Kunst und Literatur auch Lebensstile, grundlegende Menschenrechte, Wertesysteme, Traditionen und Überzeugungen. Kultur gibt dem Menschen die Fähigkeit, über sich selbst nachzudenken.“

Als er sich um den Posten des Direktors damals bewarb, habe er gewusst, dass er an der Spitze eines Hause stehen würde, das abseits des europäischen Theatergeschehens stand, und dass er Pionierarbeit leisten müsste, um es auf der europäischen Landkarte zu positionieren, meinte Müller nicht ohne Stolz. Er betonte aber ausdrücklich, dass er das ohne jegliche Bitterkeit sage.

Pioniergeist

Und Pionierarbeit hat Muller in der Tat geleistet; die Resultate davon können sich zeigen lassen. Große Schauspielhäuser geben sich heute mit ihren Produktionen in Esch die Klinke in die Hand. Und wenn nur etwas über die Zeit von Charles Muller im kollektiven Luxemburger Theatergedächtnis bleiben sollte, dann wird es bestimmt die langwährende Kooperation mit dem rumänischen Nationaltheater Radu Stancu in Sibiu sein. Die Kooperation begann 2007, als Luxemburg und Sibiu gemeinsam Kulturhauptstadt Europas waren.

Drei Schwierigkeiten hätten eine größere Anzahl wichtiger Kreationen im Théâtre d’Esch verhindert. Ein kleines Budget, das seit 14 Jahren nahezu unverändert geblieben sei, ein großes Misstrauen gegenüber dem einheimischen Schaffen der Aborigines und vor allem das Manko an qualifiziertem Personal in der Verwaltung des Theaters, insbesondere in der Öffentlichkeitsarbeit und in der Produktion.

„Events, die kulturelle Geißel unserer Zeit“

Dann erboste sich Muller gegen den immer stärker werdenden Drang zum Event. „Events sind die kulturelle Geißel unserer Zeit. Ein Event suggeriert das Außergewöhnliche, das nie Gesehene, das Außergewöhnliche.“ Events würden die tägliche Arbeit der Theaterprofis banalisieren. „Ein Theater muss nachhaltig arbeiten“, unterstrich Müller.

Ein Event hingegen würde nur die dringendsten kulturellen Bedürfnisse befriedigen und sei nicht auf Dauer angelegt. Und mit einem Seitenhieb auf die politischen Verantwortlichen meinte er, Politiker und Künstler dächten in unterschiedlichen Zeitmodi: die einen in Wahlperioden und die anderen in viel längeren Zeitspannen. Zu der Polemik um „Esch 2022“ sagte Muller, obwohl er an den zwei Kulturhauptstätten 1995 und 2007 aktiv beteiligt war, sei er nie um seine Meinung gefragt worden, und aus diesem Grund würde er auch heute nichts dazu sagen.

Abschließen tat er seine Rede mit einem Rat an die politischen Verantwortlichen: Das Escher Theater solle in ein öffentlich-rechtliche Anstalt umgewandelt werden, mit einem richtigen Verwaltungsrat. Das würde eine größere künstlerische Autonomie garantieren.