Café Bovary: Wo Wörter das Sagen haben

Café Bovary: Wo Wörter das Sagen haben

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Das Jahresende steht für Bilanz und gute Vorsätze. Lili Fouet hat diesen Anlass damals nicht gebraucht, um ihr Leben umzukrempeln. Sie lässt ein gutes Einkommen und den bis dahin sicheren Job hinter sich und macht endlich das, was ihr Spaß macht. Seitdem gibt es das „Bovary“.

„Café am Duerf“ steht immer noch draußen an der Hauswand. Bekannt ist die Location aber als „Café littéraire Bovary“. Zwischen den Neubauten in Weimerskirch wirkt das Haus mit den bunt zusammengewürfelten Stühlen und Tischen und den vielen Pflanzen auf der Terrasse wie aus der Zeit gefallen. Das Interieur bestätigt den Eindruck. Jeder Stuhl ist anders und hat wahrscheinlich eine Geschichte zu erzählen, genauso wie die Tische oder das Besteck. Die Einrichtung des „Bovary“ verweigert sich konsequent jeglichem Standard und den visuellen Gewohnheiten der Einheitlichkeit. So etwas schafft nur jemand, der genauso durch das Leben geht. Heute ist das für Lili Fouet authentisch, lange hat sie anders gelebt.

Wie der von vielen anderen orientiert ihr Werdegang sich zunächst am „Normalen“ – oder dem, was darunter verstanden wird. Die gebürtige Französin kommt im Alter von vier Jahren nach Luxemburg und lebt bei ihrer Großmutter. Schon damals sind Bücher und Geschichten ihr Leben, die trostspendende Rettung vor der Realität. „Die Wörter haben mir geholfen, das Leben irgendwie zu meistern“, sagt sie. Im Fernstudium, für eine andere Form des Studiums fehlt das Geld, macht sie einen Abschluss als Juristin. Sie muss sich alles selbst finanzieren, arbeitet als Buchhalterin. Auf eine Karriere als selbstständige Anwältin verzichtet sie und steigt sofort ins Berufsleben ein. Eine Bank stellt sie als Direktionsassistentin ein, schon wenig später handelt sie in der „Salle de marchés“ mit Bonds. „Eigentlich habe ich alles das gemacht, was ich nie wollte“, sagt sie. Sie verdient gut, hat eine gute Position.

Kaum ein Platz ohne ein Buch

Verantwortungsvolle Positionen scheinen ihr zuzufliegen. Sie hat etwas, was andere nicht haben. Sie spürt sofort, was ihr Gegenüber will, und weiß, was zu tun ist. Das ist die eine Seite.

Die andere ist die rebellische. Sie stellt Fragen, die unangenehm auffallen, zweifelt bestehende Regeln gerne an. Ein Test bringt es ans Tageslicht: Sie gehört zu den Hochsensiblen. Das bringt auch Probleme mit sich. Die Fragen enden nicht vor ihr selbst. Irgendwann kompensieren die als kleine Fluchten getarnten Reisen über das Wochenende, das x-te Kleid oder andere teure Unternehmungen das Gefühl nicht mehr, am falschen Platz zu sein. Es sind aus heutiger Sicht ihre „verlorenen Jahre“, in denen sie dem Leben nur zugeschaut hat. Fouet steigt aus, wirft von einem Tag auf den anderen alles hin. Da ist sie 40 Jahre alt.

Im „Bovary“ ist es schwierig, einen Platz ohne ein Buch zu finden. In den wandhohen Regalen reihen sich Klassiker wie Balzac, Rousseau und natürlich auch Flauberts „Madame Bovary“ Buchrücken an Buchrücken. Und selbst auf den Tischen stapeln sich moderne Romane oder Reiseführer in alle Welt. Manche sind antiquarisch käuflich zu erwerben, wenn deren Besitzerin sich davon trennen kann. „Ein Buch zu verkaufen, ist immer schmerzhaft für mich“, sagt Lili. Das alles hat nichts mehr mit der Umgebung zu tun, in der sie sich früher bewegt hat. Die nüchterne, konkurrenzgeprägte Geschäftsatmosphäre ist einer literarisch geprägten gewichen, die ohne Worte eine Einladung zum Gespräch ausspricht. Im „Bovary“ sitzt man wie im Wohnzimmer eines seelenverwandten, weil literaturbegeisterten Freundes.

Einmalige Atmosphäre, andersartiger Austausch

Die Gäste lieben die einmalige Atmosphäre, den andersartigen Austausch. Schon im zweiten Jahr kann Lili davon leben und hat sogar fünf Stellen geschaffen. Ihre Mitarbeiter werden nicht „nach Mindestlohn“ bezahlt, wie sie betont. Vielleicht ist das so, weil es erst einmal nicht ums Geld ging, sondern um etwas anderes. „Ich wollte eine Atmosphäre schaffen, die einen anderen Austausch zwischen Menschen möglich macht als sonst“, sagt Fouet. Dafür hat sie hart gearbeitet. Das war auch in ihrem „anderen“ Leben so und doch gibt es einen Unterschied. „Wenn man etwas gerne macht, dann zählen die Stunden nicht“, sagt sie. „Das ist das Schönste, was es gibt im Leben.“ Das „Bovary“ ist mittlerweile eine Institution, in der die Gäste nur zu gerne Platz nehmen.

Die Gespräche über Literatur oder über das Leben kommen in der intimen Atmosphäre ganz von selbst auf. Das Café-Restaurant trotzt stilsicher dem Zahn der Zeit. Der Gegenentwurf ist ein Erlebnis.

 

Marc
5. Januar 2018 - 8.34

Genau so ist Lily und das Bovary! Toller Artikel, typisch Wiebke Trapp ?

GMD
2. Januar 2018 - 18.49

@ Horace - de ganzen Artikel liesen, an da schreiwen wann et dann nach néideg ass

Horace
2. Januar 2018 - 17.40

Schéi Geschicht. Ech ginn hir 6 Méint.

Judd mat Gaardebounen
2. Januar 2018 - 6.48

Schöne Geschichte. Viel Wiedererkennungswert.