„Bonsai“: Saeul ist die kleinste Gemeinde Luxemburgs

„Bonsai“: Saeul ist die kleinste Gemeinde Luxemburgs

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Saeul ist ein beschauliches Dorf. Kühe, Wiesen, Wald und liebevoll erhaltene alte Bauernhöfe wechseln sich ab – ländliche Idylle pur. So soll es auch bleiben. Überschaubar, solidarisch, jeder kennt jeden, weitgehend autonom. Drei Mal hat die aktuell 799 Einwohner zählende Gemeinde eine Fusion mit Nachbarn abgelehnt. Ein Dorfspaziergang mit Bürgermeister Raoul Clausse bringt interessante Innenansichten.

Von Wiebke Trapp (Text) und Didier Sylvestre (Fotos)

Der Spaziergang durch Saeul beginnt mit der Entdeckung, dass der Bürgermeister kein eigenes Büro im Rathaus hat. Die Gemeinde samt Verwaltung residiert im ehemaligen Pfarrhaus, hat personell aufgestockt und seitdem muss sich der „Chef“ einen Platz suchen, wenn er da ist. Da hilft auch der imaginäre Heiligenschein nicht. Der, wie er sagt, „parteilos glückliche“ Bürgermeister hat einiges bewegt im Dorf. Trotzdem ist ihm Interesse an seiner Person eher unangenehm. Der mit großer Mehrheit letztes Jahr wiedergewählte Volksvertreter findet, das Dorf sei wesentlich schöner als sein Bürgermeister. Und interessanter schon gleich sowieso.

Der kürzlich verstorbene Grünenpolitiker Camille Gira hat den Spitznamen „Bonsai-Dorf“ geprägt: Saeul ist die kleinste Gemeinde Luxemburgs. Die aktuelle Einwohnerzahl von 799 ist keine „Schnapszahl“, wie der Rathauschef mit dem ihm eigenen Humor fürs Protokoll festhält, sondern die Realität. Er hat die Zahl auch deshalb so genau im Kopf, weil der achthundertste Einwohner gebührend gefeiert wird. Sollte er kommen. Der geltende „Plan d’aménagement général (PAG)“ sieht auf lange Sicht Platz für 1.200 Menschen vor.

Umstrittener Stolz

Die nächste Station ist der Stolz der Gemeinde, der neue Schulkomplex samt Festsaal. Das Projekt war umstritten, der Weg bis zum Status quo steinig. Einflussreiche Familien des Dorfes machten das „droit rurale“ geltend und optierten heftig gegen die Pläne. Honoré de Balzac hat diese kulturellen „Codes“ in Romanen wie „Les paysans“ Mitte des 19. Jahrhunderts fein beobachtet und beschrieben.

Der französische Klassiker kommt dem pensionierten Französischlehrer ebenso leicht über die Lippen wie Details zum Dorf. Ein Referendum schafft 2011 schließlich Fakten und ein dreistündiger Infoabend bringt das Vertrauen. Danach ist der Weg frei, gemeindeeigenes Gelände zu verkaufen und mit den rund drei Millionen Euro das Bauvorhaben anzuschieben.

Rund sieben Millionen kosten schlussendlich die Renovierung des alten Rathauses und die Umwidmung zur „Maison relais“ und „Crèche“ sowie des alten Festsaals. Letzterer fungiert gleichzeitig als Sporthalle und hat eine neue Küche bekommen. Ein Anbau an gleicher Stelle beherbergt die Grundschule. 60 Kinder werden dort unterrichtet, Platz ist für 120.

Der Schulhof mit Blick auf die ländliche Idylle lädt zu einer Pause ein. Ein Gemeindearbeiter schaut vorbei, großes „Hallo“ mit Handschlag. Hier kennt jeder jeden, was Clausse gleich zur Bürde des Amtes führt. Er managt keine Großstadt wie Lydie Polfer, sondern eine kleine Gemeinde. Ohnmachtsanfälle, Schlägereien, Brände, Streitereien unter Vereinen … Er ist der Erste, der davon erfährt und hinzugerufen wird. Selbstverständlich.

Das ist der Alltag, eine „große“ Mission gibt es auch. „Ich versuche, dazu beizutragen, diese kleine Gemeinschaft in einer Welt zu erhalten, in der die Zusammenhänge immer größer und vor allem unüberschaubarer werden“, sagt der Bürgermeister.

Seit 40 Jahren „Zugezogener“

Dazu gehört, die gebürtigen Saeuler mit den „Bäigeprafften“, den Zugezogenen, zusammenzuführen und ihnen eine lebenswerte Zukunft zu bieten. Clausse ist selbst ein „Zugezogener“ und stammt aus Grevenmacher. Vor 40 Jahren entdeckte er das leerstehende Bauernhaus, in dem er immer noch lebt, und renovierte es selbst. Das Gefühl, neu im Ort zu sein und teilweise argwöhnisch beäugt zu werden, kennt er nur zu gut.

Der nächste Halt ist „Ben“. Laut grunzend schwingt er seine zahlreichen Kilos durchs Gehege, wenn sein Name am Zaun ertönt. Das Bentheimer Schwein liebt es, gekrault zu werden. Es gehört Clausse und ersetzt die Schafe, die er mal gehalten und aus Zeitgründen abgeschafft hat. Neben Ben gibt es noch Schweinedame Kicki. Clausse, der Freizeit-Bauer, hätte gerne Nachwuchs von den beiden. Aber offensichtlich hat „Ben“ derzeit andere Interessen … Sorgen wie diese kennen andere Viehbauern auch.

In der Kirche ist es schön kühl. Der romanische Bau wurde irgendwann im Laufe der Geschichte von seiner barocken Verkleidung befreit und glänzt in einfacher Schönheit. Dem Sakralbau eilt eine gewisse Berühmtheit voraus, weil es äußerlich und natürlich im Miniaturformat Ähnlichkeiten mit der Basilika von Echternach gibt. Im Kirchenschiff wechseln sich eckige mit runden Säulen ab – auch das eine Parallele zur Abteistadt.

Auf einer der Bänke sitzend, den Altar im Blick, lässt es sich gut philosophieren. Über das Dorfleben, andere französische Klassiker wie Albert Camus oder Gustave Flaubert und die Suche nach einem Platz im Leben. Clausse ist in zweiter Ehe mit einem „Boat-People“-Flüchtling, der nach Luxemburg kam, verheiratet und Vater von insgesamt sechs Kindern.

Bewusst gegen den Trend

Die kleine Gemeinde schwimmt bewusst gegen den Trend. Während rundherum „geheiratet“, sprich fusioniert wird und das ministerielle Ziel bei 50-60 Gemeinden statt 102 liegt, hat Saeul sich stets geziert. Das Dorf verfügt mit Post- und Bankstation, Tankstelle mit Supermarkt, drei Restaurants und einem Bäcker über eine vergleichsweise gute Infrastruktur.

Zur Realität gehört aber auch: „Ohne das Syndikat des Réidener Kantons wäre eine Eigenständigkeit viel, viel schwieriger“, sagt Clausse. Saeul hat damit einen starken Partner im Rücken und profitiert von den gemeinsam geschaffenen Errungenschaften für die Bürger.

Vielleicht war es deshalb vergleichsweise einfach, Beckerich, Useldingen und Böwingen/Attert abblitzen zu lassen. Und in der Zukunft? „Noch hat Dan Kersch uns keine neue Braut vorgestellt“, lacht Clausse und schwört nach wie vor auf Ruhe an der Beziehungsfront.

 

Frank Goebel
10. Juli 2018 - 13.30

Danke für den Hinweis. wir haben das entsprechend angepasst. - Ihre Redaktion

Torsten
10. Juli 2018 - 11.14

Richtig, denn schon alleine in der Gemeinde Saeul gibt es mit Calmus, Schwebach, Kapweiler und Ehner 4 Dörfer die kleiner sind, als der Hauptort Saeul.

Clemi
10. Juli 2018 - 10.04

"Die kleinste gemeinde" wäre wohl der richtige titel