Bild-Gewalten: Eine Ausstellung zwischen barocker Allegorie und rotzigem Punk

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Der Kayler Marc Pierrard stellt derzeit in der „Valerius art gallery“ aus. Eindrücke einer Solo-Ausstellung und ein Gespräch über Malerei und Musik, politisches Engagement, die Übersättigung der Bilder im digitalen Zeitalter und das Aufsässige im Schaffen des Autodidakten.

Von Alasdair Reinert

Ansatzlos und schnell spricht Marc Pierrard, kaum hat man sich zum Gespräch in einer Kneipe unweit der Galerie von Gérard Valerius begrüßt. Hat man sich vorher die imposanten Tableaus und schrulligen Skulpturen seiner Einzelausstellung eingeprägt, scheint dieser Wortfluss untrennbar mit der schieren Produktivität und Komplexität seines Werkes verbunden. Einer Komplexität, die keineswegs aufdringlich oder gar elitär rüberkommt, sondern spielerisch gekonnt – und die immer mit leicht verschrobenem Witz aufzufassen ist. Sie ist der Ausdruck eines lösungsorientierten Autodidakten, der schon mehrmals hierzulande durch die Vielfalt der Techniken und Kunstformen sowie einer anregenden und gesellschaftskritischen Haltung aufgefallen ist.

Nach der Musik sei die Malerei seine zweite Liebe, gesteht er offen. Obwohl Pierrard Kennern der hiesigen alternativen Musikszene aus seiner Zeit mit der Hardcore-Band dEFDUMp bekannt sein dürfte, überrascht diese Aussage, denn er ist mindestens genauso bekannt für seine Installationen und Performances, die technikübergreifend sind. So fließen unweigerlich Ansätze seiner musikalischen Vergangenheit und des Band-Alltags, insofern man sie als alltäglich bezeichnen kann, in seine Bildwelten. Seine Kunst hat dieses Aufsässige jedenfalls keineswegs verloren.

Über den eigenen Tellerrand blicken

Dabei erschließen sich in der Malerei, die schon oft totgesagt worden ist, neue Gestaltungsmöglichkeiten. Auf die zugegebenerweise etwas müde Frage nach der Symbiose zwischen beruflichem Alltag als Schullehrer und künstlerischer Tätigkeit angesprochen, erwidert er, dass sie eben keinen Gegensatz darstelle, sondern Berufung (Grundschullehrer und neuerdings Leiter eines schulischen Projekts im Rahmen von „Esch 2022“) und Leidenschaft (Bild, Performance, Skulptur, Installationen, Videokunst) ziemlich nahtlos ineinander überlaufen würden.

So nahtlos, dass er schon mal Schulklassen in Kunstprojekte mit einbezogen hat und sogar seine Tochter zum ergänzenden Pinselstrich an die unfertigen Leinwände, die über mehrere Wochen entstehen, heranlässt. Dem unwissenden Betrachter mögen so mancher Dinosaurier, Strichmännchen, grobe Verwischung oder Comicfigur als kindisch-naive, doch sehr reizvolle Ergänzung daherkommen.

Die Schulferien nutzt Pierrard, um im heimischen Atelier Kunst zu erschaffen, wobei er die Inspiration allgegenwärtig, zum Beispiel in seiner ständig erweiterten Kunstbuchsammlung, vorfindet. Offen gibt er zu, alle Ölfarben, Pinsel, Sprays und Untergründe einmal besitzen zu wollen, da sie immer neuere Kombinationsmöglichkeiten hergeben würden. Sein Leitfaden bestehe darin, über den in Luxemburg sprichwörtlich gerne geäußerten, jedoch selten darüber hinaus geschauten Tellerrand zu blicken, die ihm unbekannten Techniken erst frei zu ergründen und sie dann selbst in seinen Werken voll auszuloten.

Weg vom „sans titre“

Obwohl er sich während unseres Treffens nicht offen politisch äußert, so spiegeln sich Kapitalismuskritik, die Dualität Mensch-Tier, das unausweichliche Abfalldatum jeglichen Seins, die Suche nach der eigenen und gesellschaftlichen Identität, die Zerstörung des Menschen und der Klimawandel in den Titeln der Exponate wider. Eigentlich eine willkommene Kehrtwende zu den sonst so allgegenwärtigen und nicht immer adäquaten „sans titres“.

Pierrard erklärt, dass die Übersättigung der Bilder des digitalen Zeitalters, die Zuflucht in immer engeren Nischen der Kunstsparten, die drängende Frage nach dem Sinn des politischen Aufstands und der Dringlichkeit des aktiven Handels ihn anregen.

Gleich am Eingang sticht das mittelgroße Format mit dem Titel „with our silence we vote for continuation“ hervor, welches sich zum einen durch schöne Maserung der Ölfarbe, vor allem aber durch die gewählte Thematik auszeichnet. Unter stiller Zustimmung wohnt eine Figur einer Folterszene bei, die sein Bildinsasse an einem unglücklichen Subjekt ausübt.

Im Kellerraum erwarten den Besucher ähnlich spannende Gemälde: „Autobiography of a nation“ ist eine Art Verbildlichung des homo oeconomicus, in der unser Premierminister einer gottähnlichen Gestalt zu huldigen scheint, „Global Warming“ eine anthropomorphische, im wahrsten Sinne verstellte Skulptur, und bei „Todays Empire, tomorrow’s ashes“ handelt es sich um einen Bilddruck, in dem die Sprengkraft der Globalisierung sowie das Zerlegen einer maroden Zivilisation sarkastisch verewigt zu sein scheinen.

Anarchie

Überhaupt kommen einem die meisten Figuren in Pierrards Bildern als Bewohner einer Szenerie vor, die ihr Schicksal mit gleichgültiger Miene annehmen, im stillen Zusammenleben mit ausgestellten Tieren wie in Gunther von Hagens Körperwelten. So entsteht eine Spannung, die sich aus dem mysteriösen Verschleiern der angewandten Technik und der sehr unmittelbaren Sprachgewalt ergibt. Eine viszerale Empfindung, die dadurch verstärkt wird, dass die Werke wegen der zum Teil riesigen Formate ohne Keilrahmen direkt an der Wand hängen.

Die Leinwände sind reine Träger eines wie eingefrorenen Erbrechens aus blumenverzierten Unterhosen, Fäkalien, Waffen, und Figuren der populären Kultur und des Fernsehens. Die Vielschichtigkeit der Hintergründe ergibt zusammen mit den Collage-artigen Kompositionen ein wahres Palimpsest, eine allegorische Zusammenhäufung sich bekriegender und harmonierenden Gestalten, die als Gesamtkunstwerke paradoxerweise Sinn ergeben.

In Zeiten der digitalen Allmachtstellung einzelner Großkonzerne und aufkeimenden reaktionären Ideologien fungieren Pierrards Werke nach längerer Begutachtung als treffliches Spiegelbild einer Anarchie, die jeder politischen und neoliberalen Substruktur unweigerlich innewohnt. Insofern Bilder noch zu bewegen vermögen, ist dieses Kabinett der Kuriositäten dringlich sehenswert.