Betrifft nicht nur Luxemburg: Im Fall Junior Moraes steht ein historischer Entscheid an

Betrifft nicht nur Luxemburg: Im Fall Junior Moraes steht ein historischer Entscheid an
Junior Moraes (r.) hätte wohl am liebsten gegen Luxemburg nicht auf dem Platz gestanden

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Heute (18.6.) wird bei der UEFA in Nyon die Berufung der FLF im Fall Junior Moraes verhandelt. In einem Gastbeitrag für das Tageblatt sagt Maître Marc Theisen, dass das Urteil von höchster Brisanz sein wird und in die Rechtsgeschichte eingehen wird.

Gastbeitrag von Maître Marc Theisen*

FLF hofft auf die FIFA

Die Berufung des Urteils in der „Affäre Junior Moraes“ wird am heutigen Dienstag, 18.6., ab 10 Uhr im UEFA-Sitz in Nyon von der Disziplinarkommission verhandelt.

Der luxemburgische Fußballverband FLF ist durch die Anwälte Marc Diederich und Jean-Jacques Schonckert vertreten. Auch der portugiesische (FPF) und der ukrainische Verband (FFU) werden heute gehört.

FLF-Präsident Paul Philipp hofft auf Unterstützung des Weltverbandes: „Laut meinen Informationen soll ein FIFA-Mann vor Ort sein. Das wäre eigentlich nicht schlecht für uns, denn es geht um Statuten, die von der FIFA aus einem bestimmten Grund geändert wurden. Ich erwarte mir trotzdem nicht zu viel, dann kann ich auch nicht enttäuscht werden. Wenn die Ukraine wieder recht bekommt, dann wird die Welt für uns nicht untergehen, aber es geht in diesem Fall um das Prinzip.“

Das Urteil wird frühestens in sieben bis zehn Tagen fallen. Bekommen die FLF und FPF in dieser Sache recht, wird dies Konsequenzen auf die Tabelle haben.

Die Ukraine würde drei Punkte verlieren und hätte nur noch sechs Punkte. Luxemburg würde von vier auf sieben Zähler kommen und durch das bessere Torverhältnis die Tabellenführung in der Gruppe B übernehmen. del

In dieser Akte geht es um weitaus mehr, als ob der Fußballer Junior Moraes im EM-Qualifikations-Hinspiel zwischen Luxemburg und der Ukraine spielberechtigt war oder nicht. Es geht auch um bedeutend mehr als um die drei Punkte, die Luxemburg und Portugal am „Grünen Tisch“ zugesprochen bekommen können.

Die Fakten

Nach den Regeln der FIFA (die hier zu beachten sind) muss ein Spieler bei einem Nationenwechsel nach seinem 18.Geburtstag „während mindestens fünf Jahren ununterbrochen auf dem Gebiet des betreffendes Verbandes wohnhaft sein“ (Artikel 7 des FIFA Statuts). Junior Moraes spielte aber während der besagten Zeitspanne für vier Monaten auf Leihbasis beim chinesischen Verein Tianjin Quanjan.

Der Streitfall

Der ukrainische Fußballverband ließ durch seinen Generalsekretär offiziell mitteilen, dass nach Rücksprache mit der FIFA und UEFA der alles entscheidende Punkt darin zu sehen sei, ob Junior Morais gemäß ukrainischer Gesetzgebung die betreffende Staatsbürgerschaft habe oder nicht. Das Einbürgerungsverfahren sehe unter anderem vor, dass der Antragssteller während betreffender Zeit 90 Tage ununterbrochen oder innerhalb eines Jahres bis zu 180 Tage außerhalb des Landes verweilen kann.

Es gehe demnach nicht vordergründig um die Frage, inwieweit der betreffende Spieler ununterbrochen in der Ukraine wohnhaft war. Der reine Tatbestand, dass der gebürtige Brasilianer die ukrainische Nationalität gemäß der ukrainischen Gesetzgebung besitzt, sei hier der alles entscheidende Faktor.

Junior Moraes hätte demnach alle Auflagen erfüllt, um die ukrainische Staatsbürgerschaft zu erhalten, und dieser Tatbestand sei im Endeffekt ausschließlich maßgebend. So weit zu den offiziell** bekannten Fakten.

Wenn ausschließlich die nationale Gesetzgebung ausschlaggebend ist, könnte der Luxemburger Fußballverband schlechte Karten in der Hand haben. Dem scheint jedoch nicht so zu sein.

Zwei Rechtssäulen als Basis

Das Sportrecht wird von zwei Säulen getragen: Die eine ist das autonome (private) und selbst erschaffene Regelwerk des Sports, die „Lex sportiva“. Dieser entstammen die Wettbewerbs- und Spielregulierungen, wie sie unter besagtemn IFA-Atikel 7 vorgesehen ist.

Die zweite Säule sind staatliche Regulierungen, in diesem Fall Bestimmungen, wie und unter welchen Bedingungen ein Land einem Ausländer die Staatsbürgerschaft gewährt.
Dass es regelmäßig zu Kollisionen zwischen den sportlichen und staatlichen Regulierungen kommt, ist bekannt.

Tatsache aber ist, dass höchste Gerichtsbarkeiten wie der Bundesgerichtshof, aber insbesondere das Europäische Gericht hier in Luxemburg immer wieder hervorgehoben haben, dass das staatliche Recht keine Einflussnahme in rein sportliche Regulierungen nehmen kann, solange diese zum Beispiel keinen Wettbewerb verfälschen (siehe das Kartellrecht).

In dem „Fall Moraes“ geht es mit Sicherheit nicht um diese Problematik.

Beispiele aus der Vergangenheit

Diese Betrachtungsweise geht unter anderem aus einem Entscheid der sportlichen Schiedsgerichtsbarkeit in Lausanne (TAS/CAS) in einem Urteil (TAS 92/80 B) vom 25 März 1993 hervor.

La nationalité légale a trait au statut personnel découlant de la citoyenneté d’un ou plusieurs Etats, la nationalité de basketball est un concept uniquement sportif, définissant les règles de qualification des joueurs en vue de leur participation à des compétitions internationales. Il s’agit de deux ordres juridiques différents: l’un de droit public, l’autre de droit privé, qui ne se recoupent pas et n’entrent pas en conflit. Les dispositions de Règlement de la FIBSA relatives a l’unique nationalité sportive d’un joueur de basketball ne portent pas atteinte a la souveraineté des Etats en matière de nationalité, ni a leurs compétences dans ce domaine.

Auch wenn hier in Sachen Basketball statuiert wurde, ist dem im Fall Moraes, in dem es um Fußball geht, nichts hinzuzufügen. Dieser Betrachtungsweise kommt zudem ein weiteres gewichtiges Urteil der Sportgerichtsbarkeit aus Lausanne vom 22. Juli 2010 zugute. In dem betreffenden Fall ging es um einen Verbandswechsel des Spielers Daniel Kearns (Nordirland zu Irland), der die doppelte Staatsangehörigkeit besaß.

Von großer Bedeutung ist in diesem Fall die Vorgehensweise der Richter, denen es – gemäß Urteilsspruch – primär darum ging, die Verbandsregeln anzuwenden und nicht zu interpretieren oder auf anderweitige Rechtsquellen zurückzugreifen, solange es um den Spielbetrieb wie in diesem Falle geht: „FIFA provides global rules which must be universally applied and which were not designed for the purpose of a single situation. The FIFA rules are binding and must be observed at all times by every member association.“
FIFA will Staatenwechsel weitgehend unterbinden

Zudem besagt das betreffende Urteil, dass es dem Gericht obliegt – falls der Text nicht eindeutig sei, – die Begründungen einzusehen, weshalb eine bestimmte Regel eingeführt würde.

Der FIFA geht es – wie dieser Fall zeigt – einzig darum, Staatenwechsel weitgehend zu unterbinden, und deshalb wurde auch vor einigen Jahren der Vorschlag von den Emiraten eindeutig abgewiesen, die Fünf-Jahre-Bedingung (ununterbrochen in einem Land zu wohnen) auf zwei Jahre herunterzusetzen.

Beim Kongress 2008 wurde diese Bestimmung noch einmal verschärft. Und gilt seitdem ab dem 18. Lebensjahr. „Die Verschärfungen der Regeln dienen dem Schutz der Identität der Verbandsmannschaften“, sagte das Exekutivkomitee damals.
Weshalb die FIFA diese Regulierung eingeführt hat geht aus dem Urteil vom 20. Juli 2010 unzweifelhaft hervor:

„This regime proved to be unadequate as associations could easily circumvent it by naturalising talented foreigner players in order to allow them to be selected for their national teams resulting in unfair competition between associations in respect of international matches. The attempt of Qatar to naturalize Brazilian players in 2004 prompted a reaction from the FIFA Emergency Committee …“

Es sei denn, die UEFA-Gerichtsbarkeit würde ihre eigenen Regeln nationalen Bestimmungen beugen und sich zudem dem Risiko aussetzen, eine genaue Analyse machen zu müssen, ob und inwieweit Junior Moraes die staatliche Gesetzgebung überhaupt beachtet hat oder nicht.

Die Konsequenzen

Wie zu ersehen, geht es in der Angelegenheit heute um weitaus mehr als um drei Punkte in der Tabelle. Es geht darum, ob die UEFA (und indirekt dann die FIFA) ihre eigenen Wettbewerbsregeln missachtet und das Prinzip der Lex sportiva, die den Sportbetrieb regeln soll, infrage stellt. Und es geht insbesondere darum, ob die betreffenden Regeln eines fairen Wettbewerbs – wie sie in der Sache Kearns hervorgehoben wurden – de facto ausgehebelt werden.

Die UEFA und die FIFA würden mit einem Urteil pro Ukraine den Sinn und Zweck der eigenen Regeln untergraben. Die FIFA-Regulierung in Artikel 7 ist deutlich. Es ist die Rede von „ununterbrochenem Wohnen“. Und hier kann es keine Ausnahme geben.
In dem FIFA-Statut gibt – es im Gegensatz zum Zivil- und Steuerrecht – keine Ausnahme im Bezug auf den festen Wohnsitz. Dies war nicht gewollt und dies kam klar beim FIFA-Kongress 2011 zutage. Demnach kann die Gerichtsbarkeit ihre eigenen Texte weder interpretieren noch beugen. Alles andere riskiert zur Farce zu werden.
Doch ähnliche Situationen gab es in der Vergangenheit öfter und somit dürfte es zu einer Zitterpartie vor Gericht kommen.

Luxemburg und Portugal sind demnach in einen nicht nur sportlich brisanten Fall verwickelt. Dieser Entscheid wird bahnbrechende Auswirkungen sowohl im Sportbetrieb als auch auf das Sportrecht haben und deshalb ist heute schon gewiss, dass Endstation in einigen Monaten die Sportgerichtsbarkeit Lausanne (TAS) sein dürfte. Junior Moares wird zwar kein Bosman werden, aber der Entscheid wird in die Rechtsgeschichte eingehen.


* Unser Gastautor Marc Theisen ist ehemaliger COSL-Präsident, Inhaber von Theisen & Marques Law sowie Spezialist in internationalem Sportrecht.

** Der Entscheid und damit die Beweggründe des erstinstanzlichen UEFA-Gerichtes sind unveröffentlicht und unbekannt.