Bestechende Kunst: Escher Erfolgsprojekt Cueva geht am Freitag in die fünfte Runde

Bestechende Kunst: Escher Erfolgsprojekt Cueva geht am Freitag in die fünfte Runde

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Am Freitagabend öffnet die neue multidisziplinäre Gruppenausstellung des Cueva-Kollektivs ihre Türen. „Aal Esch“ heißt es diesmal in einer unkonventionellen Galerie in der rue des Jardins. Insgesamt 55 Künstler und Künstlerinnen haben sich ausgetobt und präsentieren nun ihre Werke. Das Tageblatt hat fünf Teilnehmer getroffen und sich mit ihnen über ihren Schaffensprozess und freie Kunstprojekte unterhalten.

Von Claude Molinaro und Anne Schaaf


Höhlenkunst in Esch: Drei Ansichten über ein Gemeinschaftsprojekt

Das Tageblatt sprach mit drei Künstlern, die von Anfang an mit dabei sind, über ihre Motivationen, die Arbeit am Raum und über ihre Meinung zur engagierten Kunst.

Dem 52-jährigen Vince Arty hört man die Begeisterung über das Projekt aus seinen Worten heraus. Für ihn sei die Teilnahme an der ersten Auflage vor vier Jahren ein Sprungbrett in die hiesige Kunstszene gewesen. Es sei schade, wenn man die Gelegenheit nicht jedes Mal nutzen würde, wenn sie sich bietet. Das Netzwerk, das Cueva (spanisch für Höhle) mittlerweile aufgebaut habe, sei enorm, und davon profitiere er. Eine andere Motivation für ihn, jedes Mal mitzumachen, sei das ebenso einfache wie gute Konzept: „Man wird eingeladen, wählt einen Platz und dann hat man freie Bahn für sein Projekt.“ Es gäbe keine Vorgaben der Organisatoren. „Es ist mir sehr wichtig, als Künstler bei meiner Arbeit zu 100 Prozent frei entscheiden zu können.“

Vince Arty, in Lyon geboren, wohnhaft in Schifflingen und als Tätowierer in Esch tätig, ist bei Cueva als Bildhauer dabei. Normalerweise sei es ihm wichtig, durch seine Werke eine Botschaft zu vermitteln. So präsentierte er im Rahmen des letzten Cueva-Projektes einen Käfig, in den sich die Besucher selbst setzen konnten, um zu erfahren, wie es sich als eingesperrtes Tier anfühle. Dass nicht jeder dies verstanden habe, sei normal. Dieses Mal jedoch habe er ein rein künstlerisches Werk ohne spezielle Botschaft geschaffen. Er hat eine Skulptur aus recycelten Stahlteilen zusammengebaut und sie mit Beleuchtung und Raumteilern in Szene gesetzt. 300 Stunden Arbeit habe er in das Werk investiert.

„Wenn man in einem Kollektiv mitmacht, gibt es immer Einschränkungen, aber das ist normal. Man muss offen sein, sonst macht es keinen Sinn, daran teilzunehmen.“ Die einzigen Einschränkungen sind die räumlichen Bedingungen, an die sich die Künstler anpassen müssen. Bei diesem Projekt sind die Künstler in dieser Hinsicht besonders gefordert: Sie durften nichts an den Mauern verändern, außer sie bemalen. Diese Auseinandersetzung mit dem Raum sieht der 42-jährige Maler Marc Soisson aus Esch positiv. Auch er ist zum fünften Mal mit dabei. „Es ist eine Herausforderung, weil man meistens etwas Großes, Komplexes schaffen kann. Man kann mit dem arbeiten, was man an Ort und Stelle vorfindet, in erster Linie mit dem Raum selbst.“

Pigmente aus Minette

Aus diesem Grund sei jedes Projekt anders gewesen, da jeder Raum verschieden ist. Dieses ständige Anpassen bringe automatisch eine Entwicklung der eigenen Arbeit mit sich. Das sei auch ein Grund, jedes Jahr wieder bei Cueva mitzumischen. Von Vorteil sei, dass es sich bei den teilnehmenden Künstlern um einen demokratischen Mix handele. Cueva vereinige Künstler aus verschiedenen Kunstrichtungen, etablierte und weniger etablierte. „Das an sich ist schon außergewöhnlich, weil die Leute in Luxemburg oft in kleinen Klubs organisiert sind und sich nicht gegenseitig kennen. Es stellt eine für Luxemburg relativ einzigartige Gelegenheit dar, dass wenigstens ein Mal alle an einem Strang ziehen, um etwas Gutes zu machen.“

Nachteile sieht auch er eigentlich fast keine, man müsse halt mit den anderen zusammenarbeiten. Interessant findet er die Arbeit am Raum. „Es hängt stets davon ab, wie viel man am Gebäude selbst verändern darf.“ Er versuche grundsätzlich, so viel wie möglich vor Ort zu arbeiten, doch da die Wände dieses Mal bemalt, aber nicht eingerissen werden durften, sei dies weniger der Fall gewesen. Einen Monat lang habe er an seiner Kunst gearbeitet und eine Woche lang die Wand, die er für sein Schaffen verwendete, gesäubert, damit er seine Werke so aufhängen konnte, wie er sich das vorgestellt hatte. Dieses Mal ist Soisson mit drei Werken vertreten. Er arbeitet viel mit archaischem Material, hauptsächlich mit Kohle. Seine diesjährigen Beiträge seien übrigens eng mit dem Süden verbunden. In zwei davon hat er Pigmente aus Minette verarbeitet. „Der Bezug zur Region ist mir bei meiner Arbeit sehr wichtig.“

Auf das Thema engagierte Kunst angesprochen, meint er, politische Kunst fände er ein bisschen schwierig, „Kunst soll vor allem humanistisch sein, sie soll die richtigen Werte vertreten.“ Wenn man anfange, mit der Kunst politisch zu werden, laufe man Gefahr, einseitige politische Propaganda zu betreiben, und dann verliere man seine Neutralität. „Ich mache oft minimalistische Kunst. Dabei steht es jedem offen, darin zu sehen, was er will. Wenn das etwas Politisches ist, dann ist das die Sache des Betrachters.“

Am Anfang war der Glühwein

Der 47-jährige Maler und Kunstlehrer Jeff Keiser aus Kayl teilt die Meinung seiner Kollegen über die Vorteile des Konzepts. Besonders hebt er den Kontakt zwischen den vielen Vertretern verschiedener Kunstrichtungen hervor. „Und dabei lernt von ja auch von anderen, es gibt einen großen Austausch.“ Keiser ist nicht nur das fünfte Mal als ausstellender Künstler mit dabei, er ist zusammen mit Théid Johanns, Sergio Sardelli und Daisy Wagner auch Gründungsmitglied der „Cueva asbl“. Die Idee sei bei einem Glühweinstand auf dem „Escher Krëschtmoart“ aufgekommen. „Wir standen da zusammen und sagten uns, wir müssten etwas für Esch machen.“

Seit der ersten Auflage hat sich das Konzept stark weiterentwickelt. „Anfangs nahmen es viele als Gelegenheit wahr, ihre Werke auszustellen, und es wurden vor allem Bilder aufgehängt. Das hat sich aber schon ab der zweiten Auflage geändert: Die Leute fingen an, sich vom Galeriedenken zu entfernen und mehr mit dem Raum zu spielen.“

Bei seiner Arbeit hat er sich direkt am Gebäude inspiriert: Er hat eine Leinwand auf die Größe von vorhandenen Löchern geschnitten, bemalt und die Löcher damit aufgefüllt.
Unter seinen Facebook-Fotos befindet sich eines seiner Werke, in dem ein Nazi-Plakat über entartete Kunst eingearbeitet ist. Ob er nun ein politisch engagierter Künstler sei? „Absolut nicht“, kommt es wie aus der Pistole geschossen. Ich bin in dem Sinne schon so weit politisch engagiert, dass ich es nicht gut finde, was damals geschah. So gesehen war es schon ein Statement von mir, weil wir heute noch immer nicht komplett davon weg sind. Aber lassen wir die Politiker Politik machen. Ich bin von Grund auf Maler, das ist, was mich interessiert. Ein Bild sagt oft mehr aus als Worte.“

Esch 2022, Land Art und Innovation

Als Beispiel erwähnt Jeff Keiser die Flüchtlingsproblematik. Das sei eine Katastrophe, aber wenn in jedem Kunstwerk eine silberne Decke auftauche, werde es irgendwann langweilig. Malerei solle aber interessant bleiben. Wenn es dann politisch wird, nun gut. „Ein Bild ist im Grunde schon eine Aussage, man muss nicht noch explizit sagen: ‚Rassismus oder Sexismus ist schlecht‘.“

Auf seine Motivation für Cueva angesprochen, sagt Keiser, es müsse etwas Neues kommen. Es fange an, ein wenig langweilig zu werden. Aufhören mit Cueva wolle man nicht, denn es sei ja nicht nur ein Projekt, sondern auch eine Asbl und darüber hinaus ein Laboratorium für Experimente. „Wir müssen etwas anderes finden, in eine andere Richtung gehen.“ Das sei nicht einfach. Ein Erfolgskonzept weiterzuführen, sei immer leichter. „Möglich wäre etwas mit Land Art oder auf öffentlichen Plätzen beispielsweise. Es muss nicht immer in Gebäuden stattfinden. In der Kunst muss man ab und zu etwas Neues wagen.“

Was auf jeden Fall noch ansteht, ist „Esch 2022“ – da will Cueva mitmachen. Das Kollektiv hätte sich schon Gedanken darüber gemacht, er wolle aber nicht weiter darauf eingehen, sagt Keiser. Die Vorschläge lägen vor, man warte nun auf Antworten der Organisatoren.


Zwei Schwestern, eine Passion: Lina und Klara Troost im Gespräch

Die Klitschkos, die Kardashians oder auch die Geschwister Scholl: An berühmten Brüdern oder Schwestern fehlt es eigentlich nicht. Aber wie viele Zweiergespanne fallen Ihnen auf Anhieb ein, wenn es um Kunst geht? Wir haben zwei junge Frauen getroffen, die Sie bei dieser Frage um eine Antwort reicher machen können. Lina und Klara Troost haben dem Tageblatt einen Blick in ihre Schaffensprozesse gewährt.

Bereits im frühen Kindesalter teilten sich die Schwestern, die knapp zweieinhalb Jahre trennen, Buntstifte und Bastelmaterialien. Viele Stunden wurden unter anderem im Keller der Mutter verbracht. Dort befand sich nicht etwa ein Verlies, sondern eine Art Kreativ-Raum, der viele Möglichkeiten bereithielt, sich künstlerisch auszutoben. Man habe schon damals damit angefangen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen, erzählen die heute Mitte 20-Jährigen. Obwohl die jungen Frauen beide sehr respektvoll übereinander sprechen und ihren gemeinsamen Weg nicht missen wollen, verweist die Ältere von beiden, nämlich Lina, darauf, dass man dieses Bild nicht romantisch verklären sollte: „Wir mussten in all der Zeit auch lernen, richtig zu streiten und uns ab und an gar zu hassen, um zueinander zu finden.“

Bereits ihre Eltern und Großeltern waren künstlerisch tätig. Dass sie blutsverwandt sind und eine große Leidenschaft teilen, bestätigt den beiden Künstlerinnen zufolge jedoch nicht die Existenz eines sogenannten „Kreativitäts-Gens“. Obwohl sicherlich ein Hang in der Familie vorherrsche, sich kreativ auszudrücken, führt Klara dies eher darauf zurück, dass dafür Raum geschaffen wurde. „Es geht nicht um etwas Exklusives. Das ist milieuunabhängig. Der Schlüssel ist die Motivation. Der Rahmen, in dem man aufwächst, darf keine Berührungsängste in Bezug auf Kunst schaffen.“ „Kreativität als solches soll an positive Erfahrungen gekoppelt sein“, findet Lina, „dann kann man sich auch persönlich und professionell weiterentwickeln.“

Kollektives Brainstorming

Obwohl die Interviews mit den multidisziplinären Geschwistern an unterschiedlichen Orten, an verschiedenen Tagen und unabhängig voneinander stattfanden, gaben Lina sowie Klara auf die Frage hin, was die jeweils andere für die eigene Kunst bedeute, fast genau die gleiche Antwort. „Ich habe Klara niemals als Konkurrentin empfunden. Vielmehr war sie bezüglich der Kunst sowie anderer Lebensbereiche stets eine wichtige Beraterin mit einem besonderen Status, der sonst niemand anderem zustand“, schildert die große in Esch wohnhafte Schwester die Situation. Ihre kleine Schwester, die in Berlin studiert und lebt, schlägt in die gleiche Kerbe: „Lina war und ist für mich etwas wie mein direktes Echo.“ Als sie bei einer Stippvisite in Luxemburg innerhalb von vier Tagen ihr Werk an der Wand in „Aal Esch“ angebracht habe, habe ihre Schwester ihr wichtiges Feedback gegeben. Bei einer gemeinsamen anschließenden Reise nach Marokko sei dann kollektives Brainstorming betreffend der Installation von Lina betrieben worden.

„Es hilft sehr, wenn einem ein anderer Blick auf das eigene Schaffen vermittelt wird. Durch die gestellten Fragen stellt man auch sich selbst noch mal anders infrage“, so Klara. Lina besuchte unter anderem das „Arts et Métiers“, ist mittlerweile gelernte Umwelttechnikerin und visiert nun ein Studium der sozialen Arbeit an. Klara belegte eine „Section E“ auf dem Gymnasium, machte eine Ausbildung zur Grafik-Designerin und studiert nun visuelle Kommunikation.

Die ältere der Troost-Schwestern beschreibt ihre Vorgehensweise als eher intuitiv und emotional. Für sie ist technisches wie theoretisches Wissen nicht prioritär: „Das kann auch dazu führen, dass man ab und an den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Ich bin froh, eine gewisse Freiheit diesbezüglich zu haben und demnach eventuell mit einem klareren Blick rangehen zu können.“ Für sie sei es immer wichtig gewesen, dass Kunst nie zu einem Muss wird. „Daher sagen mir Auftragsarbeiten auch nicht zu. Wenn jemand kommt und beispielsweise einen gemalten Sonnenuntergang haben möchte, dann muss er oder sie sich leider jemand anderen suchen“, sagt Lina nicht schroff, sondern schmunzelnd und fügt hinzu: „Und ich muss natürlich auch lernen, Nein zu sagen.“

Künstlerisches Selbststudium

Bei Klara spielt die Schule eine wichtige Rolle; sie weiß die arbeitsmarktbezogenen, praktischen Aspekte ihrer Ausbildung zu schätzen und bezeichnet den akademischen Kontext, in dem sie sich derzeit bewegt, als potenziellen „fruchtbaren Boden“, auf dem viele verschiedene geistige Haltungen zusammenstoßen können. Um zu verhindern, dass die Lehre einem Scheuklappen aufsetze, sei es essenziell, sich im Voraus eingehend mit der Vorgehensweise der jeweiligen Universitäten auseinanderzusetzen. Dann finde man auch die richtige für sich und so stünde dem künstlerischen Selbststudium nichts im Weg. Freie Kunstprojekte wie jene des Cueva-Kollektivs bezeichnen beide als unentbehrlich. Klara bezieht dies sowohl auf die Mikro- als auch auf die Makro-Ebene. Der gegebene Freiraum sei auf persönlicher Ebene wertvoll, habe zudem in Bezug auf das kulturelle Leben hierzulande eine Relevanz. Die Konfrontation mit verschiedenen Meinungen könne für beide Seiten fruchtbar sein.

Davon konnte Lina, die im Gegensatz zur ihrer Schwester mehr Zeit vor Ort verbracht hat, um ihre Installation vorzubereiten und aufzubauen, sich selbst überzeugen. Während des Schaffensprozesses sah sie sich einem Ideen-Strom gegenüber, der immer wieder neue Türen öffnete. Irgendwann spürte Lina, dass es vielleicht zu viele werden. In einem Moment der Ungewissheit, wie sie weiter verfahren sollte, wusste sie es sehr zu schätzen, dass viele der anderen 54 Kunstschaffenden ebenfalls vor Ort arbeiteten.

Der Künstler Marc Soisson, der sich selbst eher im Minimalismus verortet, riet ihr, nicht alle Asse gleichzeitig zu spielen. „Um zu einem guten Minimalisten zu werden, braucht es, glaube ich, diesen Prozess, in dem erst mal alles aufeinanderstößt und man dann Bestimmtes hinter sich lässt“, erklärt Lina, die sich Soissons Rat zu Herzen nahm und sich von einigen Elementen trennte. Jetzt freut sie sich auf die heutige Vernissage, da sich ein Werk ihrer Auffassung nach durch die Interpretation anderer stetig erweitern kann. Gleiches gilt für ihre kleine Schwester. Wir verraten der Leserschaft nun bewusst nicht, was die beiden jungen Frauen sich für „Aal Esch“ überlegt haben. Finden Sie es selbst heraus und scheuen Sie das Gespräch mit den beiden nicht.