Belgische Regierung: Koalition mit nationalistischer N-VA zerbricht über Migrationspakt

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Die belgische Regierungskoalition zerbricht am Streit um den UN-Migrationspakt. Premier Michel macht trotzdem weiter – er will auch das umstrittene Abkommen mittragen.

Von unserem Korrespondenten Eric Bonse

Fährt er nach Marrakesch, oder fährt er nicht? An dieser auf den ersten Blick harmlosen Frage ist gestern die rechtsliberale Regierungskoalition in Belgien zerbrochen. Premierminister Charles Michel will heute zu einer internationalen Konferenz nach Marrakesch fliegen, um den UN-Migrationspakt zu billigen. Die nationalistische flämische Partei N-VA war strikt dagegen – und drohte mit Rückzug aus der Regierung.

Tagelang zog sich der Machtkampf hin, noch am Samstag schien der Ausgang völlig offen. Doch gegen Mitternacht gab Michel bekannt, dass die N-VA den Rückzug angetreten habe. Wenige Stunden später erklärten Innenminister Jan Jambon und der für seinen provokativen Stil bekannte Migrationsminister Theo Franken (beide N-VA) tatsächlich den Rücktritt. König Philippe nahm ihre Demission ohne Zögern an. Damit geht nach vier Jahren ein umstrittenes Experiment zu Ende: Die sogenannte „Schweden-Koalition“, die nach den gelben und blauen Farben der vier beteiligten Parteien benannt wurde, ist zerbrochen. Von Anfang an hatten die N-VA und ihr Chef Bart de Wever den anderen beteiligten Parteien – Liberale und Christdemokraten aus Flandern und der Wallonie – das Leben schwergemacht.

Nur in der Wirtschafts- und Sozialpolitik konnten sich die belgischen Koalitionäre auf eine gemeinsame, neo-liberale Linie einigen. Auch die Terrorattentate im Jahr 2016 schweißten die „Schweden“ zusammen. Doch in fast allen anderen Fragen gab es Streit. Die N-VA versuchte, das Maximum für ihre Heimatregion Flandern herauszuschlagen und sich am rechten Rand zu profilieren.

Zuletzt schoss sie sich auf die Migranten ein, die über Brüssel und die belgische Küstenregion nach England streben. Noch am vergangenen Donnerstag lancierte die N-VA eine Kampagne mit offen ausländerfeindlichen und rassistischen Akzenten. Die Kampagne wurde zwar nach Protesten zurückgezogen. Doch umso härter traten De Wever und seine Partei im Streit um den UN-Migrationspakt auf. „Die Regierung, die nach Marrakesch fährt, hat nicht die Unterstützung der N-VA“, drohte De Wever. Dies sei eine rote Linie, machte er klar. Premier Michel ließ sich jedoch nicht einschüchtern. Er suchte eine „alternative“ Mehrheit im Brüsseler Föderal-Parlament – und setzte sich am Freitag durch. Grüne und sozialistische Abgeordnete trugen einen Antrag zugunsten des Migrationspaktes mit und schafften es so, die N-VA zu isolieren.

Mit Minderheitsregierung bis zu Wahlen im Mai?

Doch damit war der Streit nicht beendet – im Gegenteil. Am Samstag wurde eine Krisensitzung einberufen. N-VA-Chef De Wever sagte nach dem Treffen, wenn seine Partei in der Regierung „keine Stimme“ mehr habe, dann habe es auch „keinen Zweck“ mehr, weiterzumachen. Michel bekräftigte, dass er Belgien „als Chef einer verantwortungsbewussten Koalition“ in Marrakesch vertreten werde.
Der Premier kann sich dabei auf das Votum des Föderal-Parlaments berufen – doch eine echte Mehrheit hat er nicht mehr. Vielmehr will er nun versuchen, mit einer Minderheitsregierung bis zur Wahl im Mai 2019 durchzuhalten.

Noch am Sonntag ernannte Michel die Nachfolger für die N-VA-Minister. Der Christdemokrat Pieter de Crem soll Innenminister werden, der erfahrene liberale Politiker Didier Reynders soll das Verteidigungsressort übernehmen.

Die Regierungskrise ist damit beendet – zumindest auf dem Papier. Die Verfassung schreibe nicht vor, dass er für sein neues Kabinett ein Vertrauensvotum im Parlament einhole, erklärte Michel. Allerdings bleibt abzuwarten, ob dies alle Parteien so sehen. Dass die Regierung „Michel II“ bis zur Wahl durchhält, ist keineswegs sicher. Vor allem die Verabschiedung des Haushalts könnte zum Problem werden. Klar scheint nur, dass nun der Wahlkampf eröffnet ist. Die flämischen Nationalisten haben bereits angekündigt, die Migrationspolitik zum Thema zu machen.

Dabei stehen sie selbst unter Druck. Denn der rechtsextreme „Vlaams Belang“ fordert einen noch härteren Kurs. Die Rivalen der N-VA hatten bei der Kommunalwahl im Oktober zugelegt. Auch dies trug zur Verhärtung im Streit um den UN-Migrationspakt bei.