Bau von neuem AKW-Typ in Frankreich wird zur unendlichen Geschichte

Bau von neuem AKW-Typ in Frankreich wird zur unendlichen Geschichte
Es wird immer noch gebaut in Flamanville – dabei stammt dieses Foto (DPA) bereits von 2011.

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Frankreich bereitet sich auf einen neuen Typ von nuklearen Reaktoren vor. Diese nächste Generation soll ihren französischen Prototyp in der Normandie erhalten, im Département Manche. Nur: Der Staatskonzern Electricité de France (EDF) scheint mit der neuen Technik eines Druckwasser-Reaktors überfordert. Seit 14 Jahren werkelt er an dem Reaktor herum, der in Flamanville entstehen soll.

Von Helmut Wyrwich

China hat ihn schon, den EPR, Abkürzung für Europäischer Druckwasser-Reaktor. Die Chinesen bauten mit modernster Technik, erzählt Eli Cohen, Wirtschaftswissenschaftler. Modernste Technik, das heißt: auch Einsatz des französischen Konzerns Dassault Systems, mit seinen Planungssystemen. EDF selbst, so Eli Cohen in einer Diskussionrunde zu Fragen der Energietechnik, verzichtet auf diese Technik.

Der EPR ist im Jahre 2004 konzipiert worden. Er ist eine französisch-deutsche Kooperation, die das Zeitalter nach den heutigen Kernreaktoren einläuten sollte. Siemens ist von dem ehemaligen Staatspräsidenten Sarkozy mehr oder weniger herausgedrängt worden. Der dann rein französische Reaktor sollte 3,3 Milliarden Euro kosten und sollte im Jahre 2012 in Betrieb gehen. Jetzt wird 2019 bis 2020 mit der Ankoppelung an das Stromnetz gerechnet. Die Kosten sind explodiert. Statt 3,3 Milliarden sollen es nun 10,9 Milliarden Euro werden.

Pannen über Pannen

Wenn in Luxemburg von einem „Pannenreaktor“ geredet wird, dann denkt man an die Anlage in Cattenom. Die aber ist im Vergleich zu dem, was sich in der Normandie tut, als sicher anzusehen. Die wichtigsten Pannen: Der Reaktorbehälter ist aus falschem Stahl geschmiedet worden. Der Deckel des Reaktorbehälters hat erhebliche Mängel und muss in absehbarer Zeit erneuert werden. Und nun sind Schweißnähte nicht mit der verlangten Qualität entstanden. Von 140 geprüften sind bisher 33 repariert worden. EDF rechnet mit weiteren Kosten in Höhe von 400 Millionen Euro und mit weiteren Verzögerungen.

Der EPR-Reaktor, den die Chinesen bereits gebaut haben, ist an sich ein technologisches Schmuckstück. Frankreich hat das Reaktorprinzip bereits ins Ausland verkauft, ohne dass im eigenen Land ein Vorzeigeprojekt steht. In Finnland soll längst ein EPR-Reaktor laufen. Aber auch dort funktioniert nichts. Angesichts immer neuer technischer Pannen und erheblicher Verzögerungen haben die Finnen mittlerweile Entschädigungszahlungen in dreistelliger Millionenhöhe mit Frankreich vereinbart. Exportiert wurde der EPR auch nach Großbritannien. In Hinkley Point sollen gleich zwei Reaktoren mit chinesischer Beteiligung entstehen. Durchgesetzt wurde das Projekt von der französischen Regierung mit dem damaligen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Allerdings warf der Rücktritt des für Finanzen zuständigen Vorstandsmitglieds ein Schlaglicht auf die Risiken, die EDF mit dem EPR mittlerweile eingeht. Den Einsatz von 50 bis sogar 70 Prozent des Kapitals des Unternehmens wollte der Manager nicht mehr mittragen.

Das französische Problem mit dem EPR: Die beiden 900 Megawatt-Blöcke in Fessenheim im deutsch-schweizerisch-französischen Länderdreieck sollten längst abgeschaltet worden sein. Die frühere Umweltministerin Ségolène Royal hatte die Verbindung zwischen dem EPR in Flamanville und Fessenheim hergestellt. Wenn der EPR in der Normandie funktioniert, dürfen die beiden Blöcke im Elsass abgeschaltet werden. Im Halbjahrestakt aber schiebt EDF das Funktionieren von Flamanville immer weiter hinaus.

Der Nachfolger von Frau Royal, Nicolas Hulot, gilt in Frankreich als ein engagierter Verfechter der Umwelt und als Kritiker der Atomkraft. Als Minister aber rettet sich Hulot von einem Kompromiss zum anderen. Er muss, gegen seine Überzeugung, eine Lagerstätte für atomaren Abfall vertreten, die im lothringischen Bure entstehen soll. Ins Nest gelegt wurde ihm das Vorhaben bereits im vergangenen Jahrhundert vom lothringischen Regionalratspräsidenten und Industrieminister Gérard Longuet, der mit dem Vorhaben eine strukturpolitische Verbesserung der schwachen Region verband. Hulot aber muss heutzutage die Lagerstätte mit Gendarmen gegen Demonstranten verteidigen.

Der Umweltminister sieht sich überdies vor der Titanen-Aufgabe, dem Land einen neuen Energiemix zu verordnen. Eigentlich sollte Frankreich längst damit begonnen haben, seine Abhängigkeit von der Atomkraft zu verringern. Frau Royal aber vollbrachte das Kunststück, ihre Untätigkeit als Politik zu verkaufen, und legte dieses Baby ihrem Nachfolger den Schoß. Hulot müsste eigentlich 17 der 58 Kernkraftwerke in Frankreich schließen, um auf eine gesetzlich vorgesehene Quote von 50 Prozent nuklearen Stroms zu kommen. Das zumindest ist die Berechnung des Rechnungshofes in Paris. Die Schließung und der Rückbau der beiden Blöcke in Fessenheim aber wird von EDF auf eine Arbeit von 20 Jahren veranschlagt. Auf 17 Kernkraftwerke bezogen würde EDF vor einer Aufgabe stehen, die das Unternehmen weder zeitlich noch finanziell mit einem Milliardenaufwand bewältigen kann.

„Saubere Energie“

Nukleare Energie wird in Frankreich – eng bezogen auf den Ausstoß von Kohlenstoffdioxid – als „saubere Energie“ betrachtet. Dabei wird nicht berücksichtigt, welche Schäden der Uranabbau mit sich bringt. Uran wird zur Anreicherung der Brennstäbe benötigt. Nicht berücksichtigt wird auch das Risiko eines Kernkraftwerkes. Und nicht berücksichtigt wird auch, dass es bisher keine Lösung für Abfälle gibt, die Jahrhunderte lang strahlen werden.
Und schließlich ist auch die Sicherheit immer wieder ein Thema. In Cattenom konnte ein Team von Greenpeace-Aktivisten Absperrzäune überwinden und sich acht Minuten in der Anlage tummeln. In Lyon ließ Greenpeace eine Drohne über einem Kernkraftwerk abstürzen.

Als „unschlagbares“ Argument wird bei der Atomkraft stets der Preis genannt. Die Megawattstunde wird derzeit mit 42 Euro kalkuliert. Cohen geht davon aus, dass der Preis demnächst bei 100 bis 110 Euro liegen könnte. Das ist der Preis, den die britische Regierung gegenüber EDF als Abnahme-

preis pro Megawattstunde garantiert hat. Der Rechnungshof berechnet, dass EDF für die sicherheitstechnische Nachrüstung eher 100 Milliarden denn die von EDF veranschlagten 50 Milliarden ausgeben muss. Cohen lässt keinen Zweifel daran, dass der Verbraucher das bezahlen wird und dass der Preis für die Megawattstunde französischen Atomstroms sich durchaus verdoppeln könnte. Arme Bevölkerungsschichten würde heute schon für Energie über 20 Prozent ihres monatlichen Einkommens ausgeben und die Belastungsgrenze zukünftig überschreiten.

Rückbau unrealistisch

Der Rückbau von 17 Reaktoren ist in Frankreich – Land, in dem 78 Prozent der verbrauchten Energie aus Kernkraftwerken stammen – auch aus anderem Grund unrealistisch. Atomkraft wird als energetische Unabhängigkeit verstanden. Millionen Haushalte heizen mit Strom, betreiben Küchengeräte und Waschräume mit Strom. Alleine die Heizgeräte, so analysiert Eli Cohen, sind veraltet und müssen erneuert werden. Neuere Geräte würden weniger Strom verbrauchen. Das wesentliche Potenzial liegt, so der Wissenschaftler, vor allem im Sparen von Strom. Das scheint nötig, weil derzeit sowohl im Sommer als auch im Winter Spitzen des Stromverbrauchs entstehen, die das Netz vor Extrembelastungen stellen. Der Verbrauch aber wird nicht geringer. Die Hochgeschwindigkeitszüge TGV verbrauchen mit 16 Megawatt riesige Mengen an Elektrizität. Und das politische Drängen zur Einführung von Elektroautos erhöht den Verbrauch an elektrischer Energie, statt ihn zu senken. Gleichzeitig aber wendet sich die Bevölkerung gegen die Einführung neuer Stromzähler. Das Modell „Linky“ nämlich registriert nicht nur den Verbrauch, sondern analysiert ihn auch und lässt Haushalte den Stromverbrauch steuern. Die Daten-Nutzung aber ist der wunde, bisher nicht geregelte Punkt.

Nicolas Hulot setzt auf die alternativen Energien. Allerdings ist ihm auch hier die Zeit bereits davongelaufen. Die Genehmigungszeit für einen Windpark beträgt in Frankreich sieben Jahre. Projekte werden von 2.000 Vereinigungen behindert, die alle juristischen und politischen Kniffe nutzen, um den Bau bis zum Sankt Nimmerleinstag hinauszuzögern. Projekte im Ärmelkanal vor Fecamp oder Etretat haben von vornherein keine Chance, weil sie dem Tourismus wegen der „Falaises“ schaden könnten. Also werden Ausschreibungen aufgehoben, neu zusammengestellt. Die Folge: In Cherbourg ging eine Firma noch vor der Aufnahme der Produktion von Einzelteilen für Windräder in Konkurs.

Die Probleme mit dem neuen europäischen Druckwasser-Reaktor sind symptomatisch für die Falle, in die sich Frankreich durch ein zu langes Festhalten an der Nukleartechnik manövriert hat.

 

 

Grober J-P.
30. Juli 2018 - 23.58

Wahrscheinlich hat Herr Hulot den Daumen drauf. Recht so! :-)