Auf Frankreich rollen Veränderungen zu

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Nach einem schwierigen Start nimmt der Reformzug von Staatspräsident Macron Fahrt auf. Innerhalb eines Jahres sollen Sozialversicherung, Bildungs- und Steuersystem verändert werden.

Am Dienstag läutete die Gewerkschaft CGT in Frankreich den Herbst ein. Die CGT tut das immer mit einer Demonstration. In diesem Jahr wird sie gegen die neue Arbeitsgesetzgebung demonstrieren. Die linksradikalen „Un-Unterworfenen“ in der Nationalversammlung, die gleichzeitig „drin“ und „draußen“ sind, werden am 23. September gegen den „sozialen Staatsstreich“ von Staatspräsident Emmanuel Macron demonstrieren. Deren Chef ist der Volkstribun Jean-Luc Mélenchon, der sich am liebsten als der „Präsident des Volkes“ versteht und sich gerne auf der Höhe des Staatspräsidenten sehen würde. Deutlich ausgesprochenes Ziel der „Un-Unterworfenen“ ist, Macron aus dem Präsidentenamt zu drängen.

Beide Demonstrationen haben eins gemein: Die Themen, mit denen sie sich beschäftigen, sind von Macron bereits abgehakt. Der Opposition geht es jetzt um die Stärkung einer Anti-Macron-Stimmung im Land.

Französische Medienlandschaft hat sich verändert

Unüberschaubares System

Das französische Rentensystem ist von großer Komplexität. Es besteht aus 35 Basis- und 29 Zusatzarten. Jeder Franzose zahlt im Durchschnitt in seinem Leben in 2,3 Rentenkassen ein, mancher Rentner ist bei sechs bis sieben verschiedenen Rentenkassen versichert.

Das System schafft große Ungleichheiten. Allein im öffentlichen Dienst bezuschusst der Staat die Basisrente mit jährlich 14 Milliarden Euro. Hinzu kommen sechs Milliarden für die Zusatzkassen. Macron will für alle ein Punktesystem einführen, bei dem jeder eingezahlte Euro sich in einen Rentenpunkt oder Teile davon verwandelt. wy

Die Medienlandschaft in Frankreich hat sich mit vier Nachrichtensendern, die ihr „Futter“ suchen, gegenüber einer Präsidentschaft wie etwa der von Nicolas Sarkozy grundlegend verändert. Diese Fernsehmedien schlachten jeden vermeintlichen Fehler aus und kommentieren im Minutentakt. Die Kommentatoren haben Schwierigkeiten, zu verstehen, dass Macron nach einem Langzeitplan über fünf Jahre, möglicherweise sogar zehn Jahre, arbeitet. Er hat festgelegt, wann was geschieht, und zieht dieses Programm nach seinen Vorstellungen durch. Die Leitartikler – insbesondere in den Nachrichtensendern – aber stellen fest, dass dieses oder jenes Projekt von vorne nach hinten verschoben wurde und zweifeln deswegen an dessen Umsetzung. Macron hat eine tiefe Abneigung gegen diesen Journalismus, der bestimmte Subtilitäten der französischen Politik nicht erläutert und Strategien als solche nicht vermittelt.

So ist der französische Gesetzgebungsprozess von äußerster Langsamkeit geprägt. Ein Gesetz zum Verbot der Beschäftigung von Familienmitgliedern als Assistenten in der Nationalversammlung und im Senat wurde mehr als 200 Stunden in Ausschüssen und im Plenum diskutiert und band die Justizministerin über Tage hinweg ans Parlament, weil sie zu Hunderten von Änderungsanträgen jeweils einzeln Stellung nehmen musste. Wenn eine Opposition in Frankreich will, kann sie das Parlament lahmlegen.

Regierungs-TGV nimmt Fahrt auf

Macron aber gibt sich diese Zeit nicht. Er will schnell arbeiten. Sein Regierungs-TGV hat nach der Sommerpause Fahrt aufgenommen. Nach 300 Stunden Beratungszeit, darunter 48 Sitzungen mit den Gewerkschaften, ist das neue Arbeitsgesetz beschlossen worden. Es tritt im September per Verordnung in Kraft und wird vom Parlament nur noch formal beschlossen. Macron lässt dem Land keine Zeit, sich damit in Form von Demonstrationen noch groß zu beschäftigen. Bis Ende 2018 müssen die wichtigen Reformvorhaben verwirklicht sein, damit sie bis 2022 – Ende seiner Amtszeit – Wirkung zeigen können.

Nach dem Arbeitsgesetz kommt der Beginn der Rentenreform. So wie er mit Muriel Pénicaud für das Arbeitsrecht eine erfahrene Fachfrau als Ministerin fand, kommt nun Jean Paul Delevoye zum Zuge. Der 70-Jährige ist ein erfahrener Sozialpolitiker mit exzellenten Kontakten zu den Gewerkschaften. Macron hat ihn zum Hochkommissar für die Rentenreform ernannt. Delevoye darf sich nun im Sozialministerium niederlassen und bis zum Sommer kommenden Jahres die Renten reformieren. In der französischen Politik gibt es kein explosiveres Thema. Den ehemaligen Premierminister Alain Juppé hat es einst den Job gekostet. Eine Arbeitsgruppe arbeitet seit 15 Jahren ohne wesentlichen Erfolg an einer Reform der Renten. Will Macron hier Erfolg haben, wird er Informationslücken im Ministerium schließen müssen. Lücken, die medial und politisch gnadenlos ausgeschlachtet würden, sollten sie existieren. Bei der Reformdiskussion zum Wohnungsrecht gab es solch eine Lücke. Das Wohngeld sollte um fünf Euro gekürzt werden. Die linksradikalen „Un-Unterworfenen“ im Parlament stapelten daraufhin Lebensmittel im Wert von fünf Euro auf einer Bank und protestierten lautstark. Ein gefundenes Fressen für die Nachrichtensender.

Macron hat sich vor Auseinandersetzungen nie gefürchtet

In der Regierung aber sind die Beamten damit beschäftigt, die sie betreffenden Reformvorhaben auszuarbeiten. Die Sozialministerin arbeitet an der Reform der Arbeitslosenpolitik, die in Frankreich eine Politik zur Beharrung in der Arbeitslosigkeit ist. Renten- und Arbeitslosenpolitik sind explosive Themen, weil die Gewerkschaften hier die Politik bestimmen. Sie fürchten eine Entmachtung. Macron hingegen hat sich vor Auseinandersetzungen nie gefürchtet und verfügt über eine absolute Mehrheit im Parlament, wird aber wie bei der Arbeitsgesetzgebung im Vorfeld Hunderte Stunden mit den Gewerkschaften diskutieren und eine Konzertation suchen.

Um den Bereich von Arbeit und Renten abzurunden, steht die Ausbildung von Jugendlichen als Thema an. Sie findet in Frankreich zwar statt, hat aber nie richtig funktioniert. Macron schwebt hier das deutsche Modell der dualen Ausbildung vor, das er durchsetzen will. Auch hier müssen die Gewerkschaften überzeugt werden, die maßgeblich eingebunden sind. Der gesamte Bereich Arbeit und Soziales – zu dem auch eine Reform der Wohnungspolitik und des Wohngeldes gehört, die im Oktober vorgestellt wird – soll bis spätestens Ende 2018 abgearbeitet sein. Auf Frankreich rollt so eine Welle von Reformgesetzen aus dem Arbeits- und Sozialbereich zu.

Steuer könnte direkt vom Gehalt abgezogen werden

Nicht anders soll es im Steuerbereich zugehen. Die Einkommenssteuer wird aller Voraussicht nach direkt vom Gehalt abgezogen. Die Regierung hatte den bereits von den Vorgängern vorbereiteten Direktabzug gestoppt und lässt derzeit den Direktabzug der Einkommenssteuer in Modellversuchen prüfen. Ende September soll ein Bericht vorliegen. Im Finanzministerium ist die Neigung zu erkennen, diese Reform 2018 einzuführen. Tatsächlich hatte nie eine Abneigung dagegen bestanden. Macron hatte aber offensichtlich das Ziel, zunächst durch andere Reformen die Geldbeutel der Franzosen ein wenig zu füllen. Der beabsichtigte Direktabzug würde von einer Lohnzahlung vor Steuern zu einer Gehaltszahlung nach Steuern führen – und so den Eindruck von weniger Geld im Portemonnaie verstärken.

Die Reduzierung der Unternehmenssteuer von 33 Prozent auf 25 Prozent bis 2022 ist bereits beschlossene Sache. Dafür fallen bisher bestehende steuerliche Vergünstigungen bei Forschung und Entwicklung weg. Steuerlich werden französische Unternehmen in Europa sehr konkurrenzfähig werden. Allerdings werden in der französischen Kasse erhebliche Mindereinnahmen entstehen. Im laufenden Budget, das noch unter Staatspräsident Hollande entstand, steigt das Haushaltsloch derzeit an.

Ruhigster Schulbeginn seit zehn Jahren

Den ruhigsten Schulbeginn seit gut zehn Jahren erlebte Frankreich in diesem Herbst. In pädagogisch schwierigen Schulbezirken sind in der Grundschule die Klassenstärken auf zwölf Kinder herabgesetzt worden. Im „Collège“ wurden die bilingualen Klassen wieder eingeführt, die unter Staatspräsident Hollande als „elitär“ abgeschafft worden waren. Dafür steht die Regierung vor einer Reform des Abiturs.

Probleme hat Frankreich hingegen mit seiner Demografie. Die Zahl der Abiturienten ist so groß, dass die Universitäten zur Zulassung ein Losverfahren eingeführt haben. Tausende von Abiturienten konnten keine Universität zum Beginn des akademischen Jahres finden. Macron badet aktuell die Politik seines Vorgängers aus, der ihm über die Fernsehkameras gute Ratschläge gibt, wie er Politik machen sollte. Ökonomen hingegen meinen, dass – sollte es Macron gelingen, Reformen zu verwirklichen – Frankreich in den 2020er Jahren ein „goldenes“ Jahrzehnt erleben könnte.

Jean-pierre goelff
13. September 2017 - 16.53

Es gibt sooooo viel zu tun,und der Emmanuel packt es an!Demnächst geht es an die SNCF und ihren Däumchendrehern und Bürofurzern!Bon courage,mister Président!

GuyT
13. September 2017 - 11.23

Bulot est le nom vernaculaire des Buccinidae, gastéropodes marins comestibles. Le boulot est le mot correct! Laissez-faire s'écrit sous forme d'un impératif.

Jacques Zeyen (Ardèche)
12. September 2017 - 21.38

Linksradikale braucht das Land!? Macron ist ein Segen für die eingefrorenen Strukturen des " laisser faire". Die Franzosen müssen sich auf Qualität einstellen,nicht einfach nur auf "le bulot est fait. Cassons la croûte." Und die können das,es ist einwunderbares Volk in einem wunderbaren Land. Sie müssen es nur wollen.